Hexenglut. Historischer Kriminalroman.. Simone Dorra. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simone Dorra
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783842522862
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sagte sie. »Ein paar Stunden Erholung, und die Welt ist gleich ein gutes Stück heller. Ein Bote ist schon nach Freiburg unterwegs, um Eure Familie zu benachrichtigen, damit sie sich keine Sorgen mehr um Euch machen muss.«

      »Danke.« Er schluckte. »Vergelt's Gott, Schwester. Darf ich … darf ich wissen, wie Ihr heißt?«

      Sie lächelte und verneigte sich leicht.

      »Fidelitas«, sagte sie. »Ich bin die Kräutermeisterin von Frauenalb. Dominus vobiscum, Herr Stöcklin. Schlaft gut.«

      Sie drehte sich um und war im nächsten Moment mit leisen Schritten durch die Tür verschwunden.

      Zwei Monate gingen ins Land; es war ein ausgesprochen nasser Frühling. Auch in den letzten Tagen hatte es fast ununterbrochen geregnet. Doch jetzt hoben sich endlich die Wolken, die wie ein schwerer grauer Mantel über dem Albtal hingen, und die Sonne kam heraus. Der Himmel am Horizont zeigte ein verwaschen bleiches Blau, hoffnungsvoll wie das junge Laub an den Bäumen, das den nahenden Sommer ankündigte.

      Fidelitas von Frauenalb stand auf dem Friedhof des Klosters; er lag in kleinem Abstand von der Kirche – immer noch dicht genug bei den lebenden Schwestern, dass die sterblichen Überreste der Nonnen, die hier zur Ruhe gebettet worden waren, ein Teil der Gemeinschaft blieben. Jedes Grab trug auf einem schlichten Stein den Namen der Frau, die hier der Auferstehung entgegenschlief.

      Auf dem Stein des Grabes zu ihren Füßen war der Name Agatha zu lesen, darunter das Geburts- und das Sterbedatum 1553. Sechsunddreißig Jahre hatte Agatha in Frauenalb gelebt, erst als Postulantin, dann als Novizin und nach den ewigen Gelübden als Schwester unter Schwestern. Sie hatte vor Fidelitas dem Kloster erst als Infirmarin und zuletzt als Kräutermeisterin gedient; von ihr hatte die jüngere Nonne alles gelernt, was sie heute über Medizin und die Heilung von Kranken mit den Pflanzen wusste, die in den Klostergärten wuchsen. Fidelitas hatte Agatha fast ebenso sehr geliebt wie die Ehrwürdige Mutter Scholastika, die ihr in Frauenalb ein Zuhause gegeben hatte, nachdem sie mit noch nicht einmal zehn Jahren hierhergekommen war, als Oblate in einem Pferdewagen, möglichst weit außer Sicht verfrachtet von einem Vater, der nicht bereit war, sie öffentlich als seine Tochter anzuerkennen.

      Fidelitas' ewige Profess hatte Mutter Scholastika nicht mehr miterleben dürfen, und die nächste Äbtissin, Catharina von Remchingen, war dem Schützling ihrer Vorgängerin mit Misstrauen und instinktiver Abneigung begegnet. Als die Gräfin Johanna von Eberstein – Mäzenin des Klosters und Mitglied des Adelsgeschlechts, von dem das Kloster im zwölften Jahrhundert gegründet worden war – vor fünf Jahren darauf bestanden hatte, Fidelitas als private Pflegerin auf eine Reise mitzunehmen, war sie bei der Mutter Oberin auf bemerkenswert wenig Widerstand gestoßen.

      Als Fidelitas nach neun Wochen von dieser – mehr als turbulenten – Reise in den Schoß ihrer Klosterfamilie zurückgekehrt war, neigte sich die Herrschaft der Catharina von Remchingen bereits dem Ende entgegen. Natürlich hatte das keiner von ihnen geahnt – aber im November 1550 zog die Äbtissin sich eine schwere Erkältung zu, die sich in ihren Lungen festsetzte und der sie kurz vor Weihnachten erlag.

      Katharina II. von Wittstadt – genannt »die Hagenbachin« – hatte ihre Stelle als Ehrwürdige Mutter eingenommen, aber in den wenigen Jahren, während derer sie das Kloster führte, war es ihr kaum gelungen, einen prägenden oder wenigstens angenehmen Eindruck zu hinterlassen. Im Sommer 1554 war sie ganz plötzlich verstorben. Fidelitas vermutete bis heute ein Magenleiden, war aber mangels der nötigen Überprüfung auf Spekulationen angewiesen. Die Hagenbachin hatte ihr verantwortungsvolles Amt zuallererst als Werkzeug zur Mehrung ihres persönlichen Wohlstandes missverstanden; mehr als eine Abgabe der klösterlichen Lehenshöfe war stillschweigend in ihre persönliche Schatulle gewandert. Obendrein hatte sie ausgesprochen gern und reichlich gegessen – viel zu gern und viel zu reichlich, und Fidelitas hatte immer wieder versucht, ihr behutsam zuzureden, sie möge um ihrer Gesundheit willen und als Vorbild für ihre Töchter doch etwas mehr Maß halten.

      Während die Mutter Oberin unbelehrbar der Sünde der Völlerei frönte, hatte Fidelitas' Lehrmeisterin Agatha zusehends den Appetit verloren. Im Frühjahr 1553 tat sie, geschwächt und abgemagert zu einem bloßem Schatten ihrer selbst, ihren letzten Atemzug, tief betrauert von Fidelitas und ihren Mitschwestern, deutlich tiefer jedenfalls als die Hagenbachin, die Agatha nur um dreizehn Monate überlebte.

      Und nun war seit wenigen Monaten die dritte Katharina am Ruder, eine Freifrau von Bettendorf und die Schwester des Bischofs Dietrich von Worms. Sie war erst ein knappes Jahr vor dem Ableben ihrer Vorgängerin nach Frauenalb gekommen – eine energische Frau, hochgewachsen und so schmal wie eine Schwertklinge, mit harten Gesichtszügen, hinter denen sich eine unvermutete Güte verbarg, gepaart mit großer Klugheit. Fidelitas hatte sich auf Anhieb gut mit ihr verstanden, und als Katharina das Amt der Äbtissin übernahm, atmete sie ebenso erleichtert auf wie die anderen Nonnen. Dies war eine Ehrwürdige Mutter, die ebenso gut führen konnte wie ihre geliebte Mentorin Scholastika und die dabei das Wohl ihrer Töchter und das des Klosters gleichermaßen fest im Auge behielt.

      Fidelitas senkte den Kopf und sprach das Gebet, das sie jedes Mal wiederholte, wenn sie hierherkam: Requiem aeternam dona ei, Domine: et lux perpetua luceat ei. Sie beugte sich vor und legte das mitgebrachte Kräutersträußchen aus Bärlauch, Huflattich und Schlüsselblumen vor Agathas Grabstein ab. Ich vermisse dich, dachte sie. Möge Gott dir die ewige Ruhe schenken und das ewige Licht über dir leuchten lassen. Und mögen wir uns im Kräutergarten der Mutter Gottes wiedersehen.

      »Schwester …? Schwester Fidelitas?«

      Fidelitas wandte den Kopf und sah Margaretha auf sich zukommen, das Habit gerafft, um auf dem unebenen Friedhofspfad nicht über den Saum zu stolpern. Margaretha stolperte ständig – über Betschemel, Gartenharken, Türabsätze und alles andere, das ihr unglückseligerweise in den Weg geriet. Sie befand sich im dritten Jahr ihres Noviziats und würde vermutlich auch über den Wortlaut der ewigen Gelübde stolpern … aber ablegen würde sie sie trotzdem, denn bei allem Ungeschick konnte es an ihrem hingebungsvollen Glauben nicht den Hauch eines Zweifels geben.

      Es spielte keine Rolle, dass sie im Dienst bei der Schwester Mesnerin einen ganzen Kessel Bienenwachs verschüttet und sich dabei gefährlich verbrannt hatte. Es war auch gleichgültig, dass Schwester Saporosa, die seit dreißig Jahren in der Klosterküche für das leibliche Wohl der Nonnen sorgte, sich standhaft weigerte, Margaretha irgendetwas in die Hand zu geben, das schärfer war als ein Holzlöffel. Die neunzehnjährige Novizin war freundlich, mitfühlend und humorvoll und unter den Schwestern trotz ihrer Tollpatschigkeit ausgesprochen beliebt. Ihr sonniges Gemüt hatte ihr geholfen, die Tatsache zu verkraften, dass ihr Vater – ein kleiner Landjunker mit chronisch leerem Säckel – sie kurzerhand wie ein lästiges Möbelstück ins Kloster abgeschoben hatte, das eher bereit war als jeder adelige Bräutigam, die junge Frau ohne nennenswerte Mitgift zu akzeptieren. Auch ihre ständigen Unfälle ertrug sie mit philosophischer Gelassenheit.

      Fidelitas runzelte die Stirn, als Margaretha atemlos vor ihr zum Stehen kam. »Langsam, Kind! Was ist denn los?« Ein alarmierender Gedanke schoss ihr durch den Kopf, und ihre Augen wurden schmal. »Der Hustensirup ist doch hoffentlich nicht angebrannt?«

      Die Vermutung lag immerhin nahe, denn im letzten Herbst hatte Fidelitas Margaretha auf Anweisung der neuen Äbtissin unter ihre Fittiche genommen. Sie achtete sorgsam darauf, dass ihre Gehilfin mit den gefährlicheren Heilmitteln so wenig wie möglich in Berührung kam, leitete sie aber geduldig in der Gartenarbeit und Pflanzenlehre an, ließ sie unter Aufsicht Kräuter hacken, fertige Tränke abfüllen und in ihren Kesseln rühren. Und in den Kessel, den Margaretha augenblicklich zu überwachen hatte, waren Fidelitas' letzte Vorräte von getrocknetem Spitzwegerich gewandert, gemeinsam mit einem Krug Branntwein und einem ganzen Pfund kostbarem Tannenhonig.

      »Nein, nein!« Margaretha wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Der ist fertig, Schwester … genau so dick und süß, wie Ihr ihn haben wolltet. Ich hab ihn zum Abkühlen beiseitegestellt und das Feuer gelöscht.«

      Fidelitas gab einen lautlosen Seufzer der Erleichterung