Feuerjäger: Sammelband. Susanne Pavlovic. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Susanne Pavlovic
Издательство: Bookwire
Серия: Feuerjäger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958691506
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      »Was ist das?«, fragte Lomir, dessen Gesicht über dem dichten Bart nun auch eine Spur blasser war als üblich.

      »Ein Gespenst«, hauchte Pintel mit weit aufgerissenen Augen.

      »Ich dachte, Gespenster sind Kindermärchen«, sagte Lomir, der sich mit Krona zur Tür zurückzog.

      »Offenbar nicht«, sagte Krona, deren erhobene Schwertspitze kaum merklich zitterte.

      »Was macht der hier?«, fragte Lomir, als sie sich auf dem Gang um Pintels Laterne sammelten.

      »Keine Ahnung«, sagte Pintel.

      »Frag ihn doch«, sagte Krona.

      »Gute Idee«, sagte Lomir und steckte erneut den Kopf in den Raum.

      »Heda!«, hörten sie ihn. »Was machst du da? Hallo? Kannst du mich verstehen? Er reagiert nicht«, berichtete er den Gefährten.

      »Seine Seele ist an diesem Ort gefangen«, sagte Nardon. »Ich habe davon gelesen. Es geschieht manchmal, dass im Tod die Seele sich nicht von einem Ort lösen kann. Man bringt den Körper fort, aber die Seele verweilt.«

      »Für so etwas kann ich mir schönere Orte vorstellen«, sagte Krona schaudernd.

      »Zumeist sind es Orte, die den Verstorbenen an sich gebunden haben«, erklärte Nardon leise. »Und solche Bindungen geschehen überwiegend aus Leid. Freude und Glück sind einfach nicht stark genug.«

      »Warum spricht er nicht mit uns?«, fragte Lomir. »Ist er nicht froh über ein bisschen Gesellschaft nach all den Jahren?«

      »Wir existieren nicht für ihn. Er ist in seiner eigenen Gegenwart gefangen, die ja von uns aus betrachtet in der Vergangenheit liegt.«

      »Woher weißt du das alles?«, fragte Pintel staunend.

      »Hab ich gelesen«, sagte Nardon.

      »Das ist auch der Grund, warum er nie die wirklich scharfen Mädels abgekriegt hat«, sagte Lomir grinsend, aber er wirkte etwas zu bemüht.

      »Wenn ich es recht verstehe, ist er nicht gefährlich?«, fragte Krona.

      »Nein«, sagte Nardon.

      »Das ist gut«, sagte Pintel mit flacher Stimme. »Das gilt dann wohl auch für den, der gerade auf uns zu kommt.«

      Die Gefährten sprangen auseinander. Eine neue durchscheinende Gestalt wehte den dunklen Gang entlang, ihr fahles Leuchten verbreitend, den Mund zu einem unhörbaren Schrei aufgerissen, die mageren Hände wie Klauen vor sich ausgestreckt. Krona schloss die Augen, als es an ihr vorbei zog, und spürte schaudernd, wie Kälte sich in ihrem Körper ausbreitete.

      »Was für ein Irrenhaus«, sagte sie mit klappernden Zähnen. »Los, wir gehen.«

      »Was ist mit den übrigen Räumen?«, fragte Lomir.

      »Schau sie dir gerne an. Ich bin sicher, du wirst nichts finden.«

      »Der Vollständigkeit halber«, sagte Lomir. »Wer kommt mit?«

      »Ich«, sagte Nardon widerstrebend, aber loyal.

      Die anderen warteten an der Mündung zur Halle. Schon nach kurzer Zeit kamen Lomir und Nardon zurück.

      »Nichts«, sagte Nardon. »Nur eine weitere unglückliche Seele.«

      »Sie sitzt da und schlägt den Kopf gegen die Wand«, berichtete Lomir schaudernd. »Ich kann nur hoffen, dass Geister kein Kopfweh kriegen.«

      Die Untersuchung der weiteren Gänge ergab nichts als weitere Zellen, zwei Aufseherräume, eine Latrine und etwas, das eine Küche gewesen sein konnte. Halb erleichtert, halb beklommen kehrten sie zur Treppe zurück und stiegen hinauf ins nächste Stockwerk. Eine weitere Halle lag vor ihnen, und immer noch weiter führte die Treppe hinauf. Der Grundriss dieses Stockwerks schien ähnlich dem darunter liegenden, allerdings gab es hier keine Gitter. In den Räumen fanden sie Reste von Lagerstätten und Möbeln und einige völlig verrostete Schwerter. Sie wollten ihre flüchtige Suche gerade beenden und ins nächste Stockwerk wechseln, als sie Fenrir rufen hörten.

