Schwarzes Glas - Die Reise in die Zwischenwelt. Hendrik Lambertus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hendrik Lambertus
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192693
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schlau aus dem Ganzen?«, fragte er leise.

      Shaka schüttelte den Kopf. »Nee«, sagte sie und klang irgendwie müde. »Aber eines weiß ich ganz sicher: Ich werde dir ab jetzt alles glauben, was du mir erzählst. Und wenn du mit geflügelten Elefanten im rosa Tutu ankommst.«

      Elias hätte gerne etwas Witziges erwidert. Doch danach war ihm nicht zumute.

      »Ich hoffe nur, wir haben da keinen Fehler gemacht«, sagte er und deutete auf Shakas Handy.

      »Das hoffe ich auch«, erwiderte Shaka. Beklommen schauten sie sich an. Beide wussten sie es besser.

       5

       Augen wie Spiegel

      Wie der gähnende Schlund eines Ungeheuers öffnete sich der Eingang zur U-Bahn-Station vor Elias. Er war ja in der Tat beim letzten Mal dort unten einem Ungeheuer begegnet – und hatte keinerlei Lust, das noch einmal zu tun. Trotzdem würde er heute bestimmt nicht den ganzen Weg nach Hause zu Fuß gehen! Und von Shaka aus war es nun mal am einfachsten, wenn man erst für einige Haltestellen den Bus nahm und dann in die U-Bahn wechselte. Er zögerte kurz, ehe er einen ersten Schritt auf die Treppe setzte. Stufe für Stufe zwang er sich, in die Tiefe hinabzusteigen, und ignorierte dabei seinen Widerwillen.

      Die beiden hatten noch eine Weile bei Shaka zusammengesessen und versucht, sich einen Reim auf die ganze Sache zu machen. Doch sie hatten nichts Sinnvolles mehr herausgefunden. Die Zahlenkolonne in der geheimnisvollen E-Mail mit dem Hilferuf blieb ebenso rätselhaft wie die Erzählungen des Lästerspeiers über Königinnen und Spiegelherrn.

      Elias konnte noch immer nicht glauben, dass sie wirklich mit dem geflügelten Geschöpf gesprochen hatten. In dem Moment hatte sich das ganz natürlich angefühlt – was hätte er auch anderes tun sollen? Doch jetzt, im Nachhinein, wirkte es so unwirklich wie ein wirrer Traum. Gut, dass Shaka dabei gewesen war. Elias hätte sonst endgültig an seinem eigenen Verstand gezweifelt.

      Inzwischen hatte er den Fuß der Treppe erreicht. Der Tunnel zum Bahnsteig lag leer und neonbeleuchtet vor ihm. Elias zögerte erneut. Würde er gleich wieder in das endlose Labyrinth des Gehörnten geraten? Doch dort vorne konnte er schon den Bahnsteig erkennen. Keine Abzweigung lag dazwischen. Er atmete durch. Offensichtlich spielte die Welt hier unten diesmal nicht verrückt. Mit raschen Schritten ging Elias bis zum Bahnsteig durch.

      Dort bemerkte er, dass er allein war. Beklommen schaute er sich um. Tatsächlich – außer ihm wartete niemand hier. Er wollte gerade anfangen, sich Sorgen zu machen, da hörte er, wie die Bahn durch den Tunnel herangerumpelt kam. Dann fuhr sie auch schon in die Station ein. Elias strebte erleichtert in Richtung Bahnsteigkante – und erstarrte. Das war nicht seine Linie!

      Auf der Anzeige über der Fahrerkabine stand nicht die gewohnte Ziffer »5« in altmodischer, gelber Leuchtschrift. Stattdessen war dort eine Reihe von seltsamen Zeichen zu lesen. Einige von ihnen sahen ein wenig so aus, als hätte man kleine Menschen oder Tiere als Buchstaben gezeichnet. Hieroglyphen – wie im Quellcode der Webseite, die Shaka entdeckt hatte.

      Elias hatte kaum Gelegenheit, sie sich näher anzuschauen, da war die Anzeige auch schon außer Sicht. Die Bahn hielt direkt vor ihm, und ihre Türen sprangen klappernd auf. Der Wagon war gerammelt voll. Viele Leute standen sogar auf dem Gang zwischen den Sitzen. Aber niemand von ihnen war ein Mensch – jedenfalls keiner, wie Elias ihn kannte.

      Die Fahrgäste trugen weite Gewänder in satten, leuchtenden Farben: Smaragdgrün und Meerblau, Kirschrot und Sonnengelb. Und sie alle hatten keine Gesichter. Nur glatte, blasse Haut, wo eigentlich Augen, Nase und Mund ihren Platz hatten. Doch sie waren lebendig, schienen sich sogar gestenreich miteinander zu unterhalten. Wenn auch alles vollkommen still war …

      Elias betrachtete die Bahn und ihre seltsamen Fahrgäste mit schreckgeweiteten Augen. Der Anblick war noch grotesker als alles, was er in den letzten Tagen erlebt hatte!

