Überall dort, wo sich die sowjetischen Truppen den deutschen Verbänden stellten, schlugen sie sich zäh. Geschickt verteidigten sie sich unter Ausnutzung der hoch stehenden Getreidefelder und der dichten Wälder. Aber auch die Infanteristen und Gebirgsjäger bezogen die Bodenbedeckungen in ihre Kampftaktik geschickt ein. Hegele berichtet darüber:
Die […] Fahrzeuge werden […] in Deckung belassen, das Geschütz selber schieben wir noch gute 50 m weiter vor und bringen es in einem Maisfeld links der Straße in Stellung. Der Panzerschild wird heruntergeklappt, um die Kanone so klein wie nur möglich zu machen. Dann verkriecht sich die gesamte Bedienung außer Meese, dem Richtschützen, der als erster Posten am Geschütz bleibt, in den rechten Straßengraben. Den Stahlhelm als Kissen unter den Kopf, und bald hat uns die heiße Mittagssonne in den Schlaf gedrückt.
Helle Kommandostimmen wecken unseren ganzen Haufen, jeder blinzelt noch ganz benommen in die Gegend. Was denn nur jetzt schon wieder los ist? – »Jawohl, Herr General, zu Befehl, Herr General«, vernehmen wir ganz nahe. Ist am Ende gar unser Divisionler bis da vorne? Neugierig schauen wir durch das Binsengeflecht des Zaunes. Pfeilgerade! Da steht höchstpersönlich unser General Lanz am Scherenfernrohr und lässt sich vom VB unserer 15-cm-Ari erkannte feindliche Ziele zeigen. […] Wenn so hoher Besuch da ist, dürfen wir uns nicht gerade in den Straßengraben legen und schlafen. […]
Tschschssst – flupp, zischt es plötzlich heiß heran. Instinktiv drücken wir uns alle gleich in den Grund des Grabens und warten auf die Explosion der Granate. Da weiter nichts geschieht, erheben wir ganz vorsichtig unsere Häupter und blinzeln in die Gegend. Totenblass sitzt Kaspar, unser Posten, auf dem Geschützholm und kann nur noch auf das Loch deuten, das hinter ihm entstanden ist. Keine 3 m hat diese Granate, die so plötzlich […] dahergekommen war, hinter dem Geschütz eingeschlagen. Und wäre sie kein Blindgänger gewesen, so würden der Kaspar und auch das Geschütz nicht mehr existiert haben.44
Das Gebirgs-Jäger-Regiment 98 erreichte ohne besonders schwere Kämpfe sein Tagesziel. Am Abend des 24. Juni 1941 grub es sich längs der Straße Jazow Stary – Niemirow ein. Als die Gebirgsjäger am Abend müde in ihren Deckungslöchern hockten und endlich eine Verschnaufpause einlegen konnten, erstreckte sich die Front der 1. Gebirgs-Division bereits über etwa 30 Kilometer.
Der Krieg kommt schön langsam zur Ruhe, notierte Hegele. Grillen und Frösche beginnen ihr Konzert, und die Mücken, in unzählbaren Geschwadern anfliegend, machen uns das Leben schwer. Allenthalben sieht man dunkle Gestalten, mit Kochgeschirren scheppernd, nach hinten in die Schlucht wandeln. Dort geben die Feldküchen den Abendfraß aus. Der von Hans Hiernig (Geschütz Artmeier, I. Zug) heute abgeschossene Panzer brennt immer noch. Er glüht und gibt so in dunkler Nacht ein schaurig-schönes Bild; jeder Teil dieses Stahlkolosses ist weithin sichtbar.
Hell und tröstend strahlen die Sterne auf uns herab, Grüße der Heimat. Jetzt, da des Tages Mühen und Gefahren vorbei sind, wandern die Gedanken dorthin zurück, viele hundert Kilometer, und man merkt gar nicht, dass man eigentlich irgendwo im Schützenloch in einem polnischen Getreidefeld liegt und das müde Haupt nur auf einen Stahlhelm gebettet ist.45
Die Nacht vom 24. zum 25. Juni 1941 verlief wieder Erwarten ruhig. Doch bereits während des 25. Juni, es war ein heißer Tag, warf der sowjetische Kommandierende General des III. Panzer-Korps in Lemberg seine Stahlkolosse in den Kampf gegen das vorwärtsdrängende XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps. Zum ersten Mal trafen die Soldaten mit dem Edelweiß auf die gut gepanzerten und aus allen Rohren feuernden T 34, die seinerzeit als die besten Panzer der Welt galten. Sie waren eine gefährliche und von den Deutschen während des ganzen Ostfeldzuges überaus gefürchtete Panzerwaffe. In Pulks zu zehn, zu zwanzig, ja bis zu vierzig Panzern brachen die Sowjets ohne begleitende Infanterie gegen die abwehrbereiten Gebirgsjäger, Infanteristen und Grenadiere auf. Hier und da gelang ihnen tatsächlich ein Einbruch in die deutschen Linien.