      Tageslicht fiel durch die Tür, die er gerade aufgestoßen hatte. Sie hörten Möwengeschrei und das dunkle Rauschen des Meeres. Kalte, salzige Seeluft legte sich auf ihre Gesichter, als sie hinter Fenrir den Raum betraten.

      Ein hoher Durchgang führte aus diesem Raum hinaus auf einen steinernen Balkon und erlaubte einen Blick auf den zweiten Turm der Festung, dessen schwarze Masse sich wie ein Scherenschnitt gegen den verhangenen Himmel abhob.

      »Guter Platz für ein Picknick«, sagte Lomir und spähte hinaus. »Nur haben sie das Geländer vergessen.« Er sah hinunter in den dunklen Spalt, an dessen unterem Ende sich die Fundamente der beiden Türme trafen. Noch tiefer unten schäumte das Meer gegen den Fels. Er hob den Blick wieder und sah durch die Regenschleier hinüber zu dem anderen Turm.

      »Seht mal. Direkt gegenüber gibt es ein zweites solches Sims. Wozu die wohl gut sind? Krona?«

      »Keine Ahnung«, sagte Krona, die die Gelegenheit nutzte, an den letzten Flammen ihrer heruntergebrannten Fackel eine neue anzuzünden. »Sicher nicht zu einem Picknick.«

      »Eine Verteidigungsvorrichtung?«

      »Ich wüsste nicht, wie die funktionieren sollte.«

      »Man stellt den Feind drauf und schubst ihn runter«, schlug Pintel vor.

      »Prima Idee. Und jetzt lasst uns gehen. Lomir, komm schon. Lehn dich nicht so weit nach vorne.«

      »Rätselhaft.« Widerstrebend riss Lomir sich von der seltsamen Öffnung los.

      Sie kehren zurück zur Treppe und stiegen ein Stockwerk höher. Hier endlich endete die Treppe. Diesmal benötigten sie Fenrirs Hinweis nicht: Sie bemerkten selbst, dass die Luft hier frischer war, gelegentlich wurde sogar ein leichter Luftzug spürbar. Die Halle, in der die Treppe endete, war größer als alle bisherigen; von der Treppe aus erreichte ihr Licht keine der Wände. Als sie sich zehn oder fünfzehn Schritte von der Treppe entfernt hatten, bemerkten sie trübes Tageslicht, das durch Schlitze in der Decke sickerte. Darunter befand sich eine hohe, dunkle Masse, die sich, als sie sich näherten, als gemauerte Rampe entpuppte, die hinauf zu einer riesigen Klappe in der Decke führte. Große Gerätschaften standen daneben, zusammengefügte und auf Wagen angebrachte Holzbalken und Reste von Netzen und sorgfältig aufgetürmte Steinhaufen.

      »Ballista«, sagte Krona.

      »Gesundheit«, sagte Pintel.

      »Ich meine diese Dinger hier. Das sind Ballista. Riesige Steinschleudern. Man konnte sie wohl oben auf der äußeren Plattform in Stellung bringen und Schiffe damit beschießen.«

      »Was auch heißt, dass wir hier nichts finden werden«, sagte Nardon. »Wir haben im falschen Turm angefangen. Wie viel Zeit haben wir verloren? Eine Länge?«

      »Etwas mehr«, schätzte Lomir. »Eine und eine halbe.«

      »Wir sollten uns beeilen«, sagte Nardon. »Unsere eigentliche Arbeit beginnt erst, wenn wir Karcharoths Räume gefunden haben. Die Suche dort wird uns Zeit kosten, und dann möchte ich nicht die Eile im Nacken haben.«

      »Keller«, sagte Krona. »Wie gesagt: die einzige Möglichkeit. Ein Gang, der durch den Felssockel hinüber führt.«

      »Dann los«, sagte Lomir seufzend.

      Hintereinander stiegen sie die Treppen hinunter, bis sie schließlich wieder im Keller anlangten.

      »Der Turm ist verlassen«, sagte Fenrir. »Jedenfalls so gut wie. Und hier unten haben wir bisher auch nichts entdeckt als staubige Räume. Ich denke, wir können es riskieren und uns aufteilen, um diese Suche zu beschleunigen.«

      »Lasst uns in dieser Richtung beginnen«, schlug Nardon vor und zeigte mit dem Finger. »Das ist die dem anderen Turm zugewandte Seite. Wenn ich einen Gang graben würde, würde ich es dort tun.«

      »Einverstanden«, sagte Krona. »Wir entfernen