Da erhebt sich einer der Schüler und tritt zu Isa.
»Was heulst du, Mädchen?« raunt er ihr zu. »Diese Steinfrau hier liebt keiner mehr. Aber dich, dich kann man schon lieben!«
Und ein anderer tritt an ihre andere Seite. Der rasch getrunkene Wein glüht ihm bereits vom Gesicht.
»Weinst du etwa, Mädchen, weil du nicht so schön bist?« flüstert er ihr ins Ohr. »Zieh deine Fetzen aus und stell dich neben sie – und sieh dann, ob ich die andere nehme!«
»Was schwatzest du da?« fährt der erste dazwischen. »Wenn sie einem gehören soll, so gehört sie mir!«
»Warum gerade dir, he?«
»Darum –«
Und schlägt ihm die Faust vor die Brust.
Und der andere packt ihn um die Schultern, um ihn niederzuringen.
Alle sind aufgesprungen und versuchen, die Streitenden zu trennen.
»Maria und Joseph!« kreischt die Bäuerin dazwischen. »Hab' ich's doch immer gedacht, es sei ein Geschenk des Bösen!«
»Wo ist das Mädchen?« brüllt der erste Schüler wild.
»Der Teufel mag's wissen!« ruft einer der andern, die bereits zu suchen angefangen haben. Isa ist bei der allgemeinen Verwirrung spurlos im Dämmer verschwunden.
»Ja, der Teufel!« donnert jetzt der Bauer. »Wollt ihr Ruhe geben, ihr Halunken? Oder soll ich einmal meine Faust auf euren Schädeln versuchen? – Und hier das greuliche Heidenweib schafft mir weg! Ihr habt ihm auf die Füße geholfen; so könnt ihr ihm auch Beine machen . . .«
»Ruhe! Frieden!« rufen fast gleichzeitig die am Streite unbeteiligten Schüler. Und zu dem Bauer gewendet: »Gebt uns einen festen Handkarren; und wir stoßen sie so weit fort, daß sie euch nichts Übles mehr antut . . .«
»Dort steht einer!« brummt der Bauer und zeigt nach dem Stall.
»Ich weiß wohin!« lacht pfiffig der jüngste aus der Schar. Und während die einen zischeln und tuscheln untereinander, holen andere den Karren herbei. Und plötzlich sind sie in dem Gedanken an einen fröhlichen Streich wieder ein Herz und eine Seele und kippen die Göttin mit gewaltiger Anstrengung auf den steil neben sie gestellten Karren um, wobei keiner verschmäht, das schöne Steinweib recht ausgiebig zu umarmen.
» . . . Wenn ihr die auch nur bis zum Kloster der frommen Brüder stößt,« grollt einer der Buben, »so wird euch der Rausch verflogen sein!«
Da brechen die Schüler in ein übermütiges, heimlich zustimmendes Gelächter aus. Was mögen sie schon wieder Neues im Schilde führen? denkt die Bäuerin . . . Gottlob! Mit Ächzen und Prusten macht sich die Bande endlich davon.
Am klaren Nachthimmel glänzt scharf die silberne Mondsichel über der Straße. Die Venus liegt auf dem zweirädrigen Karren auf dem Rücken; es ist, als träumte sie und spänne derweilen mit den beiden Händen das Sternenlicht von ihrem mild leuchtenden Leibe ab. Eine Viertelstunde entfernt – aber die tollen Gesellen mit ihrer Göttin brauchen die dreifache Zeit – liegt das große Benediktinerkloster, von einer gewaltigen Mauer umgeben.
Gerade vor dem schweren Balkentor lassen sie die Venus von dem aufgerichteten Karren gleiten und stellen sie behutsam wieder auf ihre Füße. Hier mag sie stehen mit der halb einladenden, halb abwehrenden Bewegung der Arme und dem erloschenen Auge, das von nichts mehr etwas wissen will: ein echtes und gerechtes Sinnbild der holden Frau Welt, welche vertrocknete Weisheit verleugnet hat und immer noch verleumden möchte! Der leere Karren aber wird rücksichtsvoll im nahen Gebüsch versteckt . . .