      Eines der Wesen im Zug senkte die Zeitung voller Hieroglyphen, in die es gerade vertieft war. Dahinter kam ein weiteres glattes Gesicht zum Vorschein. Ihm fehlten ebenfalls Nase und Mund – doch es hatte Augen. Sie leuchteten rubinrot wie zwei Edelsteine und blickten Elias unverwandt an.

      Erschrocken stolperte er zurück. Er wollte schreien, doch es kam nur ein ersticktes Keuchen heraus. Dann klappten die Türen auch schon geräuschvoll zu, und die U-Bahn setzte sich wieder in Bewegung. Rumpelnd und schleifend verschwand sie im Tunnel. Zurück blieben nur die leeren Gleise und ein leichter Luftzug, der nach Gummi roch. Der Geisterzug mit den Gesichtslosen aber war verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.

      Elias atmete schwer durch. Er hätte wissen müssen, dass irgendetwas Merkwürdiges passieren würde! Musste er sich ab jetzt an so etwas gewöhnen?

      Erschaudernd wandte er sich ab – und bemerkte, dass der Bahnsteig doch nicht ganz leer war. Direkt neben ihm stand ein großer, breitschultriger Mann. War er aus der U-Bahn ausgestiegen? Doch er trug kein farbenfrohes Gewand, sondern einen dunklen Anzug. Und er hatte ein Gesicht mit einer kräftigen Nase und einem grauen, lockigen Vollbart. Viel mehr war von seinen Zügen nicht zu erkennen, denn der Fremde trug eine schwarzglänzende Sonnenbrille.

      Unwillkürlich trat Elias einen Schritt zur Seite. Der Mann aber lächelte ihn an.

      »Hat dich die U-Bahn erschreckt?«, fragte er mit einer tiefen, wohltönenden Stimme. »Du bist ja blass wie ein Gespenst! Aber natürlich glaubt man in deinem Alter nicht mehr an Gespenster … Nicht wahr, Elias?«

      Elias zuckte zusammen. »Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte er. Es sollte selbstbewusst klingen, doch zu seinem Ärger hörte es sich eher wie ein ängstliches Krächzen an. Das Lächeln des Fremden wurde noch ein wenig breiter. Er streckte den Arm aus – und gab Elias die Hand, ehe dieser sie wegziehen konnte. Sein Händedruck war kalt, aber überaus verbindlich. Elias’ Finger wurden schmerzhaft zusammengequetscht.

      »Ich weiß das, weil ich viele Augen habe und vieles sehe«, sagte der Mann. »Man nennt mich den Herrn der Spiegel. Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Du brauchst dich nicht vorzustellen, denn ich kenne dich sehr gut.«

      Hastig zog Elias seine Hand weg – oder versuchte es zumindest. Denn der Griff des Mannes war fest wie ein Schraubstock! Der Typ lächelte noch immer, die Augen hinter der Sonnenbrille verborgen, während Elias vergeblich an seinem Arm rüttelte. Dann öffnete er seine mächtige Hand so plötzlich, dass Elias fast hintenübergefallen wäre.

      »Was wollen Sie von mir?«, rief Elias, und er gab sich nicht länger Mühe, die Angst in seiner Stimme zu verbergen. Der Herr der Spiegel … Vor dem hatte der Lästerspeier ihn vorhin noch gewarnt!

      »Ich möchte mich mit dir unterhalten, Elias«, sagte der Mann. »Man hat mir so einiges über dich erzählt.«

      »Ich habe auch von Ihnen gehört«, erwiderte Elias und hielt sich die schmerzenden Finger. In seine Angst mischte sich langsam Wut. Er hatte keine Lust mehr, von einer Merkwürdigkeit zur nächsten zu stolpern! »Genug, um vor Ihnen gewarnt zu sein. Lassen Sie mich bitte in Ruhe.«

      »Aber darum bin ich doch hier«, sprach der Fremde und hob beide Prankenhände, als wollte er zeigen, dass er nichts Bedrohliches dabeihatte. »Damit du wieder deine Ruhe hast. Ich weiß, dass du in der letzten Zeit auf einige … Dinge gestoßen bist. Dinge, die vermutlich verstörend waren. Jedenfalls für jemanden wie dich. Das kommt gelegentlich vor und ist völlig normal.«

      »Was wissen Sie darüber?«, fragte Elias misstrauisch. Sein Herz klopfte, und seine Nackenhaare hatten sich alarmiert aufgestellt. Und doch blieb er stehen und starrte den Fremden an, aus dessen Lächeln nun ein zufriedenes Grinsen wurde.

      »Ich weiß«, sprach der Fremde bedächtig, »dass es gewisse Dämmerzeiten und Schwellenorte gibt. Zu solchen Zeiten und an solchen Orten ist es wahrscheinlicher, Dinge zu sehen. Genau das passiert dir im Moment, Elias. Ständig siehst du Dinge. Dinge, die dir Angst machen, nicht wahr? So wie diese U-Bahn.«

      Elias räusperte sich. »Gerade machen vor allem Sie