Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter H. Wilson
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783806241372
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Streitigkeiten zu erheben; noch während des Dreißigjährigen Krieges ernannte der Kaiser protestantische Dichter zu poetae laureati des Reiches.29 Die humanistische Tradition hielt überdies das Beispiel eines Erasmus von Rotterdam bereit, der eine privatere, von klerikal-dogmatischer Aufsicht freie Glaubensauffassung vertreten hatte. Sowohl Kaiser Ferdinand I. als auch sein Nachfolger Maximilian II. förderten humanistische Gelehrte, die mit ihrer Suche nach überkonfessionellen Gemeinsamkeiten auf eine Wiedervereinigung der gespaltenen Christenheit hinarbeiteten. Dass Frankreich und die Niederlande in konfessionellem Hass und Gewalt versanken, während im Reich Frieden herrschte, gab den Zeitgenossen zusätzlich zu denken, besonders nach den Massakern der Bartholomäusnacht vom 23. auf den 24. August 1572, als französische Katholiken in Paris und Umgebung mehrere tausend Hugenotten ermordeten, angefangen mit einer hochadligen Hochzeitsgesellschaft. Lazarus von Schwendi, der einflussreichste Militärberater des Kaisers, schrieb damals, derartige Gewaltausbrüche würden die Verteidigungsbereitschaft des Reiches gegen die Osmanen schwächen – und damit alle Christen in große Gefahr bringen. Seine Vorschläge für mehr Toleranz ähneln jener Herangehensweise, die man im Frankreich der Zeit als Position der politique bezeichnete: Angestrebt wurde ein Frieden, der durch die Loyalität aller Untertanen zu einer starken, überkonfessionellen Monarchie gesichert sein würde. Andere gingen noch weiter. Der Reichspfennigmeister und Vorsteher der Reichskasse, Zacharias Geizkofler, etwa, dessen Vorname allein ihn ohne Weiteres als Protestanten kenntlich machte, brachte vor, die weltliche Obrigkeit habe kein Recht, irgendjemandem seinen Glauben vorzuschreiben. Überhaupt müsse jede echte Toleranz aus wechselseitigem Verständnis erwachsen und könne nicht das Werk politischer Berechnung sein.

      Obgleich Geizkofler eine Minderheitenmeinung vertrat, bleibt doch unbestritten, dass die Europäer des 16. Jahrhunderts mehrere gedankliche Welten zugleich bewohnten und sich die unterschiedlichsten Vorstellungen zu eigen machen konnten, ohne sie zwangsläufig in Einklang bringen zu wollen. Sachverhalte, die uns heute widersprüchlich und unvereinbar erscheinen, stellten sich für die Zeitgenossen womöglich ganz anders dar. Gewiss, die konfessionelle Militanz nahm zu – vor allem als in den Jahren um 1580 mit den Angehörigen der „Generation Reformation“ jene in einflussreiche Positionen kamen, die in einer konfessionell gespaltenen Welt aufgewachsen waren und keine andere mehr kannten. Dennoch ist der Kriegsausbruch von 1618 unmöglich aus einer solchen gedanklichen Prägung allein zu erklären. Um die Beziehung zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der Religion angemessen einschätzen zu können, müssen wir zunächst einen genaueren Blick auf den Augsburger Religionsfrieden werfen und insbesondere beleuchten, wie sich im Anschluss daran konfessionelle Differenzen mit Verfassungskontroversen verflochten.

      Religion und Reichsrecht

      Der Augsburger Frieden von 1555 ist als „Religionsfrieden“ in die Geschichte eingegangen, aber in Wahrheit befasste sich nur ein kleiner Teil der in Augsburg getroffenen Vereinbarungen mit konfessionellen Streitfragen – den weitaus größeren Teil des auf dem Reichstag geschlossenen Abkommens machte ein vielfältiges Reformpaket aus, das sich mit einer ganzen Reihe von Themen beschäftigte.30 Die Regelung des Religionsstreits wurde somit in den größeren Zusammenhang weiterer Verfassungsreformen gestellt, die entweder um Fragen der öffentlichen Ordnung und des Landfriedens kreisten oder etwa um die Reichssteuerquote, eine Neuordnung der Münz- und Währungspolitik oder die Funktionsweise des Reichskammergerichts. Paragraf 29 verpflichtete den Kaiser, die Religionsklauseln des Textes unter die Grundgesetze des Heiligen Römischen Reiches aufzunehmen. Als Ferdinand von Habsburg, der den Frieden in Vertretung seines Bruders Karls V. ausgehandelt hatte, 1558 selbst Kaiser wurde, bestätigte er diese Vereinbarung.

