Neben deutschen Zeugen gab es aber auch ukrainische und polnische, die sich an die Massenmorde von Lemberg erinnerten. So berichtete der polnische Professor Olgierd Gorka, dass die Russen rund 160 Polen in dem Lemberger Gefängnis Brigitti ermordet hatten, bevor sie die Stadt verließen.60
Sir Frank Roberts, ein Mitarbeiter im Foreign Office, sprach mit dem Botschafter und Außenminister der polnischen Exilregierung, Raczynski, der sich daran erinnerte und Gorka gegenüber erklärte: »Es besteht kaum Zweifel darüber, dass die polnischen und ukrainischen politischen Gefangenen in Lemberg tatsächlich durch die Russen ermordet worden sind.«61
Weitere Aufschlüsse enthalten die Aussagen von höheren deutschen Offizieren, die sich im Sommer 1941 in Lemberg aufgehalten haben. So erklärte der spätere Generalleutnant Egbert Picker, seinerzeit Kommandeur des Gebirgs-Jäger-Regiments 98, am 5. Juli 1945: »Unmittelbar nach der Einnahme von Lemberg […] wurde mir gemeldet, dass nach Aussagen von Einwohnern in zwei Gefängnissen eine große Anzahl ermordeter Lemberger lagen. […] Ich besuchte noch am gleichen Tage die beiden Gefängnisse. Ich fand in dem einen, das als das staatliche Gefängnis bezeichnet wurde, dass im Hofe nebeneinander in vielen Reihen die Leichen aufgelegt waren, teilweise mit Verstümmelungen scheußlicher Art […] Im anderen Gefängnis, das als GPU-Gefängnis bezeichnet wurde, fand ich ebenfalls im Hofe die aufgereihten Leichen und die nach Angehörigen suchenden Zivilpersonen.«62
Andere Aussagen erwähnten die Beteiligung der Zivilbevölkerung an den Ausschreitungen gegen die Juden. Der spätere Generalmajor Max Winkler, seinerzeit Kommandeur des Gebirgs-Artillerie-Regiments 79, gab am 24. Juni 1946 zu Protokoll: »Ich glaube mich an die Zahl von etwa 4000 Leichen zu erinnern, die ich auf der Stadtkommandantur erfuhr. Als Reaktion auf diese Morde fingen die ukrainischen Zivilisten in Lemberg sofort an, die Juden aus ihren Wohnungen zu ziehen, sie auf der Straße zu misshandeln und ins Gefängnis zu den Leichen zu werfen. Der damals vorübergehend als Stadtkommandant vom XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps eingesetzte Oberst [W]intergerst schritt sofort mit aller Schärfe gegen diese Ausschreitungen ein […]«63
Als Stadtkommandant von Lemberg hatte Karl Wintergerst im Auftrage des Kommandierenden Generals jedoch einen »Aufruf« erlassen, der ihm später im wahrsten Sinne des Wortes das Genick gebrochen hat. Denn dort hieß es:
Zum Schutze der öffentlichen Ordnung u. Sicherheit in der Stadt Lemberg befiehlt die Deutsche Wehrmacht folgendes:
1) Gewalttätigkeiten und Bedrohungen gegen Angehörige der Deutschen Wehrmacht und ihres Gefolges werden mit dem Tode bestraft. Sind die Täter nicht zu ermitteln, so werden an den festgenommenen Geiseln Repressalien verübt.
2) Wer nicht zu seinem Arbeitsplatz zurückkehrt oder wer seine Arbeit niederlegt, wird als Saboteur erschossen.
3) Sämtliche russischen Soldaten und politischen Funktionäre, die sich noch im Stadtgebiet befinden, melden sich innerhalb von 6 Stunden im Zentralen G.P.U.-Gefängnis (Ecke Ul. Kadecka – Ul. Pelczynska). Nach dieser Zeit Aufgegriffene werden strengstens bestraft; Personen, die russischen Soldaten und politischen Funktionären Unterschlupf gewähren, werden erschossen.
4) Sämtliche Schusswaffen, Munition aller Art und Zündmittel sind innerhalb 12 Stunden nach Erscheinen dieses Aufrufs bei der Miliz abzuliefern. Auf Verstöße steht die Todesstrafe.
5) Der gesamten Zivilbevölkerung wird das Betreten der Straßen von 21.00 Uhr bis 07.00 Uhr verboten. Personen, die zur Ausübung ihres Dienstes auch während der Nachtzeit die Straßen betreten müssen (Ärzte, Hebammen, Arbeiter versorgungstechnischer Betriebe), erhalten durch die Ortskommandantur auf Antrag entsprechenden Ausweis.
6) Der Ausschank alkoholischer Getränke jeglicher Art an Zivilpersonen wird verboten.
