»Du bist eigentlich auch so eine Muschel!« meint da Peter plötzlich zu Cäcilie, die eben das seltsame Gebilde abgesetzt und neben sich ins Gras gelegt hat.
»Wieso, du Narr?« erwidert sie empört.
»Nun, laß mich einmal an dir lauschen, so will ich dir's sagen!« Und ohne weiteres legt er ihr den Arm um den Nacken und drückt sein Ohr an ihr Ohr.
»Was hörst du denn?« Der Atem steht ihr still.
»Auch so ein seltsames Sausen und Brausen . . . Aber ich weiß nicht: ist es in mir oder ist es in dir? Und ganz anders als in der Muschel . . . – Hörst du nichts?«
»Laß mich erst nochmals an der Muschel lauschen, damit ich vergleichen kann!« ruft Cäcilie, sich seiner erwehrend. »– aber wo ist sie nur?«
»Verschwunden!« wirft Antonie, die mit aufgestemmten Ellenbogen auf dem Leibe liegt, spöttisch-gleichmütig hin und weidet sich an der allgemeinen Bestürzung. »Ein solches Meerwunder bleibt nie lange an einem Ort . . . Was wird wohl der gute Bruder dazu sagen?«
»Mir ist es gleich!« erklärt Cäcilie. »Ich habe sie nicht aus dem Sack genommen! . . . Gelt Paul?« Und sie läßt sich, die Arme ausbreitend, rücklings in das kurze Gras hinsinken. Süß ist die Sonne! süß der Atem der Erde! Und sich auf dem warmen Boden auszustrecken ist das Beste . . .
»Und mir ist es auch gleich!« lacht Peter, indem er sich über Cäcilie neigt und dabei von Antonie einen eifersüchtigen Blick auffängt. »Du bist nicht nur zum Dranlauschen, sondern noch mehr zum Anschauen eine Muschel . . . Hier die glatte rote Lippe, der offene dunkle Mund . . . Und stachelspitze Zähne wie du hat die Muschel auch gehabt – Uih!!!«
»So zum Beißen, nicht?«
»Mach doch keine Dummheiten! Fast hätt' ich den guten Bruder aufgeweckt! – Brauch du deinen süßen Mund lieber zu etwas Gescheiterem –«
Und bevor sie noch einmal die Zähne an seinem tupfenden Finger mißbrauchen kann, verschließt er ihr die Lippen mit seinen Lippen und beginnt, sie fest umarmend, abermals andächtig zu lauschen auf das, was in ihr und auch in ihm zu klingen anfängt . . .
»Hier ist die Muschel!« ertönt da in ihrer Nähe die tiefe, überzeugte Stimme Pauls. Und während sie nicht daran denken, ihren Kuß abzukürzen, hören sie das Wehgeschrei Antonies.
»Halt, halt! – Au, sie hat Stacheln! Ui, sie sticht! – Langsam, langsam!«
Und jetzt sehen Peter und Cäcilie, wie Paul seine Hand nicht weniger sachlich als vorher in Bruder Augustins Reisesack in Antoniens Busen gesteckt hat und, von ihren Fingern verzweifelt umklammert, eben im Begriffe ist, das verschwundene Meerwunder trotz allem Weh und Ach zwischen Kehle und Kleid der Diebin wieder herauszufischen . . .
»Ich habe die Muschel aus dem Sack geholt! Aber nicht für dich!« brummt er bei seiner Arbeit finster vor sich hin. »Du kannst mit deinem getreuen Peter zusammen gehen! – Sieh nur dort! Er wartet gerade auf dich!«
»Und du mit deiner getreuen Cäcilie!« giftelt Antonie beim Anblick der beiden, die sich bereits wieder lachend umfangen haben und so wenig von einander abzulassen gedenken, als die Muschel sich dem süßen Wellengrund einer jungen Mädchenbrust entreißen lassen will. Dann aber fleht sie, plötzlich verwandelt: »Aber so sei doch vernünftig! Ich will sie dir ja selber geben . . . Sieh, hier!«
Da steht wie ein verschrumpfter Erzengel, seinen Wanderstecken schwingend, Bruder Augustin über ihnen, um sie mit lauter Scheltrede aus dem vorzeitig betretenen Paradies zu vertreiben. Klatsch! fällt der Stock Peter über den Rücken, so daß er und Cäcilie, der er jede Aussicht nach oben versperrt, wie ein paar verträumte Schlänglein aufzucken; und schon saust er auch in der Richtung nieder, wo Paul und Antonie gekniet haben, mit ihrem Muschelfang beschäftigt, nun aber, von der Gefahr zu Schicksalsgenossen zusammengeschmiedet, bereits Hand in Hand durch den Wald davonfliehen, damit Peter und Cäcilie ein Beispiel dessen gebend, was ihnen allein noch frommen kann. Und erst wie die beiden Paare längst in toller Flucht durch das Unterholz hindurchbrechen, fassen sie den Wortschwall des wütend hinter ihnen her rennenden Mönchs, der ihnen bisher nur in Ohren lag, mit der Seele auf . . .
