»Viel Zucker schmeckt überhaupt immer gut«, meinte Kitty altklug, um sich gleich darauf zu erkundigen: »Wo steckt eigentlich Munko wieder einmal?« Dann verzehrte sie mit bestem Appetit Plinse Nummer eins und zwei und trank dazu ein Glas Johannisbeersaft.
»Ach, weißt du, Munko geht gern eigene Wege.«
»Will er auch in den Wald wie Langohr?«
»Nein. Munko kommt bestimmt immer zurück. Darauf kann man sich bei ihm ganz fest verlassen.«
»Ob er im Wald Langohr trifft?«
»Ja, das kann schon einmal passieren. Aber er würde Langohr nichts tun. Erstens jagt er überhaupt nicht, und zweitens kennt er Langohr ganz genau.«
»Das ist gut. Denn Munko ist ein großer starker Hund. Er könnte Langohr oder seinen Kinderchen schon etwas tun.«
Andrea war ein wenig betroffen, wie sehr das Kind noch immer an dem Hasen hing, der seinerseits von Kittys freundlicher Zuneigung niemals die geringste Notiz genommen hatte. Aber wie das nun einmal war, echte Liebe rechnete nicht mit Gegenliebe oder Lohn.
Wahrscheinlich war die kleine Kitty ganz einfach hasennarrisch. Deshalb wollte Andrea versuchen, ein Langohr für das Tierheim aufzutreiben. Wer konnte an Kittys Herzenswünschen schon vorübergehen, ohne sich sofort den Kopf zu zerbrechen, wie sie zu erfüllen seien?
Nun, der Zufall schien sich dem heißen Wunsch des kleinen Mädchens offenbar ebenso wenig entziehen zu können wie die Menschen. Schon eine halbe Stunde später geschah das Wunder. Es sah allerdings Anfangs gar nicht nach einem Wunder aus, denn draußen fuhr das Auto des jungen Försters Klaus Schröder vor. Das war nichts Außergewöhnliches, und Andrea nahm zunächst an, der Förster wolle zu ihrem Mann in die Praxis.
Doch Klaus Schröder wandte sich direkt an die junge Hausherrin. Er trug etwas winzig Kleines, Zusammengeducktes in der Hand, und ihm folgte Munko, den sie eben noch vermisst hatten, mit hoch erhobenem Kopf. Man konnte dem Schäferhund ohne Mühe ansehen, dass er sich eindeutig als Hauptperson der Szene fühlte. Sogar der Dackel Waldi schien das zu respektieren, denn er hielt sich ausnahmsweise einmal im Hintergrund und lenkte die Aufmerksamkeit nicht durch lautes Kläffen und Umhertollen auf sich.
»Wollen Sie ihn aufziehen im Tierheim, Frau von Lehn?«, fragte Klaus Schröder. »Da, schau einmal, Kitty, was ich hier habe.«
Kitty stand wie verzaubert. »Ein Häschen«, flüsterte sie. »Das ist bestimmt Langohrs Kind, und er schickt es mir. Nicht wahr, wir behalten es im Tierheim, Tante Andrea? Weiß Helmut Koster, wie man ein Häschen füttert? Es ist doch noch so klein. Braucht es Milchbrei wie das Peterle?«
»Wir werden ihm ein warmes Nestchen bauen, und Helmut Koster weiß ganz bestimmt, was es bekommen muss, um größer zu werden. Wenn nicht, können wir Onkel Hans-Joachim fragen. So ein Tierdoktor versteht sich auch auf die Tierkinder und deren Ernährung«, meinte Andrea. »Was für ein süßer kleiner Hase. Schau nur, die Öhrchen sind ganz rosig. Man muss ihn gleich lieb haben. Du kannst mir glauben, das ist Langohrs Hasenkind.«
Gemeinsam mit dem Förster ging es zum Tierheim, wo Helmut Koster das Tierchen mit allen Zeichen des Entzückens in Empfang nahm.
»Sie müssen nur achtgeben, dass Ihre frechen Füchse dem kleinen Burschen nichts tun«, warnte der erfahrene Förster. »Sonst aber würde ich meinen, dass das Tier kräftig genug ist, um ohne Häsin auszukommen. Ein Wilderer hat sie geschossen. Eine Gemeinheit.«
»Wie haben Sie das Mümmelmännchen gefunden?«, erkundigte sich Helmut Koster und hielt das verängstigte kleine Tier so schützend in der Hand, dass es schon einmal wagte, das Köpfchen zu heben und die Ohren ein wenig aufzurichten – ein erstes Anzeichen beginnenden Vertrauens.
