Schwarzes Glas - Die Reise in die Zwischenwelt. Hendrik Lambertus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hendrik Lambertus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192693
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Elias nicht zu denken gewagt hatte. Shaka drückte den Foto-Auslöser. Erwartungsvoll öffnete sie das Bild. Es war nichts darauf zu sehen. Kein Haus und kein Flügelwesen.

      »Genau wie bei dir und Niniane«, seufzte sie. Elias sprang auf und ging einige Schritte über den knirschenden Kies auf und ab. Er konnte jetzt nicht ruhig sitzen bleiben! Nicht mit diesem Gedanken …

      »Das ist keine Witzfoto-App«, sprach er es schließlich aus. »Das ist eine App, die Dinge zeigt, die gar nicht da sind. Und die irgendwie doch da sind. Wie dieses Haus. Oder das Flügelding. Oder wie Ninianes Schleierflossen.«

      Oder wie meine Hörner, dachte er, sagte es aber nicht. Die Vorstellung war einfach zu absurd. Er hatte keine Hörner, hatte nie welche besessen und wollte auch keine haben! Elias ertappte sich dabei, dass er mit der Hand misstrauisch über seine Stirn fuhr. Nichts, nicht mal der kleinste Huckel. Was denn auch sonst.

      Shaka schaute ihn ernst an.

      »Ich glaube dir, dass dich das stresst«, sagte sie. »Und ich weiß langsam auch nicht mehr weiter. Falls das irgendein Hoax ist, dann ist er jedenfalls verdammt gut gemacht.«

      »Wenn man wenigstens Fotos davon haben könnte«, erwiderte Elias hilflos.

      »Warte mal!« Shaka sprang plötzlich auf und zog ihr Handy aus der Tasche. Sie öffnete die »In-Between«-App und richtete das Gerät auf das nicht vorhandene Haus. Es erschien brav auf dem Display.

      »Und jetzt machst du ein Foto von mir, wie ich das Handy da draufhalte!«, rief sie. »Und pass auf, dass das Display gut zu erkennen ist! Wir haben leider kaum noch Licht.«

      Elias verstand. Er öffnete seine Kamera-App, zoomte Shakas Hand mit dem Handy heran und drückte ab. Dann öffnete er das Foto. Hand und Handy waren darauf zu sehen. Das Haus nicht. Das Handy-Display auf dem Foto zeigte einfach nur ein dunkelgraues Stück Abendhimmel.

      Wortlos reichte Elias das Gerät an Shaka. Sie schüttelte entgeistert den Kopf.

      »Das Ding erscheint noch nicht mal auf dem Foto von einem Foto!«, schimpfte sie dann empört, als sei das Haus nur verschwunden, um sie persönlich zu ärgern. »Wie haben die den Mist bloß programmiert?«

      »Keine Ahnung«, brummte Elias. Ihm war plötzlich kalt, trotz seiner gefütterten Jacke. »Gleich kommen übrigens die Lichter, es ist schon fast dunkel.«

      »Eigentlich habe ich für heute genug gesehen«, meinte Shaka müde.

      Sie standen stumm nebeneinander, während die herbstliche Abenddämmerung immer grauer und schließlich schwarz wurde. Dann flammten jenseits der Dächer die Lichter auf. Ein Stapel aus hellen Quadraten für das Treppenhaus in der Mitte, nach und nach auch kleinere Umrisse für die Fenster der Wohnungen ringsum. Ganz oben erschien als Letztes der neonblaue Leuchtbogen. Bunte Leuchtnebel tanzten durch die Dunkelheit. Die schimmernden Lichter erinnerten Elias verdächtig an das Flattergeschöpf, das er auf dem Display gesehen hatte. Leuchtende Flügelwesen? Echt jetzt?

      »Da«, sagte Elias leise.

      »Was?«, fragte Shaka und sah ihn irritiert an.

      »Na, die Lichter«, gab Elias zurück. »Dafür sind wir doch hier.«

      »Wann kommen die denn endlich? Ich muss langsam nach Hause. Mein Vater ist heute früher daheim.«

      »Die sind doch schon lange an! Guck doch!« Elias zeigte direkt darauf. Shaka kniff konzentriert die Augen zusammen und starrte ins Dunkel hinaus. Dann schaute sie Elias an.

      »Da sind keine Lichter, Elias.«

      »Natürlich sind da welche! Ich sehe sie doch!«

      »Ich nicht.«

      »Ja, aber …«

      Shaka hob ihr Handy hoch und richtete es mit der »In-Between«-App auf das Haus. »Meinst du diese Lichter? Hier auf dem Display?«

      »Natürlich! Das Ding zeigt sie auch an. Aber ohne Handy …«

      »… kann ich sie nicht erkennen, Elias. Offenbar siehst du mehr als ich.«

      Für einen Moment wusste Elias nicht, was er sagen sollte. Andere konnten die Lichter nicht sehen? Er war plötzlich sehr dankbar, dass sie die »In-Between«-App hatten. Nicht auszudenken, wenn er Shaka ohne das Teil hier raufgeführt und ihr irgendwelche Lichter gezeigt hätte, die nur er sehen konnte!

