Schwarzes Glas - Die Reise in die Zwischenwelt. Hendrik Lambertus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hendrik Lambertus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192693
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nachzudenken stürmte Elias weiter und wühlte in den Büschen. Nichts. Nur eine alte Getränkedose und eine zerfetzte Plastiktüte. Keine graue Gestalt. Was hatte er auch erwartet? Wahrscheinlich war bloß irgendein Tier aufgeschreckt. Und doch kam es ihm so vor, als wäre es genau derselbe Schemen, der ihm schon oben auf dem Dach vor die Linse geflattert war. Missmutig suchte er noch ein wenig in den Büschen herum und gab es schließlich auf.

      Elias beeilte sich, durch die Unterführung zu kommen, und ging mit schnellen Schritten der U-Bahn-Station entgegen. Jetzt wollte er wirklich nach Hause. Während er das Wohnviertel durchquerte, zog er sein Handy hervor und scrollte noch einmal durch die Fotos, die er vorhin gemacht hatte. Schwarz, schwarz, schwarz. Grau, grau, grau. Nichts. Er überlegte, ob er die Bilder gleich an Shaka schicken sollte. Ganz ohne Kommentar, sie einfach fragen, was sie darauf erkennen konnte. Vielleicht fiel ihr ja etwas Sinnvolles auf.

      Er entschied sich dagegen. Das würde mehr als seltsam wirken. So wie die verwaschenen Fotos in dem Forum über Verschwörungstheorien, die Shaka ihm letztens lachend gezeigt hatte – graubraunes Pixel-Wirrwarr, das angeblich Außerirdische zeigte. Nur dass Elias jetzt nicht wirklich nach Lachen zumute war. Die Sache war spannend, aber einfach zu schräg.

      »Das gibt es nicht«, murmelte er noch einmal, als er sich der U-Bahn-Station näherte, und meinte es aus vollem Herzen. Er würde Shaka die Bilder morgen in der Schule persönlich zeigen. Dinge, die man nicht erklären konnte, klärte man am besten selbst.

      Elias eilte die Rolltreppe zur U-Bahn hinab. Er bemerkte nicht, dass grellgrüne Augen ihm aufmerksam hinterherschauten, bis er unten verschwunden war. Eine kleine, graue Gestalt löste sich aus dem Schatten einer Mülltonne. Dünne Finger mit langen Krallen kritzelten ein paar Zeilen in ein Notizheft und klappten es schließlich zu. Die Gestalt entfaltete ein Paar ledriger Fledermaus-Schwingen an ihren Schultern. Mit flatternden Flügelschlägen verschwand sie in der Dunkelheit über den Dächern.

       2

       In-Between

      »… und dann bin ich immer weiter in die Richtung gegangen, in der das Hochhaus erschienen ist. Bis hinter den Bahndamm. Da war kein Hochhaus! Nichts. Von dort aus hätte ich es sehen müssen! Aber alles war schwarz wie die Fotos hier.«

      Elias scrollte seine Aufnahmen noch einmal durch. Erst ein grauer Horizont, dann schwarze Flächen. Natürlich kein Haus.

      »Ich denke, es gibt zwei mögliche Erklärungen«, erwiderte Shaka, während sie das Display betrachtete. Dabei lächelte sie auf eine Art, die Elias nicht gefiel. Wenn sie die Lippen so kräuselte, kam selten ein Kompliment heraus.

      »Entweder ist das Haus im Boden versenkbar und sie haben es heruntergefahren, bis du da warst«, fuhr sie fort, »oder du hast einen miesen Orientierungssinn und das Haus steht nicht dort, wo du geguckt hast.«

      »Schönen Dank auch«, murmelte Elias säuerlich. »Genau das brauche ich jetzt.«

      Es war ihm schwer genug gefallen, von der Sache zu erzählen. Den grauen Schemen hatte er sogar ganz ausgelassen.

      »Na, hör mal«, sagte Shaka ernst und schaute Elias mit ihren dunkelbraunen Augen an. »Was ist denn wohl wahrscheinlicher: Dass ein Haus einfach so auftaucht und verschwindet oder dass du dich geirrt hast?«

      Sie konnte sehr eindringlich schauen, das war ihre Spezialität. Man hatte dann das Gefühl, etwas Kluges sagen zu müssen, um diesen Blick zufriedenzustellen. Hinzu kam, dass sie ziemlich groß war und gerne streng auf Elias herunterblickte. Ihre Haut hatte einen dunklen Teint, das tiefschwarze Haar trug sie immer zu einem dicken, praktischen Zopf gebunden.

