Der Kinderkreuzzug. Konrad Falke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Konrad Falke
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849628666
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Sie hat uns unsere Knappen weggenommen; und wir selber wären gerade noch zu ihrer Bedienung gut genug gewesen. Gelt, Marceline? – Jetzt hat sie gar keine mehr . . .«

      ». . . Was für geschwollenes Zeug sie bei der Begrüßung miteinander schwatzten!« erinnert nach einer Weile Germaine vornehm herablassend die andern. »Ich glaube gar nicht, daß dieser Hirtenbub der König Stephan ist; das hat er einfach geschwindelt. Ein König, auch ein junger, sieht anders aus.«

      »Aber so will's doch die christliche Demut!« bemerkt Suzanne, die unter ihren beweglichen Stirnlöckchen die gute Laune wiedergefunden hat. »O, es ist sehr wohl möglich, daß er's ist; und ich wollte auch nichts sagen, wenn nur diese Frömmigkeit anders röche! Aber dieser Gestank unter der verlausten Bande . . .«

      »Darum ist es entschieden besser, daß wir allein ins heilige Land reisen!« lispelt Marceline mit spöttischer Überlegenheit. »Es dürfte, denke ich, genügen, wenn wir nur alle am selben Ziel ankommen! Der Segen des Ortes wird schwerlich vom Wege abhangen und uns gewiß kaum vorenthalten bleiben, auch wenn wir uns vorher nicht von Flöhen und Wanzen haben auffressen lassen!«

      »Vielleicht treffen wir sogar eines Tages wieder mit dem ›Königspaar‹ zusammen!« hohnlacht Valerie dunkel. »Aber ich glaube, es haben nicht alle von uns gleiche Sehnsucht darnach. Nicht, Germaine? – Überhaupt: suchen wir lieber einen König, statt die Königin . . .«

      So schwatzen die vier hocherhobenen Mädchenhäupter nach links und nach rechts miteinander, während vor und unter ihnen vier gesenkte Pferdeköpfe in Schritt und Takt sich nebeneinander vorschieben und zu allen Äußerungen ihrer Herrinnen ein stummes Ja und Amen nicken. Es ist schon mehr als eine Woche her, seit sie ohne Ellenor reisen und sich, nach dem ersten Schrecken, von ihren Knappen haben überreden lassen, auf eigene Faust die begonnene fromme Pilgerfahrt fortzusetzen; und wenn sich auch die blustdurchwehte Luft mehr und mehr mit einer sommerlichen Wärme erfüllt, die man selbst im Sattel gelegentlich lästig empfindet, so steigt doch immer noch ein süßer, hoffnungsvoller Hauch aus dem hohen Gras und feuchten Boden empor und lockt und treibt sie täglich aufs neue weiter: sie wiegen sich in dem alten Wahne eines mutigen Wollens und verbannen alle Einsicht, daß es sich unversehens in ein bitteres Müssen verwandeln könnte! Es ist gut, daß sie nicht hören, was ihre getreuen Knappen verhandeln, welche in einigem Abstand von ihnen, ebenfalls alle vier in einer Reihe, auf der durch die verblühende Herrlichkeit sich windenden Straße hintennach reiten und ihrerseits in das Hufegetrappel hinein nicht nur von den Erlebnissen reden, die bereits in der Vergangenheit liegen, sondern mehr noch von jenen, die sie als gewitzigte junge Helden voraussehen.

      ». . . Der Raoul hat schon geglaubt, er sei mehr als wir. Er, der Ritter der ›Königin‹!«

      »Dafür ist er nun tot. Und braucht sich auch nicht mehr darum zu sorgen, was das alles für ein Ende nimmt!«

       »Eine nette Idee war's wirklich, heimreiten zu wollen. Damit wir aufgeknüpft werden, weil wir durchgebrannt sind!«

      »Mich wundert nur, wieviel Geld unsere Fräuleins zu sich gesteckt haben. Was werden sie für Augen machen, wenn sie ihre Pferde verkaufen müssen, um vorwärts zu kommen!«

      »Daß ich mein Roß nicht hergebe, ist sicher! Wenn meine verehrte Herrin nicht zu Fuß gehen will, so kann sie vor mir aufsitzen. Ich meinerseits habe nichts dagegen – hahaha!«

      »Das meine ich auch. Sie sind es, die uns verführt haben! Jetzt gibt es für uns nur noch ein Ziel: das heilige Land! Nur wenn uns die Fahrt gelingt, ist sie auch entschuldigt.«

      »Nun, man braucht es ihnen ja nicht vorzeitig zu sagen, daß sie uns nicht mehr befehlen können wie daheim im Burghof. Sonst gibt's nur Geschrei und Tränen; und das Vergnügen ist vorbei.«

      »Sie werden's noch früh genug selber merken. Mich wundert schon lange, daß wir nicht verfolgt werden! Schon deshalb wär's besser, sie veräußerten rechtzeitig ihre Hoffahrt und gingen im Kleide der Armut einher, die lieben Grasaffen . . .«

      32. Die auferstandene Liebesgöttin

      Das alte, halbzerfallene Steinhaus liegt in der Nachmittagssonne. In dem wilddurchblühten Garten flicht um verwitterte Säulenstümpfe der Efeu neue Ranken. Wer mag diese Villa einst erbaut haben? Wer mag zuerst in ihrem Garten gewandelt sein?

