Jeder wollte es hören, alle wollten es glauben. Nach den Grenzschlachten drängte die Truppe dem Sieg entgegen, mit von der Partie war auch die 68. Infanterie-Division. Denn statt nach Frankreich wurde sie Anfang Juli 1941 als Reserve der Heeresgruppe Süd durch die galizische Hauptstadt in Richtung Osten nachgeführt. Erst in der zweiten Julihälfte konnten die Infanteristen wieder am Nordrand des Kessels bei Uman und Winniza in die Kampfhandlungen eingreifen. Aber schon sehr bald wurde die »Braune-Bären«-Division nach Osten verlegt und griff nun unter dem Kommando des XXXXIV. Armeekorps in Richtung Tscherkassy an.
Die anfängliche Hochstimmung der Truppe verflog bei der drückenden Hitze alsbald, und der seit dem Polen- und Frankreichfeldzug gewohnte Frontalltag kehrte wieder ein. Viele marschierten mit leerem Magen. Die Rollbahn war derart belegt, dass die Trosse höchst selten zu ihren Einheiten durchkamen. Nur allzu oft kochten die Feldküchen daher vergebens. Denn sobald das Essen bei dem schwülen Wetter sauer geworden war, mussten es die Feldköche in den Straßengraben schütten, während die Mägen der Landser vor Heißhunger nur so knurrten.
»Den Fleischverzehr müssen wir inzwischen aus den eroberten Gebieten requirieren, und ich bin der Unglückliche, der mit dem Metzgergehilfen der Küche über Land fahren und das Vieh den Bauern wegnehmen soll«, klagte der Münchner Heinrich Heimkes. »Einmal sollte es ein Schwein sein. Die Dorfkolchose war schon leer geräumt, also sind wir zu den Bauern. Ich kann mich noch gut erinnern: Eine Frau mit mehreren kleinen Kindern fiel vor uns bittend auf die Knie, wir möchten ihr doch das einzige Schwein für ihre zahlreiche Familie lassen. Wir sind weitergezogen, aber das ist dann Haus für Haus so oder ähnlich vor sich gegangen, bis es meinem Kameraden zu dumm geworden ist und wir ein fettes Schwein zur Kompanie gebracht haben, das mir gewissermaßen aus Rache die Brücke meines Fahrzeuges im wahrsten Sinne des Wortes versaut hat.«48
Da die 4. Gebirgs-Division des Generalmajors Karl Eglseer bis zum Beginn des Russlandfeldzuges als Reserve des Oberkommandos des Heeres fungierte, stand sie am ersten Tag des Unternehmens »Barbarossa« nicht gleich im Brennpunkt der heftigen Auseinandersetzungen. Doch dann wurde die »Enzian«-Division ab 25. Juni endgültig für fast zwei Jahre dem Generalkommando des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps unterstellt. Von nun an marschierte die »Vierte« neben ihrer Schwesterdivision, der »Ersten«, über Monate hinweg ostwärts – und zwar von Lemberg durch den Südabschnitt der Ostfront bis zum Kaukasus und von dort in den Kuban-Brückenkopf. Es war am 26. Juni 1941, als die 4. Gebirgs-Division vom XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps den Befehl erhielt, die bereits stark angeschlagene 68. Infanterie-Division in ihrer vorderen Linie im Raum um Jaworow abzulösen. Kübler zog damit die frische »Enzian«-Division in die erste Angriffslinie vor. Sie sollte zusammen mit der 257. Infanterie-Division den Schutz der tiefen Südflanke der 1. Gebirgs-Division übernehmen und dann die Seenenge bei Dobrostany und Kamienobrod durchbrechen. Die Ablösung der beiden Gebirgs-Großverbände verlief reibungslos, die russischen Verbände zogen sich unter dem Schutz von starken Nachhuten ostwärts zurück.
»Dann sahen wir den ersten Russen«, berichtet Werner Schneider von der 4. Gebirgs-Division. »Klein und krumm lag er im Straßengraben, bartlos das Gesicht, in guter Uniform und festen Stiefeln. Es folgten mehr und mehr, lauter junge Kerle, kaum 20 Jahre mochten sie zählen, karmesinrot der Rand ihrer Mützen. Gefallene lagen überall im Getreide. Einzelne waren von unseren Soldaten bereits bestattet, ein in den Boden gestecktes Gewehr und die Mütze darauf zeigten ihre Gräber. Wir marschierten weiter, gleichmäßig trappten die Füße. Jeder war schweigsam geworden und versuchte, mit seinen Gedanken fertig zu werden. Wieder wurde es Abend. Gegen Mitternacht erreichten wir einen Wald. An seinem Ostrand war unser Bereitstellungsraum. Nun waren wir vorn. Wo stand der Feind?«49
Wie die Aufklärung ergeben hatte, stand der Gegner in der Seenenge von Grodek und Kamienobrod. Diese bildete eine Schlüsselstellung der Sowjets, da sie als natürliches Hindernis den Zugang in die alte galizische Hauptstadt Lemberg versperrte, die die 1. Gebirgs-Division unter General Kübler bereits im Polenfeldzug eingenommen hatte und dann den Sowjets auf Grund der deutsch-sowjetischen Vereinbarungen überlassen musste. Jetzt standen die deutschen Gebirgssoldaten abermals vor der leidgeprüften Stadt. Rasch wurde eine Speerspitze der 4. Gebirgs-Division zusammengestellt. Auch jetzt waren wieder fast alle Truppengattungen in der Vorausabteilung vertreten.
