Cat sah nach links und rechts, senkte ihre Aura der Unsichtbarkeit und bückte sich, um Ada zu umarmen. »Ich liebe dich, Baby. Aber woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Wo der Smartstaub nicht ist, da bist du!« Ada kicherte und hielt ihr die Kette mit den Gänseblümchen hin. »Für dich«, beharrte sie.
Cat streckte ihre offenen Hände aus. »Ich akzeptiere.« Sie nahm die Blumenkette und legte sie sich um den Hals. Die Leichtigkeit, mit der Ada sie entdeckt hatte, beunruhigte sie ein wenig. Wie viel Technologie war gut für eine Vierjährige? Sie lebten in einem seltsamen Zeitalter, in dem viele Menschen Neuralimplantate besaßen, die ihren Intellekt aufrüsteten. Selbst Kinder hatten schon diese Implantate, die man brauchte, um sich mit dem Netz zu verbinden, und verbrachten Zeit in der virtuellen Realität.
Aber sie waren weiter gegangen als die meisten, waren viel stärker mit Nanotechnologie aufgerüstet, die tief in ihre Körper verwoben war. Es schien richtig zu sein, Ada dieselben Vorteile zu gewähren wie den Eltern, aber dennoch war Cat unsicher. Vielleicht sollten Vierjährige noch keine Neuralimplantate haben und von Wolken aus Nanotech umgeben sein.
»Es geht ihr gut«, sagte Leon und beantwortete damit ihre unausgesprochene Frage, als er Cat umarmte. »Und mir geht es auch gut. Aber ich habe dich vermisst.«
Sie schlang die Arme um ihn und küsste ihn. Ein langer Kuss, der anhielt, bis Jubel in der Gruppe um sie herum auf der Wiese ausbrach.
Cat sah sich um und errötete, aber die meisten Leute beachteten sie gar nicht. Mike nickte ihr von seinem Platz bei den Trommlern auf der anderen Seite der Wiese zu. Helena tanzte mit einer Gruppe zerzauster Hippie-Teenager in der Mitte des Kreises, ihre Tentakel wanden sich im Rhythmus der Musik. Sie winkte Cat mit ein paar Tentakeln zu und tanzte weiter.
Die ganze Zeit wirbelten die KIs, die keinen Roboterkörper besaßen, im Smartstaub herum, klar und scharf aus der Sicht des Netzes, doch nur schemenhaft und wie Dunst für das bloße Auge, sodass sie wie Geister oder Erscheinungen wirkten. Leon, Mike und sie waren so etwas wie Prominente in der Welt der KIs und sie waren immer von ihren Bewunderern umgeben.
Cat sank auf den Boden, ignorierte alles um sich herum, um ihr kleines Mädchen einfach ganz fest an sich zu drücken.
»Ich habe dich vermisst, Krümelchen.« Sie fasste Ada bei der Taille, zog sie ins Gras hinunter und prustete auf ihrem Bauch.
Ada wand sich und kreischte. »Ich bin kein Krümel! Ich bin eine menschliche Bohne!«
»Klar bist du das. Jetzt gebe ich dir noch einen Pruster, nur zur Sicherheit. Ich war sechs Tage weg, also schulde ich dir sechs Pruster.«
»Nein, nein«, kreischte Ada, zog aber gleichzeitig ihr Kleid hoch. »Mehr Pruster, noch viel mehr!«
Sie liefen zurück nach Channel Rock, obwohl die Trommler gerade erst richtig in Fahrt gekommen waren. Cat trug die schläfrige Ada in ihren Armen auf dem eineinhalb Kilometer langen Pfad bis zu Gileans Hütte. Sie legten Ada ins Bett und deckten sie mit ihrer Daunendecke zu.
Cat hob ihre lederne Umhängetasche wieder auf.
»Komm ins Bett«, sagte Leon.
»Sie haben darauf gewartet.« Sie drückte die Tasche an sich.
»Deine Familie hat auch auf dich gewartet. Ich habe gewartet.«
»Lass sie mich nur anschließen. Ich bin in fünf Minuten wieder da.«
»Sicher doch«, antwortete Leon. Er drehte sich um und ging davon, dieselbe alte Melodie summend, die ihm immer durch den Kopf schoss, wenn Cat wieder ganz woanders war: Level-up von Ruby Calling. »Pay attention, pay attention, pay attention to me, step away from the gadgets or we're history.«
»Schon kapiert, