Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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katholische Mehrheit in den Institutionen des Reiches. Auch nach 1555 blieb das Reich dezidiert „Heilig“ und „Römisch“. Der Reichsritterschaft blieb das ius reformandi verwehrt, da ihre Mitglieder keine vollberechtigten Reichsstände waren. Für die Reichsstädte wiederum wurde der gegenwärtige Stand ihrer konfessionellen Zugehörigkeit als künftig verbindlich festgeschrieben. Das galt auch für acht gemischtkonfessionelle Reichsstädte, die in Zukunft paritätisch, also von Katholiken und Lutheranern gemeinsam, verwaltet werden sollten.

      Andere Paragrafen sollten Reibungen zwischen den beiden Konfessionen minimieren. So wurde etwa die Jurisdiktion katholischer Bischöfe über lutherische Gebiete aufgehoben, indem man die Anwendung der bestehenden Häresiegesetze in solchen Fällen untersagte und beide Parteien dazu verpflichtete, sich zur Schlichtung im Streitfall an das Reichskammergericht zu wenden. Durch die letztere Bestimmung wurde der Religionsfrieden in den säkularen Rahmen der Reichslandfriedensordnung eingebettet. Die Aufnahme eines Emigrationsrechts (ius emigrandi) stellte einen weiteren säkularen Eingriff dar, durch den das Reformationsrecht der Landesfürsten beschnitten wurde. Untertanen, die sich der Konfession ihres Landesherrn nicht anschließen wollten, stand es frei, dessen Territorium zu verlassen, ohne dabei mit Strafe oder Enteignung rechnen zu müssen. Diese neuartige Regelung deutete bereits den späteren Rechtsstandpunkt an, wonach Individualrechte den Vorrang erhalten sollten vor Kollektiv- und Gruppenrechten. Dahinter stand die Vorstellung einer allgemeinen Gewissensfreiheit, für die sich die protestantischen Unterhändler zu Augsburg eingesetzt hatten, um damit ihre Glaubensbrüder in katholischen Territorien zu schützen. Durch den Widerstand der katholischen Delegation blieb davon letztlich nur das Emigrationsrecht übrig. Ferdinand von Habsburg erließ jedoch eine Zusatzerklärung, die wie der Religionsfrieden selbst auf den 24. September 1555 datiert war und tags darauf, wie dieser, in den Reichsabschied aufgenommen wurde. Diese Declaratio Ferdinandea gewährte dem bestehenden lutherischen Adel und den lutherischen Bürgern der geistlichen Territorien zumindest eine eingeschränkte Gewissensfreiheit.

      Der Friedensschluss von Augsburg war ohne Frage vieldeutig, ja sogar widersprüchlich. Es wäre jedoch verfehlt, mit Geoffrey Parker zu dem Schluss zu kommen, er habe lediglich „dem offenen Glaubenskrieg in Deutschland vorübergehend ein Ende gemacht“.31 Schließlich kam es in den 63 Jahren nach dem Augsburger Religionsfrieden zu keinem größeren Krieg mehr, und selbst dort, wo in Mitteleuropa nach 1583 offene Konflikte ausbrachen, blieben diese lokal begrenzt und – insgesamt gesehen – weniger brutal als die schier endlosen Gewaltexzesse in Frankreich oder den Niederlanden. Mit Lazarus von Schwendis Angst vor den Osmanen ist ein Faktor bereits angesprochen worden, der zur Wahrung des Friedens beitrug. Allerdings entlud die sogenannte Türkengefahr sich erst 1593, mit Ausbruch des Langen Türkenkrieges, und zu jener Zeit wuchs die konfessionelle Spannung eher, als dass sie nachließ. Der Hauptgrund für die Langlebigkeit des Augsburger Friedens lag letztlich wohl darin, dass dieser für eine ganze Reihe religiöser und politischer Probleme vergleichsweise zufriedenstellende Lösungen bereithielt. Seine Stärke wird auch dadurch deutlich, dass der Westfälische Frieden ihn nicht eigentlich ersetzte, sondern modifizierte und aktualisierte: Noch die innere Neuordnung des Reiches 1648 basierte im Grunde auf dem Augsburger Religionsfrieden.