      Anders als noch im Augsburger Interim von 1548 wurde die Befriedung des Reiches in dem neuen Frieden nicht an dogmatische Aussagen geknüpft. Keiner der sogenannten Religionsartikel definierte konkrete Glaubensinhalte. Stattdessen zielten sie darauf ab, die Anhänger der beiden zerstrittenen Konfessionen in einem gemeinsamen Rechtsrahmen zu vereinen. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Vorhabens sollten zwar nach 1618 eine Hauptursache für die Eskalation des Krieges darstellen; die Verantwortung für den Ausbruch des Konflikts kann man den Verfassern des Friedens von 1555 aber nicht geben. Diese hatten immerhin vor der übermächtigen Aufgabe gestanden, jene zerbrochene Einheit von Glaube und Gesetz wiederherzustellen, die zu Ausgang des Mittelalters noch gegolten hatte. Dass die beiden Elemente notwendig zusammengehörten, war für die meisten Zeitgenossen klar: Weil die Religion eine perfekte Richtschnur für alle Aspekte menschlichen Handelns darstellte und es auch nur eine Wahrheit geben konnte, konnte es auch nur ein Gesetz geben. Jetzt aber erhoben sowohl Katholiken als auch Lutheraner den Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Selbst wenn das Landfriedensrecht die Reichsstände nicht zum Gewaltverzicht untereinander verpflichtet hätte, ließen die fruchtlosen Kämpfe der Jahre 1546–52 erkennen, dass eine Wiederherstellung der alten Einigkeit mit Waffengewalt vollkommen ausgeschlossen war.

      Eine gänzlich säkulare pax civilis war für das Reich als Ganzes keine Option. Diese Lösung sollte 20 Jahre später von dem französischen Juristen Jean Bodin mit Blick auf sein eigenes, vom Bürgerkrieg zerrissenes Vaterland vorgeschlagen werden. Bei Bodin erscheint der Staat noch immer als ein im Grunde christlicher, der jedoch keiner konkreten Konfession zuneigt und seine Macht zum Schutz der religiösen Vielfalt und öffentlichen Ordnung einsetzt. Eine derart mächtige, quasi-säkulare Monarchie ließ sich jedoch weder mit den „teutschen Freiheiten“ noch mit dem Anspruch des Kaisers vereinbaren, Oberhaupt eines Heiligen Römischen Reiches zu sein.

      Stattdessen bemühten sich die Friedensstifter von 1555 nach Kräften, alle religiösen Unterscheidungen zu verwischen, damit zumindest ein Hauch der alten Idee von einer umfassenden, einigen Christenheit bewahrt werden konnte. Die Lutheraner nannten sie in ihrem Text die „Augspurgischen Confessions-Verwanten“, ohne im Einzelnen darauf einzugehen, was das denn nun hieß. Durch die Verwendung von Begriffen wie „Frieden“, „Glauben“ und „Reformation“ wollten die Zeitgenossen bestimmte Wertvorstellungen vermitteln, die zwar von allen geteilt, von allen aber auch unterschiedlich verstanden wurden. Für die Lutheraner bedeutete „Reformation“ die Befugnis einer rechtmäßigen Obrigkeit zur Revision der Glaubenspraxis im Einklang mit der ursprünglichen Lehre der Glaubensgründer. Für Katholiken hingegen bestätigte der Begriff die zentrale Rolle ihrer eigenen Kirche in spirituellen und seelsorglichen Fragen.

      Ähnlich doppelbödige Formulierungen ziehen sich auch durch den Teil des Abkommens, der sich mit im engeren Sinne konfessionellen Fragen befasst. Während in Frankreich, Spanien und den Niederlanden noch immer blutig darum gekämpft wurde, eine einzige Konfession durchzusetzen, erkannte das Heilige Römische Reich – auf der Ebene seiner Territorien – sowohl Katholiken als auch Lutheraner an. Im Gegensatz zu dem später entstandenen Eindruck bedeutete das jedoch nicht, dass die Landesherren völlig frei zwischen den beiden Bekenntnissen wählen konnten. Die bekannte Formel cuius regio, eius religio („Wes das Land, des der Glaube“) findet sich in dem Dokument jedenfalls nicht; sie entstand erst in der späteren Diskussion um die Friedensregelung in den Jahren nach 1586. Der Frieden von Augsburg war auch gar nicht dazu gedacht, einen ständigen Wandel der religiösen Landschaft zu ermöglichen, sondern sollte – ganz im Gegenteil – die Situation der Jahrhundertmitte verbindlich festschreiben. Zwar wurden einige seiner Paragrafen zusammengenommen als ein „Recht auf freie Wahl der Religion“ oder „Reformationsrecht“ (ius reformandi) verstanden, aber damit sollte eher die Pflicht der Landesherren betont werden, in ihren Territorien als säkulare Hüter der Religion aufzutreten, als dass ihnen damit die einseitige Vollmacht zu einem Religionswechsel nach Gutdünken verliehen worden wäre. Andere Paragrafen schränkten das Reformationsrecht stark ein, insbesondere Paragraf 19, der das Datum des Passauer Vertrags von 1552 als Stichtag festlegte. Herzog Moritz von Sachsen hatte sich von Ferdinand zusichern lassen, dass die Lutheraner allen vormals katholischen Besitz, den sie bis zu diesem Tag ihren neuen Landeskirchen einverleibt hatten, würden behalten dürfen, und dies bekundete der Augsburger Frieden nun auch ganz offiziell. Um die Katholiken zu beschwichtigen, ließ Ferdinand gegen lutherischen Protest im Gegenzug den Paragrafen 18 aufnehmen. Dieser bestimmte, dass die Kirchenfürsten der verbliebenen geistlichen Territorien, die nach 1555 zu der neuen Religion übertreten würden, zum Rücktritt von ihren Ämtern verpflichtet seien. Diese