EQUALIZER. Michael Sloan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Sloan
Издательство: Bookwire
Серия: Equalizer
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958354616
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      Sie wurde nicht langsamer. Sie dachte: Er kennt den Namen meines Chefs! Er weiß, dass ich Anwaltsgehilfin bin. Er kannte meinen Namen, noch bevor er den Geldbeutel aufgehoben hat! Wenn er ihn überhaupt wirklich gefunden hat! In diesem Moment wusste sie, dass er ihn ihr geklaut hatte, um ihn ihr dann großmütig zurückzugeben.

      Jetzt war sie ernstlich angepisst.

      Er sah zu, wie sie sich zu ihrer Freundin Megan an den Tisch setzte. Sie fingen sofort an zu reden. Er fragte sich, ob die Roothaarige – die auch verdammt gut aussah, die Brüste nicht so groß wie die von Karen, aber einen Granatenarsch, das hatte er gesehen, bevor sie sich hingesetzt hatte – in seine Richtung gucken würde. Er hoffte es. Das bedeutete, dass er das Erste war, wovon Karen ihr erzählt hatte. Aber sie warf ihm keinen Blick zu. Vielleicht hatte Karen sie gewarnt, es zu tun.

      Das war egal. Er konnte sie hier immer zur Mittagszeit finden. Er hatte ihr in die Augen gesehen und den Funken Interesse erkannt. Mehr als das. Lust. Sie versuchten alle, es zu verstecken; es war eine instinktive Reaktion, sie konnten nicht anders. Er wusste, dass Frauen ihm zuerst in die Augen sahen, dann auf den Schritt, um zu sehen, wie groß die Beule war. Das war immer so. Karen hatte ihn nicht enttäuscht.

      Er setzte sich auf den Mauervorsprung, zu dem Karen eigentlich unterwegs gewesen war, nahm einen Schluck von seinem Latte macchiato durch das kleine Loch. Dann packte er sein Sandwich aus und biss hinein. An ihrem Tisch redete Megan ernsthaft auf Karen ein. Karen drehte sich einmal um und blickte über die Schulter. Sie sah Jeff Carlson auf der Mauer sitzen und sein Sandwich essen, als würde er sie nicht bemerken.

      Jetzt tat es ihr leid, dass sie nicht ihren Mann gestanden und ihm in die Eier getreten hatte.

      Zwischen 16 und 17 Uhr war im Bentleys nie viel los. Die Hilfskellner waren noch damit beschäftigt, zwei große Tische abzuräumen. Nur eine Sitznische vor den großen Fenstern war besetzt, von Karen Armstrong und ihren Freundinnen. McCall sah, dass es die üblichen Verdächtigen waren, inklusive einer jungen Frau, die er vorher noch nicht gesehen hatte, ein wenig pummelig, kastanienbraune Locken, die ein hübsches Gesicht einrahmten. Er trug das Tablett mit Drinks zu ihnen. Er bemerkte, dass Karen etwas aufgeregter war als normalerweise. Ihre Stimme hatte einen zornigen Unterton.

      »… und als wir gegangen sind, konnte ich spüren, wie seine Blicke sich in meinen Rücken bohrten. Eigentlich wohl eher in meinen Arsch.«

      »Er sah aus wie Ted Bundy«, sagte die Rothaarige. »Gut aussehend, locker, du weißt schon, ein echt netter Typ, wie einer dieser mormonischen Missionare, die an deine Tür klopfen, mit der Bibel in der einen und ihrem Schwanz in der anderen Hand.«

      »Und dann hab ich mich daran erinnert, dass ich ihn schon mal gesehen hatte«, sagte Karen. »Nicht nur in dem Sandwichladen. Er war auch in der Lobby vom 221 am Montagabend. Er hatte sich die Zimmertafel angesehen, als würde er nach etwas suchen. Ich dachte mir noch, der Typ sieht ja ganz schnuckelig aus. Ich kann’s nicht glauben, dass ich das sage, aber das hab ich gedacht. Und dann, als ich letzten Abend von der U-Bahn nach Hause gegangen bin, hab ich mich irgendwie komisch gefühlt. Als würde mir jemand folgen. Ich hab mich umgedreht, doch da war niemand. Ich meine, ich hab ihn nicht gesehen, aber ich konnte das Gefühl nicht abschütteln. Wir haben ja unseren Mann an der Tür, Harry, aber der sieht aus, als hätte er schon vor dem Gebäude gestanden, als die Milchwagen noch mit Pferden den Broadway entlangfuhren. Ich glaube nicht, dass der jemanden beschützen kann.«

      »Das ist der Schutz, den du brauchst«, sagte Megan und machte ihre Handtasche auf. Sie wühlte darin herum und zeigte eine Glock, Kaliber .22, Halbautomatik mit einem 4-Zoll-Lauf von Smith & Wesson.