»Unsere Panzer sind feuerbereit«, liest man bei Lanz. »Als die mit viel Lärm und Qualm anrumpelnden Stahlkästen auf etwa 600 Meter vor uns sind, eröffnen die Panzerabwehr-Geschütze schlagartig das Feuer. Bündelweise sausen die Leuchtspuren den Panzern entgegen – und spritzen ab. Wir trauen unseren Augen nicht, überall Treffer und jedes Mal Abpraller. Natürlich ist unsere Artillerie feuerbereit und eröffnet nun ihrerseits ein sauberes Punktschießen. Bei der unerwarteten Wirkungslosigkeit unserer 3,7-cm-Pakgranaten rücken etliche 30 Panzer unaufhaltsam vor und brechen, soweit sie nicht in einem großen Sumpfloch unten an der Straße hängen bleiben, in unsere Stellung ein. Nun greifen die Jäger zur Selbsthilfe. Mit Handgranaten und geballten Ladungen springen sie die Panzer an und setzen im Nahkampf eine Anzahl von ihnen außer Gefecht.«46
Das Versagen der viel zu schwachen 3,7-cm-Panzerabwehrkanonen lähmte die Landser für einen Moment. Nur ihrer Fähigkeit zur Improvisation hatten sie es zu verdanken, dass sie nach der ersten großen Panzerschlacht bei Jazow Stary am Abend des 25. Juni 1941 in ihren befohlenen Stellungen standen. Im nervenaufreibendem und gefährlichen Nahkampf war es ihnen gelungen, Panzer durch in die Geschützrohre geschobene Handgranaten außer Gefecht zu setzen. »Die eigenen Verluste in diesen Kämpfen waren vor allem bei 1. Geb. Div. und 68. Inf.Div. besonders hoch«, vermerkte das »Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps aus dem Russlandfeldzug 1941« am 26. Juni 1941.
Zerstörte Panzer, Lastwagen und Versorgungsfahrzeuge übersäten das Schlachtfeld. Zu Hunderten bedeckten die Kadaver erschossener Pferde das Feld. Zerschossen lagen die Panzer im Felde; elendig verbrannt und zerfetzt waren die Leichen der sowjetischen Soldaten. Wer würde die Toten bestatten? Das war mehr als nur ein Akt der Menschenwürde. Denn durch die warme Jahreszeit kam es sehr schnell zur Verwesung, und damit stieg auch die Gefahr von Seuchen.
»Die Säuberung des Schlachtfeldes hat ergeben, dass […] in der Panzerabwehrschlacht am 24. und 25. 6. mindestens 100 Panzerwagen abgeschossen und über 50 Geschütze erbeutet wurden. An den Kämpfen waren in hervorragender Haltung in gleicher Weise beteiligt: 1. Geb.Div., 68. Div., die zuerst im Walde um und ostwärts Krakowiec den feindlichen Angriff auszuhalten hatte, und Teile der 257. Div.«, lautet eine Eintragung vom 26. Juni 1941 im Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps.47
Aber nicht nur die sowjetischen Panzer bereiteten große Probleme. Kaum hatte man sich die Stahlkolosse so gut es ging vom Leib gehalten, schon erschienen am Himmel die sowjetischen »Nähmaschinen«, von den Landsern auch »UvD«, »Nervensäge« oder »Kohlenschipper« genannt. Der antiquierte Bomber Polikarpow PO 2, ein Doppeldecker, den die Sowjets »Kukurusnik« nannten, warf dann im Gleitflug bei abgestelltem Motor seine 25- und 50-Kilogramm-Bomben auf die Stellungen der Deutschen.
Auf der Rollbahn drängten sich Verbände und Fahrzeuge von mehr als sechs Divisionen, die man an ihren taktischen Zeichen erkannte: Edelweiß und Enzian, Tannenbaum und Spielhahnfeder, Wiesel und Ochsenkopf, Pfeil und Bogen. Dazu wurden Divisions-Nummern herumgereicht: 1. und 4. Gebirgs-Division, 97. leichte und 100. Jäger-Division, 125., 257. und 295. Infanterie-Division sowie die 5. SS-Panzer-Division »Wiking«. Welche Nummer zu welchem Zeichen gehörte, wusste niemand vollständig zu sagen. Die »Braune-Bären«-Division war nicht mehr dabei, das hatten die »Feldherren« unter den Obergefreiten sofort erkannt. Und da sie sich zu Hunderten aus allen Verbänden auf eine Zigarettenlänge im Straßengraben trafen,