GESANDTIN. Freude, lieber Papa!
GEH. RAT. Das ist mir lieb, Malchen. Man muß jede Stunde nehmen, das Leben zu fühlen. Ich haß es am Menschen, der sich nur einen Augenblick durch was verdirbt. Was das bedeuten soll? Sie lassen mir die Audienz absagen.
GESANDTER. Die Audienz absagen?
GEH. RAT. Ja, ja, die Audienz beim Fürsten. Es wird ihm nicht gelegen sein; mag's! Ich muß hier stille sitzen, soll nicht an Hof gehen. Kein Wunder, ich rennte hin. Einen ehrlichen Mann herumzuführen! Warum war ich ehrlich? Daß sie mich foppen jetzt? Sollte man nicht die Stunde verfluchen, die man ihnen aufgeopfert? Mein Leben und Kraft. Ein Schurke hätt ich sein sollen, dumm und boshaft. Verzeih mir Gott, ich will so bleiben.
GESANDTER. Geduld! Geduld!
GEH. RAT. Freilich.
GESANDTIN. Lieber Papa, es wird so schlimm nicht sein.
GEH. RAT. Ja, wenn's die Weiber einmal sähen! Nun, was wollen sie, was können sie wollen! Ich bin zwanzig Jahr in Diensten, hab ihnen das Land gestellt, wie's jetzt steht. Sie sollen herumgehen, wo's fehlt. An keinem Ort, wo ich zu tun hatte, außer wo die Jungens die Nase hinsteckten. Die feinen Kavaliers, die nichts tun, als Weiber und Töchter verführen und sich herausputzen. Fällt ihnen ein dummer Gedanke beim Wein ein, flugs zum Fürsten, der hört denn alles, da geht's krebsgängig, auf die letzt muß denn doch der alte Rat herbei –
GESANDTER. Wohl, daß es so ist!
GEH. RAT. Ja wohl. Laßt mich meine Rechtschaffenheit ins Grab mitnehmen; ich mag weiter nichts. Fecht jeder, der nachkommt. Ich hab Kinder, die mich freuen. Nicht wahr, Maidel, ich muß dich immer so heißen, kleines zartes Ding?
GESANDTIN. Lieber Papa.
GEH. RAT. Hätt der Franz ein bißchen von dir! Nun, er ist auch gut, er wird ein edler, redlicher Kerl. Das ist freilich nun gefährlich. Nu, nu, mein Reichtum.
GESANDTIN. Soll ich 's Frühstück holen?
GEH. RAT. Tu's, mach mir ein Butterbrot, Malchen!
GESANDTIN. Recht gern.
GEH. RAT. Auch hat uns der Graf auf diesen Abend invitieren lassen.
GESANDTER. Haben Sie zugesagt?
GEH. RAT. Nicht anders. Fürchten wir uns für ihm? Ich will's ihm unter die Nase reiben. Er soll mir nur kein Wesen machen!
GESANDTER. Geduld!
GEH. RAT. Und das sagt er immer. Freilich Geduld, das Weibsding müssen wir herbergen. O mir nagt's am Herzen! Wer kann dafür? Es lernt sich viel. Da kommt 's Frühstück. Laß die Kleinen kommen, Malchen, daß sie mir was vorlallen, da ist's doch noch wahr.
Dritte Szene
Landhaus. Zimmer. Antike Köpfe und Zeichnungen.
Franz einige Bücher vor ihm liegend.
FRANZ. Weg Quark, alles. Der nächste Weg zum Narren zu werden, ist, sich ein System bauen zu wollen. Hab's lang gedacht. Da arbeitet man sich durchs Zeugs, bis man einen auf dem Punkt hat, woraus er das Ding ansieht, das er Weisheit und Wahrheit nennt, glaubt man's ertappt zu haben. – Vom Thron der Weisheit strahlt herab – Was? Weisheit? – Seifenblase, Schaum! Vom Thron der Wahrheit – o ihr hungrigen Poeten, die ihr sie alle mit hellen Farben gemalt, mit dem hellen Glanz der Sonne verguldet und verglichen! Was strahlt sie dann? siehe da, Narrenkappen hellbeleuchtet, Leute gekrönt damit, die Philosophen heißen. – Lieber Gott, da wird doch kein bißchen genutzt. Meinetwegen, ich will kein Buch mehr ansehen. Wenn sie doch dächten, daß es nichts ist mit ihrem Tun, daß Nebel ist, und sein muß um ihr Gehirn; sich nicht alle Kraft, die ihnen etwa der Himmel gegeben, durch fatales Nachdenken über Sachen, von denen sie nichts wissen können, auftrockneten. Laßt mir meinen Shakespeare und Homer. Wir bleiben zusammen bis in Tod. Stellt sich vor einen Kopf des Laokoons, und drauf vors Brustbild der Venus. Mein Laokoon, was hast auch du schon leiden müssen. Jeder Bube schwatzt von dir, und große Leute reden, warum du den Mund auftust? Hätten sie vor dir gestanden mit dem innigsten Gefühl – Venus! Ausdruck der Gottheit, Leben, Weben, alles – es ist ein Augenblick, nur ein Augenblick – da steh ich oben.