»Damit die gelehrten Herren endlich einmal wissen, wie das Weib aussieht!« lacht einer der Vaganten, indem er die Göttin zum Abschied auf den Rücken tätschelt. »Wie wüßten sie es sonst?«
Und mit Fiedel und Flöte und übermütigem Gejohle ziehen sie weiter durch die dämmerblauen Felder . . .
33. Rast am Waldsee
So fahren sie nun schon seit Tagen dahin – gefolgt von einem immer größeren Troß von Wagen und Karren, an denen die Kreuze und Fahnen wie Feldzeichen festgebunden sind; und umgeben von einer stets wachsenden Schar von Knaben und Mädchen, die abwechselnd bald aufsitzen, bald zu Fuß gehen –: nach Süden, nach Süden . . .
Ellenor thront neben Stephan unter dem Reifendach und schaut, über die breiten Rücken der beiden Ochsen und ihre hoch ausgreifenden Hörner hinwegzielend, in die Ferne. Sie ist es längst müde geworden, den Staub, der sich auf ihr schönes grünes Kleid setzt, mit ihren feinen weißen Fingern abzuklopfen; und sie wirft auch nicht mehr prüfende Seitenblicke auf Stephan, welcher in seinem grauen Schaffell ihr in dem Maße weniger bäurisch erscheint, als sie selber sich weniger vornehm vorkommt. Sie sieht jetzt an ihm nur noch den Blumenkranz, welcher, täglich von den Mädchen erneuert, sein bleiches Haupt schmückt und sie wie ein Spiegelbild desjenigen anmutet, den sie um ihre eigenen Schläfen fühlt: und so mit ihm in gleicher Art gekrönt, weiß sie sich je länger je mehr mit ihm zum gleichen Schicksal hochgefürstet.
Soeben hat Stephan das Zeichen zum Anhalten gegeben. Die Straße, die schon seit Stunden durch Wald führte, legt sich der Uferlinie eines in dunkelgrünem Tannenschweigen eingebetteten Sees so dicht an, als wollte sie selber die Wanderer zu kühler Rast und Lustbarkeit verlocken. Und schon stehen die Wagen und Karren verlassen in ihren Geleisen, während die jugendlichen Kreuzfahrer unter Gespritze und Gelächter dem seichten Strande entlang waten und sich Hitze und Schweiß des langen Marsches abkühlen und abspülen.
Auch Stephan und Ellenor sind von ihrem Königswagen abgestiegen, wandern zusammen dem Ufer nach, von allen scheu gegrüßt, und schwenken zuletzt auf eine halbinselartig vorspringende Landzunge hinaus. Es ist, als ob sie sich nur deshalb von den andern absonderten, um sich für eine kurze Zeit auch in ihrem Geiste außerhalb der Verkettung der Ereignisse zu stellen. Ellenor fühlt, daß das stundenlange, tagelange Schweigen gebrochen werden wird; und Stephan bricht es . . .
»Wie gefällt dir die Reise nach dem heiligen Land, Schwester, seit aus dem Spiel Ernst geworden ist?«
»Aus dem Spiel?« Ellenor senkt beschämt den Blick.
»Ein Spiel war es für dich, als du mit deinen Freundinnen heimlich von Hause fortrittest –«
»Und wenn auch? . . . Ist es nicht manchmal so, daß der Ernst wie ein Spiel anhebt?« erwidert sie, tritt auf eine Felsenkanzel hinaus und schaut in das klare Wasser hinab.
»Manchmal! Ja!« hört sie Stephans Stimme hinter sich.
Und sie denkt an den jungen Ritter: wie er ihr den Falken brachte, der ihr so zahm auf dem behandschuhten Zeigefinger saß. Und wie er nichts anderes wollte, als daß auch sie sich von ihm eine Kette anlegen ließ und sich dazu verstand, geblendet ein Leben lang ihm aus der Hand zu fressen und keinen höheren Flug der Sehnsucht mehr zu wagen, als sein Wille ihr zu tun erlaubte! Und um sie dazu zu bringen, hatte er sich mit ihren eigenen Eltern ins Einvernehmen gesetzt und hatten sie alle den Ring einer heimlichen Verschwörung um sie gezogen . . .
Da sieht sie unten in der spiegelnden Flut neben ihrem dunklen Abbild dasjenige Stephans, der neben sie getreten ist. Erscheint ihr