Sobald sich die Deutschen Lemberg abermals näherten, zeigte der russische Bär den »Blumenteufeln« wiederum seine starken Tatzen. Nachdem die Vorausabteilung es gerade noch geschafft hatte, bis in die Seenenge von Kamienobrod vorzudringen, lief sich der Angriff fest. Erst als Generalmajor Eglseer am frühen Morgen seine beiden Gebirgs-Jäger-Regimenter 13 und 91 ins Gefecht schickte, konnte der hartnäckige Widerstand der Sowjets gebrochen werden. Aber um welchen Preis!
Das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps verlor in vier Kampftagen bei einem Geländegewinn von 40 bis 50 Kilometern nicht weniger als 45 Offiziere sowie 827 Oberjäger und Jäger; auf die 1. Gebirgs-Division entfielen davon 8 Offiziere und 92 Oberjäger und Jäger. Dennoch nahmen die Gebirgssoldaten die Verfolgung des Feindes rasch wieder auf. Nun galt es, Lemberg von Norden mit dem benachbarten XXXXIV. Armeekorps und von Süden mit dem XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps einzuschließen und zur Übergabe zu zwingen.
»Bereits 5 Tage und Nächte dauerte die erbitterte Schlacht in der grenznahen Zone«, schrieb der Sowjet-Marschall I. Ch. Bagramjan. »Trotz großer Kräfteüberlegenheit und der Vorteile, die der plötzliche Überfall dem Gegner gebracht hatte, konnte er den Widerstand unserer Truppen nicht brechen. Es gelang ihm in der Hauptstoßrichtung nicht, die taktischen Erfolge in operative zu verwandeln; nämlich unsere Front zu durchbrechen und in die Tiefe unseres Territoriums vorzudringen. Doch das faschistische Oberkommando verfügte über mächtige Reserven, der Gegner versuchte alles, um die Schlacht auf ukrainischem Boden zu gewinnen.«50
Am 29. Juni 1941 gab General Kübler einen seiner zahlreichen drakonischen Befehle heraus, die ihm später zum Verhängnis wurden und ihn als Kriegsverbrecher an den Galgen brachten: »Die Meldungen, dass Zivilisten in immer größerem Umfange auf den Schlachtfeldern plündern, häufen sich. Der Kommandierende General gibt daher, um dem zu begegnen, Befehl, dass alle erwachsenen zivilen Plünderer auf dem Schlachtfeld zu erschießen sind«, heißt es im Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps.51
Bedauerlicherweise kam es in sowjetischen Ortschaften und Städten wiederholt zu Plünderungen und Diebstählen durch deutsche Soldaten. Wurden solche Plünderer auf frischer Tat ertappt, dann wurden sie genau wie Deserteure nach dem harten Kriegsrecht von gnadenlosen Militärrichtern mit dem Tode bestraft. An diesen Erschießungen mussten zwecks Abschreckung Abordnungen von allen Einheiten und Stäben teilnehmen.
5.
Die Pogrome von Lemberg
Ende Juni 1941 erreichte das XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps den Raum um Lemberg – und zwar mit der 1. Gebirgs-Division auf dem linken Flügel, der 4. Gebirgs-Division, die zunächst noch in Reserve lag, der 68. und 257. Infanterie-Division sowie der 100. und 101. leichten Infanterie-Division gegen den Frontbogen nördlich von Przemysl vorstoßend. Selbstbewusst verkündete General Lanz: »Jetzt gehört Lemberg uns.«52
Doch zunächst war Major Schneider als Kommandeur des I./Gebirgs-Jäger-Regiments 91 mit einer Vorausabteilung zum Angriff auf der großen Straße, die von Grodek nach Lemberg führt, angetreten. Bei Kaltwasser stieß er auf außerordentlich zähen Widerstand der Sowjets. Besonders zu schaffen machten ihm dabei die gegnerischen Panzer; vor allem die überschweren Kolosse, die seinen Gebirgsjägern auf dem sowjetischen Kriegsschauplatz zum ersten Male in einem derartigen Ausmaße begegneten. Doch schließlich wurden diese Stahlkolosse von den »Blumenteufeln« zerstört.
Die Sowjets gaben sich dennoch nicht geschlagen. Vielfach versuchten sie, ihre abgeschossenen Panzer im Schutze der Nacht abzuschleppen. Aber die Gebirgssoldaten vereitelten das zumeist rechtzeitig. Wie mächtige, gestrandete Ungetüme blieben daher die Wracks der sowjetischen Panzer liegen.
Nachdem das Gebirgs-Jäger-Regiment 13 nach ebenso harten Kämpfen die Verbindung mit der benachbarten 257. Infanterie-Division