      Karen machte große Augen. »Wow. Hast du eine Erlaubnis dafür?«

      »Oh, ja. Mein Dad ist Cop. Der hat mir die Papiere in 72 Stunden besorgt.«

      McCall kam an die Sitznische, aber sie waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie nicht einmal aufblickten. Eine von Karens anderen Kolleginnen, McCall glaubte, dass sie Susan hieß, ein süßes, etwas schüchternes Mädchen mit hellblauen Augen hinter einer getönten Brille, machte ihre Handtasche auf.

      »Ich hab immer Reizgas dabei«, sagte sie.

      »Reizgas heißt aber, dass man richtig nahe an den Angreifer ran muss«, entgegnete eine andere Frau aus der Gruppe. McCall glaubte, ihr Name war Candice. Sie war groß und schlank und warf sich häufig die braunen Locken aus der Stirn. McCall fand, es war vermutlich einfacher, sie abzuschneiden. »Man muss es ihm direkt ins Gesicht sprühen.«

      »Eine 22er-Automatik ist die Waffe der Wahl«, beharrte Megan.

      »Nur, wenn man weiß, wie man sie benutzt«, sagte McCall.

      Alle sahen hoch.

      »Oh, hey Bobby, du hättest die Drinks nicht rüberbringen müssen. Ich wäre auch an die Bar gekommen«, sagte Karen.

      »Kein Problem.«

      Er stellte die verschiedenen Cocktails auf den Tisch.

      »Ich weiß, wie man damit schießt«, sagte Megan ein wenig in die Defensive gedrängt. »Mein Dad ist Polizist. Er hat mich in Brooklyn oft mit auf den Schießstand genommen.«

      »Vielleicht sollte ich mir auch eine Pistole besorgen«, meinte Karen.

      McCall stellte einen Sex on the Beach vor Megan. »Wenn du die Glock special da ziehen musst, wo zielst du dann hin und wie viele Schüsse feuerst du ab? Drei oder vier Treffer in den Brustkorb? Oder zielst du auf die Augenhöhle? Bist du beidhändig? Hast du gelernt, mit der dominanten Hand zu schießen?«

      »Äh, sicher, ich bin Rechtshänderin.«

      »Lässt du immer beide Augen offen? Oder schließt du dein nicht-dominantes Auge, drehst den Kopf leicht und benutzt das dominante Auge?«

      Megan war eindeutig ratlos. »Ich würde beide Augen offenlassen, und wenn ich angegriffen werde, dann ziele ich auf den Kopf des Arschlochs.«

      »Es wäre besser, auf die Brust zu zielen. Ist ein größeres Ziel.«

      »Du scheinst ja eine Menge darüber zu wissen«, sagte Karen. »Trägst du eine Waffe, Bobby?«

      »Eine tragen? Nein. Ich hab ein paar davon abgefeuert über die Jahre. Wenn du eine Waffe zum Eigenschutz kaufen willst, dann musst du wissen, wie man sie benutzt. Ich könnte es dir beibringen.«

      »Ich komm schon klar. Danke trotzdem.«

      Karen sah ihre Freundinnen an und hätte fast die Augen gerollt.

      Als ob er ihr helfen konnte.

      »Wenn du dir Sorgen wegen eines Stalkers machst, dann geh zur Polizei«, sagte McCall.

      »Und was soll ich denen sagen?«, schnaubte Karen verächtlich. »Dass ein gut aussehender Typ mich bemerkt hat? Besonders, wenn ich kurze Röcke trage und den obersten Knopf der Bluse offen lasse? Dass ich ihn an einem Abend in der Lobby meines Wohnhauses gesehen habe? Dass er mir meine Brieftasche zurückgegeben hat, nachdem ich sie in der Mittagspause habe fallen lassen? Dass er mich auf einen Kaffee eingeladen hat? Oh, sicher, da bekomme ich bestimmt rund um die Uhr Polizeischutz. Er hat nichts getan, um mich zu bedrohen. Es ist nur seine Art, der Tonfall seiner Stimme. Er ist ein Widerling. Ich werde mich drum kümmern.«

      McCall wusste, wenn jemand ihm eine Abfuhr erteilte.

      »Sei einfach vorsichtig«, sagte er.

      Seine Aufmerksamkeit war abgelenkt.

      Er hatte sie ins Bentleys kommen sehen und wie sie sich in die erste Nische hinter dem Empfangspult gesetzt hatte. Sie sah nicht ins Restaurant oder durchs Fenster auf die Straße. Sie blickte einfach geradeaus. Er hatte nur zweimal mit ihr gesprochen, als sie mit ihrer Mutter da gewesen war, und sie hatte ihm nicht geantwortet. Er dachte, sie war vielleicht autistisch oder litt am Asperger-Syndrom. Sie trug Jeans, ein dunkelrotes Hemd und eine graue Windjacke. Die pechschwarzen Haare fielen offen über die Schultern, was ihr ein etwas wildes, zigeunerhaftes Aussehen verlieh. Ihre Augen waren glänzend schwarz. Die Sorte, in denen