7) Sämtliche Radio-, Sende- und Empfangsgeräte sind sofort nach Erscheinen dieses Aufrufs bei der Miliz abzuliefern.
8) Ansammlungen, Demonstrationen, Umzüge und Versammlungen werden mit Waffengewalt unterdrückt.
Doch zurück zu den Pogromen von Lemberg. Über sie berichtete General Picker: »Ferner sah ich in einem kleinen Nebenhof, abseits von den aus dem Gebäude kommenden Leichen, schätzungsweise 15 Leichen, die offenbar Juden waren und, wie im Hofe erzählt wurde, erst nach dem fast kampflosen Abmarsch der Russen aus Lemberg von der ortsansässigen Zivilbevölkerung zur Vergeltung getötet worden sein sollen. Beim Verlassen des Gefängnisses sah ich in zwei oder drei Fällen, dass Juden von mit Armbinden versehenen ortsansässigen Zivilisten zum Gefängnis geführt wurden, in einem Fall unter Prügeln mit einem Stock. Ich ging daraufhin noch am gleichen Tage zu dem obersten militärischen Führer der Stadt, General der Gebirgstruppen Kübler, um ihm das Geschehene zu melden und Abstellung zu veranlassen. Er teilte mir mit, dass er diese Tatsachen bereits wisse und Befehle gegeben habe, diese Ausschreitungen der Zivilbevölkerung gegen die Juden sofort zu verhindern.«64
Generalmajor Hans Kreppel erinnerte sich hierzu am 29. Juni 1945: »Ich erkläre an Eides statt, dass ich als Abteilungskommandeur im Geb.Art.Regiment 79 in den ersten Stunden nach der Einnahme von Lemberg persönlich in der Stadt Hunderte von Leichen ermordeter Ukrainer liegen sah […] Mir ist damals ferner ein Befehl des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps bekannt geworden, der die Verfolgung der Juden durch die ukrainische Zivilbevölkerung verbot.«
Soweit die erschütternden Dokumente über Lemberg im Nürnberger Prozess.
Nach der Eroberung Lembergs wurde eine ukrainische Regierung unter dem Nationalistenführer Stetsko gebildet, der der Bandera-Gruppe der »Organisation Ukrainischer Nationalisten« angehörte. Stetsko wurde jedoch bereits am 12. Juli 1941 verhaftet und zusammen mit Bandera in ein deutsches Gefängnis geworfen.
6.
Gefechtslärm in der Ukraine
Unterdessen zog das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps an Lemberg vorbei in Richtung Südosten. Die 4. Gebirgs-Division war dazu ausersehen, mit der 97. leichten Infanterie-Division die Verfolgung von etwa zwei zurückweichenden russischen Rest-Divisionen aufzunehmen.
Häufig sahen die Landser bei ihrem Vormarsch, dass die ukrainische Bevölkerung, die sich von einem ungeheuren Druck befreit fühlte, Triumphpforten für die deutschen Truppen errichtet hatte. Auf ihnen waren sogar Hakenkreuzfahnen und Inschriften wie »Heil dem Führer« oder »Wir begrüßen die Befreier« angebracht worden. Das war kein Wunder, denn das bolschewistische Terrorregime hatte innerhalb von 15 Jahren »über 60 Millionen Menschen vom Leben zum Tode befördert«.65 Daher war es nicht allzu überraschend, dass die Zivilbevölkerung die Deutschen zum Teil begrüßte: »Vielfach bestand eine Bereitschaft, Deutschland nicht unbedingt als Feind anzusehen, was nach der langen Herrschaft der bolschewistischen Partei kaum für möglich gehalten worden war. Die erst kürzlich angeschlossenen Gebiete, die baltischen Staaten, Ostpolen, vor allem Ostgalizien und Bessarabien, waren noch in keiner Weise assimiliert. Aber auch in den ursprünglichen Gebieten der Union, so in der Ukraine, der Krim, bei den Völkern des Kaukasus, der Wolga und Turkestans, war ein Wiederaufleben antirussischer oder antibolschewistischer Tendenzen zu konstatieren«, bemerkte der deutsche Diplomat Erich Kordt.66
»Leider«, bemerkte der bekannte Panzergeneral Heinz Guderian später in seinen Memoiren, »hielt diese günstige Stimmung der Bevölkerung gegenüber den Deutschen nur so lange an, wie die wohlwollende Militärverwaltung regierte. Die sogenannten Reichskommissare haben dann in kurzer Zeit verstanden, jede Sympathie für die Deutschen abzutöten und damit dem Partisanenunwesen den Boden zu bereiten.«67 Damit war die große Chance leichtfertig verspielt worden, »durch schnelle