»Wie? Was sehe ich? Ist der Satan auch schon unter euch gefahren? So nutzt ihr die Mittagsrast, die euch neue Kräfte geben soll für die Reise nach dem heiligen Lande? Fahrt zur Hölle, von der ihr ja schon die Einladung erhalten habt; und vergiftet mir nicht noch meine unschuldigen Kleinen, denen ich, so wahr Gott mir altem Knaben das Leben läßt, schon den rechten Weg zeigen will!«
So wettert Bruder Augustin mit zorngerötetem Antlitz durch den schwülen Busch und Tann hinter den Fliehenden drein, bis er sich plötzlich bewußt wird, daß er sowohl von dem einen wie von dem andern Pärchen jede Spur verloren hat und atemlos und schweißtriefend allein in dem dichten Walde dasteht. Und auf einmal merkt er, daß er selber nicht mehr weiß, wo er sich befindet und welche Richtung er einschlagen muß, um zu seinen lieben Kindern, die wohl immer noch friedlich schlafen, zurückzugelangen. Aber Gott sei Dank, er hat wenigstens die ihm anvertraute Herde gesäubert!
Schon will ihm über dem vergeblichen Bemühen, den Rastplatz wiederzufinden, diese Genugtuung von dem Zweifel vergällt werden, ob ihn nicht am Ende in Gestalt dieser verworfenen Jugend der Teufel selbst von seinen Schutzbefohlenen weggelockt habe, um sie desto sicherer zu verderben: da hört er in der Ferne ein leises, kindliches Weinen. Bald einmal mischt sich ihm eine zweite unglückliche Stimme bei, dann eine dritte und vierte; und zuletzt heult ein herzzerreißender Kinderchor durch den Wald, der selbst einen Tauben auf die richtige Fährte bringen könnte, dem guten Bruder aber wie Engelsgesang in der Seele widerhallt. Mit seinen alten, zitterigen Armen rudert er eifrig durch das Gestrüpp den Tönen entgegen, bis er wieder zwischen den hohen Baumstämmen die kleine Wiese vor sich liegen sieht.
Die Kinder, die über seiner donnernden Strafrede erwacht waren, hocken und stehen auf ihr in einem kleinen Kreise herum und flennen und greinen in ihrer Verlassenheit, ein jedes wie es ihm sein Alter eingibt. Dabei schauen und zeigen sie auf ein Ding in ihrer Mitte, vor welchem sie wie vor etwas Unheimlichem sich fürchten, ohne doch seinem rätselhaften Banne entfliehen zu können. In dem grünen Grase liegt die stachlichte Meermuschel: mit der wellengeglätteten Rosalippe und mit dem breiten, dunkelgeöffneten Schlund . . .
31. Gespräche im Sattel
Marcelines sanfte Stimme unterbricht das eintönige Pferdegetrappel.
»Nein, es ist nicht recht! Jetzt glaubt Ellenor, wir seien heimgeritten.«
Suzanne sinnt vor sich hin. Ihre heißen Wangen sind wie beschattet von den gesenkten Lidern.
»Wir wollten es doch auch zuerst. Dieser Überfall durch die beiden Räuber war zu gräßlich. Der arme Raoul!«
Stolz wirft Germaine den Kopf hoch. Es ist, als wollte sie ihren Gefährtinnen die heimliche Krone auf ihrem Haupte zeigen. Eine wird immer die erste sein!
»Was mußte auch das Pferd der ›Königin‹ so vornehm abseits angepflöckt werden! Im übrigen ist man ja toll mit uns umgesprungen, als man uns einfach unter das schmutzige Landstreichervölkchen verteilte. Mich wundert, ob Ellenor jetzt nicht gern wieder in den geschmähten Landherbergen abstiege, wo Mensch und Tier wenigstens ein richtiges Unterkommen finden!«
Die schwarze Valerie lacht und versendet giftige Blicke. Und dabei fährt ihr das Zünglein mehrfach durch die