      »Das liegt wahrscheinlich an meinen Hörnern«, schnaubte er, um witzig zu sein. Zu allem Überfluss kitzelte es nun auch noch hinter seiner Stirn.

      »Ja, vielleicht«, erwiderte Shaka, ohne zu lächeln. Die beiden schwiegen unbehaglich.

      »Langsam macht mich das nervös«, gab Elias schließlich zu. Er musste an den grauen Schemen denken, den er gestern aus dem Augenwinkel gesehen hatte.

      »Und mich macht es neugierig!«, erwiderte Shaka entschlossen. »Solche Sachen passieren nicht einfach so. Da steckt irgendetwas dahinter. Und wir werden herausfinden, was das ist!«

      »Ja, das sollten wir wohl«, erwiderte Elias, der versuchte, sich von Shaka anstecken zu lassen. »Forschen wir gleich morgen weiter?«

      »Jupp. Wir durchforsten das ganze Web danach. Auch zweimal, wenn es sein muss. Aber jetzt muss ich langsam los. Du weißt ja, mein Vater.«

      Er nickte. Shakas Vater arbeitete bei einer großen Software-Firma und kam meist erst spät nach Hause. Wenn er es doch mal früher schaffte, legte er Wert darauf, die ganze Familie Thapar einträchtig um sich versammelt zu sehen. Elias war ein bisschen neidisch, auch wenn Shaka nicht allzu begeistert wirkte.

      Gemeinsam stiegen sie über die Feuerleiter vom Dach. Elias sprang wieder direkt von den Garagen und wartete dann einen Moment, während seine Freundin sich fluchend bäuchlings vom Garagendach rutschen ließ.

      An der nächsten Straßenecke trennten sie sich. Shaka musste mit dem Bus in eine andere Richtung. Elias ging nachdenklich die Treppe zur U-Bahn-Station hinunter, die Hände in den Jackentaschen vergraben.

      Unten erwartete ihn ein gewölbter, weiß gekachelter Gang mit stechend-greller Beleuchtung. Grüne und blaue Streifen auf den Kacheln sollten das Ganze wohl auflockern. Elias schenkte ihnen keinen zweiten Blick und trottete in Gedanken versunken weiter in Richtung Bahnsteig. Erst als er an eine Abzweigung kam, blieb er stehen. Der Gang teilte sich hier auf. Man konnte nach links oder rechts weitergehen. Auf beiden Seiten gab es weiße Kacheln und grelles Licht. Elias schaute sich irritiert um. Seit er seine Zuflucht auf dem Dach gefunden hatte, stieg er fast jeden Tag hier in die Bahn. Es war nur eine kleine Station mit direktem Weg zu den Bahnsteigen – ohne Abzweigungen. War er gedankenverloren zu einer falschen Station gestiefelt? Elias trat einen Schritt zurück und schaute hoch. An den größeren Umsteige-Bahnhöfen hingen für gewöhnlich Hinweisschilder an den Abzweigungen, die den Weg zu den einzelnen Bahnlinien zeigten. Hier hing gar nichts. Über ihm war nur die nackte Kacheldecke. Er blickte in beide Richtungen. Auf der linken Seite beschrieb der Gang nach einigen Metern einen Bogen nach rechts. Blaue Streifen liefen als Muster über seine Kachelwände. Auf der rechten Seite kam schon bald eine Treppe, die noch tiefer in die Erde hinabführte. Hier waren die Zierstreifen rot. Vom Bahnsteig war nichts zu sehen.

      Erst jetzt wurde Elias bewusst, dass er allein war. Kein Mensch war mit ihm hier unten, um die Bahn zu erwischen, kein einziger von den Pendlern, die sich am Abend sonst immer in die überfüllten Züge drückten. Nicht einmal Schritte oder Stimmen waren zu hören. Um ihn herum war es völlig still.

      Elias’ Herz klopfte. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Abrupt drehte er sich um und lief wieder zurück, in Richtung der Treppe. Schon nach wenigen Schritten merkte er, dass der Gang zu lang war. Er müsste die Treppe zum Ausgang längst sehen können! Doch der weiße Kachelgang ging weiter und weiter. Schließlich stieß der Gang auf eine weitere Abzweigung. Gleich drei Gänge taten sich hier vor Elias auf: rechts, links oder geradeaus. Wieder gab es kein Hinweisschild. Nur ein Werbeplakat hing an der Wand. Es zeigte auf einer schwarzen Fläche einen neonblauen Torbogen, den Elias inzwischen ziemlich gut kannte.

      Er