      Jetzt haust der Bauer Vincent in den wenigen Räumen, deren Decke noch regendicht ist; und in den andern, notdürftig überdachten, sind die Kühe und Hühner untergebracht. Der Vincent macht sich keine Gedanken darüber, wer seine Vorgänger gewesen sein mögen: er wohnt schon drei lange Jahre hier; und hat immer noch genug zu tun, wenn er nur die notwendigsten Verbesserungen anbringen will. Gerade heute soll's wieder einmal einen Ruck vorwärtsgehen.

      »Kommt, Buben! Wir wollen endlich eine richtige Viehtränke machen!« Und er tritt mit seinem Nachwuchs, drei stämmigen Söhnen, in den Garten hinaus, der tiefer liegt als das umgebende Land und von ihm durch eine überwucherte Backsteinmauer abgeschieden wird. An einer bemoosten Stelle träuft als feiner Wasserfaden eine aus dem Unbekannten sich herziehende Quelle hernieder und hat den Boden unter sich in Morast verwandelt.

      Hier fangen sie an, mit Eimern und Schaufeln den Schlamm fortzuschaffen und zuletzt mit grobzinkigen Hacken den auf seinem Grunde befindlichen losen Schutt herauszuzerren, damit in größerer Vertiefung das Wasser sich sammeln und alsdann klären möge. Der Alte befiehlt, die Buben greifen zu: sie liegen vor Eifer mehr auf dem Bauch, als daß sie stehen; und trotz der kühlen Arbeit läuft ihnen der Schweiß von den braunen Stirnen – bis sie auf einmal stutzen, weil sie sich mit ihren Geräten an einem harten Gegenstand verfangen haben. Und jetzt stoßen sie gar einen Schrei des Entsetzens aus; denn aus der dunklen Pfütze sehen sie deutlich eine Hand sich emporrecken.

      »Das ist Teufelswerk!« stößt der Bauer hervor. Und nachdem sie alle kurze Zeit über den Wassertümpel gebeugt dagestanden haben, treten sie ängstlich von der moosigen Mauer zurück und starren auf die steinernen Finger, um die das nachrinnende trübe Wasser langsam höhersteigt und sie bald wieder verschluckt haben wird . . . »Horcht! Horcht! Kommt er nicht schon, der Gottseibeiuns, und will uns holen?« schlottert einer der Buben.

      Von der Straße her tönen Fiedel und Flöte. Aber wie sie es endlich wagen, einen Blick hinzuwerfen, gewahren sie nur ein halbes Dutzend fahrender Schüler, die von einer hohen Schule zur andern ziehen und sich auf ihre Weise den weiten Weg abkürzen . . . Da schießt dem Bauer ein Gedanke durch den Kopf: Die sollen ihnen helfen! Oft genug schon hat er diese Hungerleider mit Milch und Eiern gelabt, um auch einmal einen Dienst von ihnen erbitten zu dürfen –

      »He dort, ihr gelehrten jungen Herren!« ruft und winkt er ihnen mit seinen Söhnen durch den Garten zu. »Kommt her und seht, was wir gefunden haben! Deutet uns dieses Wunder, das wir uns nicht zu erklären vermögen!«

      Und die Vaganten brechen herein durch das blühende Dickicht, lassen sich berichten, was in der Pfütze verborgen liegen soll, und machen sich sofort selber voll Begeisterung an das Entdeckungswerk. Das erste, was sie tun, ist, daß sie für das Wasser eine Abzugsrinne graben; und siehe, nicht nur die Hand kommt wieder zum Vorschein, sondern auch noch ein Arm, eine Schulter, ein Stück Hals – und jetzt ein schöner, wie in jahrtausendealtem Schlummer liegender Frauenkopf. Und wie sie noch weiter den Schutt wegräumen, werden unter dem bereits freigelegten Arm die beiden Brusthügel und dicht unter dem andern, halb ausgestreckten ein ganzer, herrlicher Frauenleib sichtbar.

      »Das ist eine alte heidnische Göttin, die einmal hier auf der Mauer stand und sich in dem Teiche spiegelte, den dieser Quell speiste!« ruft der älteste der Goliarden voll leisen Entzückens aus, als könnte ein lautes Wort die holde Schönheit wie durch Zauber wieder verschwinden lassen . . . »Das ist eines von den