      Ihre Augen musterten Elias unverwandt, bis er schließlich blinzeln musste. »Ich irre mich aber nicht!«, sagte er. »Ich habe mich nicht von der Stelle bewegt und alle Fotos in die gleiche Richtung gemacht! Die Lichter haben sich nur geweigert, aufs Bild zu kommen.«

      Unwillig zog er die Knie an den Körper, um es sich auf seinem Betonsockel bequemer zu machen. Sie saßen in der schmalen Gasse, die vom Hof zu den Fahrradständern auf der anderen Seite des Schulzentrums führte, dicht vorbei an den Werkräumen. Hier war der beste Ort, um die große Pause ungestört von irgendwelchen Deppen zu verbringen, was die Pausenaufsicht mit einschloss. Dafür gab es keine vernünftigen Bänke, nur merkwürdige Beton-Poller. Man konnte eben nicht alles haben.

      »Und welche Erklärung hast du dafür?«, fragte Shaka und spielte mit ihrem Zopf herum. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte. Ein gutes Zeichen. Shaka hielt nicht jedes Problem für würdig, von ihr beachtet zu werden.

      »Ich weiß es nicht«, gab Elias zu. »Keine Ahnung. Aber irgendetwas ist da merkwürdig. Das spüre ich.«

      »Stimmen in deinem Kopf?«, entgegnete Shaka belustigt.

      »Nein. Ge-füh-le«, sagte Elias langsam und überbetont. »Da drin.« Er zeigte auf die Stelle, wo er unter seiner Jacke sein Herz vermutete. »Das, was dein Rechner immer noch nicht kann, Shaka.«

      »Oh, der kann ganz schön viel«, sagte sie und streifte ihren Zopf zurück. »Habe ich dir erzählt …«

      Plötzlich brüllte ein Raubtier. Ein dumpfes Knurren hallte durch den Durchgang, mächtig und blutgierig. Elias fuhr zusammen und schaute sich hektisch um. Halb erwartete er, einen großen, grauen Schemen um die Ecke biegen zu sehen, die säbellangen Zähne gefletscht. Dann bemerkte er Shakas kopfschüttelndes Grinsen. Sie zog ihr Handy aus der Tasche. Das Ding brüllte immer noch.

      »Bengalischer Königstiger«, kommentierte sie, während sie das Gerät entsperrte. Elias atmete auf. Vielleicht war er wirklich überspannt. Shakas Handy war berüchtigt dafür, die merkwürdigsten Geräusche von sich zu geben.

      »Neue Nachricht?«, fragte er so lässig wie möglich.

      »Nee.« Shaka starrte mit gerunzelter Stirn auf das Display. »Angeblich ist mein Download fertig. Ich habe doch gar nichts runtergeladen.« Sie tippte auf dem Handy herum. »Aber irgendetwas ist gerade angekommen.«

      »Hast du dir einen Virus eingefangen?«

      »Quatsch«, schnaubte Shaka, sichtlich empört darüber, dass man ihr solch einen dämlichen Fehler zutraute. »Aber ich habe eine neue App und keine Ahnung, was das sein soll. Hier, guck mal.«

      Sie reichte ihm das Gerät. Elias nahm es vorsichtig entgegen. Er wusste, dass es mindestens dreimal teurer war als alles, was seine Eltern ihm erlauben konnten. Auf dem Display waren Reihen von bunten Symbolen angeordnet. Unten links in der Ecke befand sich der Neuzugang.

      Kleine, weiße Buchstaben zeigten den Namen der App an: »In-Between«. Darüber war ein neonblaues Zeichen zu erkennen, das wie ein umgedrehtes Hufeisen aussah.

      Elias spürte, wie seine Knie weich wurden.

      »Das kenne ich«, flüsterte er.

      »Was?«

      »Dieses Icon. Der Bogen. Der war gestern auf dem Haus, das es nicht gibt. Ganz oben, über den Fenstern. Wie eine große Werbefläche aus Neonröhren.«

      Shakas Stirnrunzeln vertiefte sich.

      »Na klar«, sagte sie spitz. »Und jetzt hat es sich von deinem Geisterhaus auf mein Handy gebeamt. Das Ding kommt ganz schön viel rum.«

      »Shaka, ich meine es ernst!«

      Sie schaute ihn misstrauisch an. »Hast du mir diese App geschickt, Elias?«

      »Sehe ich so aus, als hätte ich nichts Besseres zu tun?«, erwiderte er gereizt und reichte ihr das Handy zurück.

      »Sorry. War nicht böse gemeint. Trotzdem verstehe ich nicht, was das soll.«

      »Ich doch auch nicht! Aus diesem Grund erzähle ich es dir schließlich. Und jetzt hast du plötzlich dieses Icon auf deinem Handy.«

      »Wir können ja mal schauen, was die App eigentlich macht«, murmelte Shaka mit dem halb-abwesenden Tonfall, den sie immer hatte, wenn sie sich auf