      Die drei „Dubia“ Der wirkliche Grund für die späteren Schwierigkeiten lag in der abweichenden Interpretation dreier zentraler Bestimmungen der Augsburger Regelung. Das erste und wichtigste dieser „Dubia“ oder Bedenken betraf das weitere Schicksal des reichsunmittelbaren Kirchenbesitzes. Als anerkannte Reichsstände hatten bis 1552 die meisten Erzbischöfe, Bischöfe und Reichsprälaten ihre Territorien davor bewahren können, in den Besitz der neuen lutherischen Landeskirchen überführt zu werden. Die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen waren zwar gerade dabei, ihren Fürstentümern jeweils drei Bistümer einzuverleiben, doch rührten diese Bemühungen von alten territorialen Begehrlichkeiten her, die noch aus der Zeit vor der Reformation stammten. Die unmittelbarere Bedrohung war von den Katholiken ausgegangen. Kaiser Karl V. selbst hatte Utrecht annektiert und diverse andere Bistümer, die an seine habsburgischen Territorien grenzten, unter sein „Protektorat“ gestellt. Und Frankreich hatte, wie bereits erwähnt, Metz, Toul und Verdun an sich gebracht. Alles in allem waren die Gebietsverluste für die Reichskirche jedoch zu verschmerzen gewesen, vor allem wenn man bedenkt, dass sie noch immer drei geistliche Kurfürstentümer, etwa 40 Fürsterzbistümer und Fürstbistümer sowie rund 80 Klöster ihr Eigen nannte. Nun wurde der katholische Charakter dieser Gebiete zwar durch den geistlichen Vorbehalt unter Schutz gestellt, die Declaratio Ferdinandea erlaubte es dem dort ansässigen Adel aber, gegebenenfalls seinen lutherischen Glauben zu praktizieren. Die protestantische Infiltration der Domkapitel setzte sich also weiter fort, zumal auch lutherische Fürsten und Adlige sich unter keinen Umständen die politischen und gesellschaftlichen Vorteile entgehen lassen wollten, die der Dienst in der Reichskirche mit sich brachte. Die Tatsache, dass Martin Luther persönlich spätestens in den 1540er-Jahren mit dem Gedanken an protestantische Bischöfe liebäugelte, gab diesbezüglichen Ambitionen die theologische Basis.32 Die Lutheraner argumentierten, der geistliche Vorbehalt sei kein Bestandteil des eigentlichen Friedensschlusses gewesen, da sie dagegen Einspruch erhoben hätten – die Wahl eines protestantischen Bischofs durch ein entsprechend geneigtes Domkapitel sei also prinzipiell nicht ausgeschlossen.

      Der Kaiser wich der Frage aus, indem er Protestanten im Zweifelsfall als Administratoren eines Bistums anerkannte, nicht jedoch als Bischöfe. Die betreffenden Territorien blieben zwar Teil der Reichskirche, aber ihre neuen Herren übten ihre Herrschaftsrechte als weltliche Landesfürsten aus, nicht als Geistliche. Das verhinderte einerseits eine völlige Säkularisierung und ließ andererseits die Möglichkeit offen, dass bei der nächsten Bischofswahl wieder ein „sicherer“, katholischer Kandidat zum Zuge kommen würde. Auch die protestantischen Fürsten des Reiches waren mit dieser Regelung einverstanden, hatten sie doch kein Interesse daran, die betreffenden Gebiete geradeheraus zu annektieren: Es wären kostbare Stimmen in den Institutionen des Reiches verloren gegangen, wie es etwa tatsächlich geschah, als Brandenburg sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts gleich drei Bistümer einverleibte. Freilich wurden derartige Fragen erst nach 1582 tatsächlich dringlich, denn nun begann die wachsende Zahl der protestantisch kontrollierten geistlichen Territorien, den katholischen Mehrheiten im Reichstag und in anderen Institutionen und Gremien gefährlich zu werden (siehe Kapitel 7).

      Der zweite unklare Punkt betraf jenes mittelbare Kirchengut, das zwar im Herrschaftsbereich eines lutherischen Fürsten lag, jedoch bis 1552 nicht in die Landeskirche seines Territoriums eingegliedert worden war. Der rechtliche Status solcher Stiftungen war schon vor der Reformation viel diskutiert worden, denn weltliche Herrscher hatten immer wieder das Recht in Anspruch genommen, einzelne Klöster unter ihren „Schutz“ zu nehmen oder Rechte und Einkünfte mit ihnen zu teilen. Bisweilen war auch unklar, ob ein bestimmtes Kloster mittelbar oder reichsunmittelbar war – ob es also dem Landesherrn unterstellt war oder selbst als Reichsstand auftreten durfte. Die Reichsstandschaft nahmen etwa einige süddeutsche Äbte in Anspruch, als ihre Klöster von der Annexion durch Württemberg oder andere lutherische Territorien bedroht waren. Landesherren, die erst nach 1555 zum Luthertum konvertierten, standen vor noch größeren Schwierigkeiten, konnten sich aber, wollten sie das Kirchengut ihrer Territorien auch in Zukunft kontrollieren, immerhin auf die Bestimmungen des Augsburger Friedens berufen, denen zufolge die Jurisdiktion katholischer Bischöfe über lutherische Gebiete aufgehoben war.

      Der dritte Streitpunkt war die Religionsfreiheit der Untertanen. Es gab wohlgemerkt mehr katholische Territorien mit lutherischen Minderheiten als umgekehrt. Wenig überraschend interpretierten nun die Katholiken den Wortlaut des Friedens so, dass dem Landesherrn ein exklusives Vorrecht zur Ausweisung „Irrgläubiger“ zukomme, während die Lutheraner ihn als Garantie für eine Wahlfreiheit ihrer Glaubensgenossen auffassten, ihre lutherische Religionsausübung entweder an Ort und Stelle fortzuführen oder aber – freiwillig – zu emigrieren. Die Klärung dieser Frage wurde immer drängender, nachdem in den 1570er-Jahren katholische Landesherren der zunehmenden Verbreitung des Luthertums in ihren Territorien dadurch einen Riegel vorzuschieben versuchten, dass sie die religiöse Konformität zum Maßstab der politischen Loyalität erhoben (siehe Kapitel 3).

      Die