»Das ist Munkos Verdienst. Ich war im Revier unterwegs, als ich in ziemlicher Entfernung einen Schuss hörte. Sie können sich denken, wie zornig ich war. Wieder einmal einer von diesen Wilderern! Es hört nicht auf und ist schon eine Art Sport geworden. Es gilt als schick, einen Hasen oder eine Ricke zu schießen – gleichgültig, ob Schonzeit ist oder nicht. Dass es verboten ist, scheint den Reiz dieses hässlichen Wettbewerbs bei gewissen Burschen noch zu erhöhen.«
»Konnten Sie den Mann erwischen?«, fragte Andrea gespannt.
Wer das Wild unerlaubt und zur unrechten Zeit jagte, war in ihren Augen ein Verbrecher, für den es kein Pardon gab.
»Nein, die Entfernung war zu groß. Es ist im Wald ziemlich schwer, die genaue Richtung festzustellen, aus der ein Schuss kommt. Die Stämme lenken das Echo ab. Man wird meistens getäuscht und hetzt sich vergeblich ab.«
»Auf diese Weise kommt so ein Mensch sogar am hellen Tag ungestraft davon. Mag er sich am Hasenbraten gründlich den Magen verderben!«, sagte Andrea grollend.
»Als ich noch stand und überlegte, was ich tun soll, hörte ich im Unterholz plötzlich ein Hecheln und brechende Äste. Ich fragte mich, ob der unverschämte Wilderer sogar einen abgerichteten Jagdhund mitgebracht hatte, der ihm die Beute bringen oder verbellen sollte. Doch es war unser guter Munko, der da vorbeischoss. Im letzten Moment erkannte ich ihn. Dass Munko nicht jagt oder wildert, weiß ich ja. Mir wurde sofort klar, dass er hinter dem Mann oder hinter dessen Jagdbeute her war. Deshalb rief ich ihn nicht zurück, sondern ließ ihn gewähren. Auf Munko kann man sich verlassen. Allerdings war ich gleich darauf ein wenig in Sorge um ihn. Denn so ein Jagdfrevler schreckt natürlich auch nicht davor zurück, einen Hund, der ihm in die Quere kommt, abzuknallen. Aber als ich daran dachte, war es schon zu spät. Mein Ruf konnte Munko nicht mehr aufhalten. Trotz seines lahmen Beines hatte er sich schon weit vorgearbeitet. Ich hörte sein kurzes Blaffen – Bestätigung meines Rufes – in ziemlich großer Entfernung.«
»Und was passierte dann?«, fragte Kitty mit runden Augen.
»Eine Weile gar nichts. Ich ging weiter und hielt fleißig Ausschau nach dem Mann oder dem Hund. Endlich hörte ich Munko zurückkommen. Ja, und dann tauchte er auf, das Häschen vorsichtig im Maul tragend. Er legte es mir zu Füßen, legte seinen Kopf ein bisschen schief und bellte einmal ganz zart und leise, als wollte er das arme kleine Tier nicht erschrecken.«
»So ein guter Munko«, seufzte Kitty begeistert.
»Ja, Munko ist tatsächlich ein fabelhafter Polizeihund. Er führte mich dann zu einer schmalen Lichtung mitten im Forst, wo er den kleinen Hasen gefunden hatte. Man sah noch die Spuren im Gras. Die Häsin war fortgetragen worden. Der Wilderer hatte die Frechheit besessen, seine Beute zu holen. Wahrscheinlich war Munko so mit dem Jungtier beschäftigt gewesen, dass er von dem fremden Mann keine Notiz genommen hatte. Andernfalls wäre es dem Mann möglicherweise übel ergangen. Denn Munko versteht mit Fremden, die nichts in unserem Forst zu suchen haben, wenig Spaß.«
Kitty war wie verzaubert. Mit vorsichtigem Fingerchen berührte sie den kleinen Hasen. Helmut Koster setzte das ängstliche Tierchen nun in ein Nest von Heu in einem großen Karton.
»Wie nennen wir ihn?«, fragte Andrea, die glücklich war, dass so blitzschnell ein Ersatz für Langohr ins Tierheim gekommen war.
»Warte einmal, Tante Andrea. Ich muss überlegen. Darf ich ihm einen Namen geben? Ich habe mir doch so sehr einen Hasen gewünscht. Und jetzt ist wirklich einer gekommen. Noch dazu so ein süßer kleiner Wollball.«
»Eigentlich muss Herr Schröder den Namen aussuchen. Oder, genau genommen, Munko. Aber ich denke, sie werden dir beide erlauben, dass du es tust.«
»Ja, darf ich?«, fragte Kitty mit ihrem bittenden Aufschlag ihrer schwarzen Augen zum Förster, dem gewiss niemand widerstehen konnte.
»Nur zu, Kitty. Überlege dir einen feinen Namen.«
»Langohr passt nicht, weil seine Öhrchen noch so klein sind«, meinte Kitty mit ernster Miene. »Aber Mummel gefällt mir. Er mümmelt so niedlich mit seiner Hasennase. Mögt ihr Mummel?«
»Ein schöner Name. Wie ist er dir denn so schnell eingefallen?«, staunte Andrea.
»Ich