Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia Vandenberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patricia Vandenberg
Издательство: Bookwire
Серия: Sophienlust Paket
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740971076
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wenn ich nicht Geige spielen kann. Überall bin ich auf die Hilfe anderer Leute angewiesen. Du verzichtest schon auf dein Gehalt, und in Sophienlust hat Kitty einen Freiplatz. Ich darf mich auf die Dauer nicht auf die Hilfsbereitschaft meiner Mitmenschen stützen. Dann will ich lieber sterben.«

      Marianne kämpfte mit den Tränen. Doch sie fasste sich ein Herz und sprach das aus, was sie schon oft insgeheim gedacht hatte.

      »Vielleicht hätten Sie Herrn Fernau damals doch heiraten sollen, Frau Linden – auch wenn Sie ihn nicht geliebt haben. Es wäre doch alles leichter geworden – mit dem Kind und auch mit Ihrer Kunst. Sie hätten nur noch um der Freude willen zu spielen brauchen. Und jetzt, in der Not, wären wenigstens keine Existenzsorgen dazugekommen. Es ist eben nicht immer die große Liebe, wenn man heiratet. Aber wenn ein Kind unterwegs ist, dann muss man überlegen, ob es nicht klüger ist, den Weg, den man einmal eingeschlagen hat, weiterzugehen. Herr Fernau war doch ein so sympathischer Mann. Sie wären ganz gewiss recht gut mit ihm ausgekommen. Ich hatte auch den Eindruck, dass er Sie sehr lieb hatte. Aber ich war damals noch sehr jung. Vielleicht irre ich mich auch. Sie nehmen es mir doch hoffentlich nicht übel, dass ich so offen darüber spreche?«

      »Nein, Marianne, du darfst alles sagen. Dazu hast du wirklich jedes Recht. Aber ich muss dir gestehen, dass du nicht alles weißt. Ich war damals so tief verletzt, dass ich sogar dir gegenüber einiges verschwieg. Es ist nämlich so, dass ich gar keine Möglichkeit hatte, ihn zu heiraten.«

      »Weil Sie keinen deutschen Pass haben und er Angehöriger der Botschaft war? Das hat doch keine Bedeutung. Sie können nachweisen, dass Sie Deutsche sind, und Sie können den Pass jederzeit erwerben.«

      »Nein, mit dem Pass hat es nichts zu tun. Aber Axel Fernau war bereits mit einer anderen Frau verlobt und sollte sie heiraten. Es war eine Gräfin Lichtenfels. Vielleicht erinnerst du dich an sie. Ich habe sie in Paris einmal auf einem Fest getroffen und habe sie sogar anschließend ahnungslos mit in meine Pension zum Kaffee genommen. Es waren viele Leute da, und du hast uns alle mit einem nächtlichen Frühstück bewirtet.«

      »Ja, ich glaube, ich sehe sie noch vor mir. Überschlank, ziemlich groß, ein schönes kühles Gesicht, stahlblaue Augen unter aschblondem Haar. War das die Gräfin?«

      »Ja, das war sie. Sie ist eine Erscheinung, die sich jedem, der sie kennenlernt, einprägt. Axels Mutter kam damals, im Anschluss an diesen ausgelassenen Abend, zu mir und bedeutete mir, dass ihr Sohn mit der Gräfin verlobt sei und sie demnächst heiraten würde. Ich zählte zwei und zwei zusammen. Es war ein klarer Fall, denn zwei Abende zuvor hatte ich mit eigenen Augen gesehen, dass er sie von meiner Pension aus nach Hause gefahren hatte. Das war also nicht reine Höflichkeit gewesen, sondern eine Verpflichtung, der er sich als ihr Verlobter kaum hatte entziehen können. Deshalb musste ich einsehen, dass er mir eine abscheuliche Komödie vorgespielt hatte. Das, was mir ein Herzensanliegen gewesen war und was ich für die ganz große Liebe gehalten hatte, war für ihn nur ein flüchtiges Abenteuer gewesen. Wahrscheinlich bildete er sich ein, dass er mit einer Violinenkünstlerin ein so frivoles Spiel ungestraft spielen dürfe. Dann, als er vielleicht ahnte, dass ich ihn wirklich liebte, war er sogar zu feige, mir selber die Wahrheit zu gestehen. Er schickte seine Mutter zu mir, die mir begreiflicherweise verhasst und unsympathisch war.«

      »Davon wusste ich nichts. Sie haben sich erstaunlich gut beherrscht. Sie sagten mir damals, Frau Fernau sei gekommen, um Sie im Namen ihres Sohnes um Ihre Hand zu bitten, aber sie hätten erklärt, dass Sie ihn nicht heiraten könnten.«

      »Das war eine Lüge. Es gelang mir sogar, Axel gegenüber meinen Stolz und mein Gesicht zu wahren. Ich schrieb ihm einen Brief und behauptete, dass er mir nichts mehr bedeute. Er sollte nicht glauben, dass er es sei, der mir den Laufpass gebe.«

      »Was müssen Sie damals gelitten haben, Frau Linden!« Marianne war tief betroffen.