LÄUFER. Guten Tag, Franz. Stehst du schon wieder vor deinen Götzen?
FRANZ. Sie sind's nun, meine Götter und Götzen. Bitt dich, laß das Maul heraus! Sieh, du mußt davon nicht reden. Kommst mir just vor, wie die Kerls, die sich dahin stellen, Schönheiten suchen, Ideal, was weiß ich, denn Regeln schreiben, definieren und schwatzen, und das all ohne Gefühl.
LÄUFER. Haben doch auch Sinnen und Herz.
FRANZ. Laß es so! mich ärgert's, wenn ich davon reden hör. Der Künstler hat Sinnen, wovon sie nun niemals gefühlt, noch gehört. Und was denn der mit allen seinen fassenden, durch und durch schauenden Blicken sieht, mit der äußersten Intensivität – doch was red ich dir?
LÄUFER. Mit dir kommt man nicht aus. Da bring ich dir was Neues übern Selbstmord.
FRANZ sieht's an. Wieder eine schöne Prise zum Ärger für mich! Tu's weg. Könnt ich ihnen doch all das Gehirn austreten, die für oder darwider schreiben. Seit die Welt steht, haben sie 's Maul aufgerissen, disputiert und geschmiert, keiner trifft's, kann's treffen. Ach wie wißt ihr, was im Menschen vorgeht zur selben Zeit. Solang er Kraft hat, sich zu soutenieren, bleibt er euch gewiß. Übersteigt sie seine Eitelkeit, Selbstigkeit – das läßt sich nicht angeben. Bedauert ihn, er mußte wohl losreißen. Da liegt's eben, daß sie das Leiden des krümmenden Wurms, in dem sich's peinlich wälzt, nur in der Ferne sehen, denn erst sehen, wenn er schon weg ist. Träten sie näher; sähen's, wie's in ihm arbeitet, denn reif wird – – Unglücklicher, ich hab dir immer nachgeweint, als wärst du mein Bruder.
LÄUFER. Du scheinst's zu verteidigen.
FRANZ. Nimmer. Laß mir meine Kraft!
LÄUFER. Kommst du heute in die Stadt, Julien zu sehen?
FRANZ. Ach sehen. Was das wieder für ein garstig Wort ist.
LÄUFER. Nun so weiß ich auch nicht.
FRANZ. Fühlen, fühlen, da stehen.
LÄUFER. Aber war das nicht? Allen kam's gesucht vor. Stellst dich dahin zwei Stunden, hattest sie nie gesehen, redst kein Wort, bist weg –
FRANZ. Lieber, was könnt ich sagen. Mein Herz war über, da sie kaum die Harfe berührte. Und wie das fortging, die Arie dazu – in mir lag das alles schon vorbereitet. Jeder Ton fand in mir das Echo, hier traf alles hin. Und da wundert ihr euch, daß ich dastund. Was konnt ich reden? Eure Komplimente nachlallen, »o Mademoiselle, göttlich, göttlich«. Ist das was? O wenn sie nicht mehr gefühlt hat, was in mir vorging, wenn sie nicht die Fülle meines Herzens sah bei meinem tiefen Schweigen, wenn ihr Aug nicht entdeckte, was auf meinem Gesicht sich zeichnete –
LÄUFER. Sie hat's. Aber die Leute –
FRANZ. Schon wieder das Hundegeschwätz. Wiegt ihr denn alle ein Wort auf, das sie sagte? ich lauschte und verstund sie. Die Jungens faselten um sie herum, dachten wunder, wie hoch sie stünden, der Franz stund in der Ecke, und hatte die besten Stunden seines Lebens.
LÄUFER. Es hat allenthalben Lärmen gegeben.
FRANZ. Was kümmert mich das. Und wie glücklich! Aus diesem Glas hier, hat sie Wasser getrunken.
LÄUFER. Wie bist denn du dazu gekommen?
FRANZ. Sie trank Wasser, stellte das Glas beiseite, ihr alle um sie herum, und so steckte ich's in die Tasche. Wenn ich aus dem Glas trink.
LÄUFER. Ein schönes Glas.
FRANZ. Nicht wahr, der goldne Schnitt?
LÄUFER. Ob sie dich wiederliebt?
FRANZ. So lieb