      »Es war eine schreckliche Zeit. Bei unserem nächsten Wiedersehen hatte ich ihm sagen wollen, dass ich ein Kind erwartete. Doch nun war mit einem Schlage alles aus. Meine Liebe lag in Scherben am Boden, und mein Kind würde keinen Vater haben. Eben noch hatte ich mich auf das Kind gefreut und davon geträumt, dass Axel und ich heiraten würden. Jetzt zerrann der Traum in nichts. Alles war eine schöne Illusion gewesen. Ein Mann hatte ein gewissenloses Spiel mit der Liebe einer Frau gespielt. Die alte Geschichte, die man hundert Mal hört, die aber erst bitter und tragisch wird, wenn man sie am eigenen Leib erfährt. Wie es weiterging, weißt du, Marianne. Ich arbeitete wie eine Besessene und lernte es, mit meinem so jäh veränderten Leben fertig zu werden. Meine Musik tröstete mich und ebnete mir die Wege, die mir anfangs so steil und dornenreich erschienen waren. Alles ging, weil ich den festen Vorsatz hatte, mich nicht unterkriegen zu lassen, sondern mein Schicksal zu meistern. Ich lernte es, mein Kind zu lieben, noch ehe es geboren wurde. Als ich Kitty dann in den Armen hielt, wusste ich, dass das alles nicht sinnlos gewesen war, denn dieses Kind ist ein Geschenk des Himmels. Mein Leben wäre arm und leer ohne Kitty.«

      »Ja, das ist wahr«, flüsterte Marianne erschüttert. »Auch mir erschiene alles, was ich tue, sinnlos, wenn Kitty nicht da wäre. Für das Kind lohnt es sich zu plagen und alle Schwierigkeiten zu ertragen.«

      »Du sprichst, als wäre Kitty dein eigen Fleisch und Blut, gute Marianne.«

      »Ist da noch ein Unterschied? Kitty ist ein Teil von uns beiden. Oder ist es unbescheiden, wenn ich mich so ausdrücke?«

      »Nein, es ist sehr lieb, und es macht mich glücklich, dass du so denkst. Wenigstens weiß ich, dass du Kitty nicht im Stich lassen würdest, wenn mir etwas zustoßen sollte.«

      »Ihnen wird nichts geschehen, Frau Linden. Sie sind ja nur ein paar Jahre älter als ich. Sie werden gesund werden und wieder Geige spielen wie früher.«

      »Und wenn nicht?«

      »Dann fällt uns schon etwas anderes ein. Man soll die Schuhe nicht ausziehen, ehe man nicht am Wasser steht. Das hat meine Großmutter immer gesagt. Sie war eine einfache Frau, aber sehr, sehr klug.«

      »Die Schuhe nicht ausziehen, ehe man nicht am Wasser steht. Das ist ein weises Wort. Aber ich frage mich, ob ich nicht schon am Wasser angekommen bin. Ich bin krank, ohne Geld und ohne Hoffnung.«

      »Nein, das dürfen Sie nicht sagen. Noch haben wir den Schmuck. Ich weiß, dass er eine ganze Menge wert ist.«

      »Man bekommt nicht viel, wenn man Wertsachen verkaufen muss. Das ist leider eine alte Erfahrung, Marianne. Ich hänge nicht an dem Glitzerzeug. Trotzdem wird es mir schwer, die Sachen einfach wegzugeben, weil mir dann nichts für meine kleine Kitty bleibt. Aber im Augenblick wird uns nichts anderes übrig bleiben. Du musst einmal nachschauen, was wir zuerst nehmen. Am besten trägst du die Sachen ins Leihhaus. Da hat man wenigstens die Hoffnung, dass man die Sachen in besserer Zeit wieder auslösen kann. Wenn nicht, kommt alles zur Versteigerung, und man bekommt sogar den Rest des Geldes ausbezahlt. Es ist sicherlich nicht die klügste Art, seinen Schmuck zu Geld zu machen, aber mir fällt nichts anderes ein. Und vielleicht können wir den Schmuck ja auch wirklich wieder zurückholen.«

      Marianne nickte.

      »Ich nehme die schwere Goldkette mit dem Brillantanhänger. Dafür müsste man eine Menge kriegen. Aber ich glaube, wir können noch eine oder zwei Wochen damit warten. Der Professor schickt seine Rechnung vorerst sicherlich nicht. Die Miete hier im Haus ist gerade fällig gewesen, und sonst brauchen wir ja nicht viel. Für die laufenden Ausgaben und für die Apotheke reicht es schon noch ein paar Tage lang.«

      »Die Schuhe nicht ausziehen, ehe man nicht am Wasser steht«, wiederholte Rosita gedankenvoll und ernst.

      »Darf ich noch etwas fragen – von damals?«, sagte Marianne zögernd.

      »Natürlich, warum nicht, Marianne?«

      »Was wurde aus Herrn Fernau? Hat er die Gräfin wirklich geheiratet?«

      »Ja. Es stand damals in Paris in der Zeitung. Ich war sehr unglücklich, als ich es las. Nicht um die Welt hätte ich es fertiggebracht, dir etwas davon zu sagen. Da du die französische Zeitung nicht lesen konntest, war es nicht schwierig, dir diese Meldung zu verheimlichen, die meine letzte Hoffnung auslöschte.«

      »Haben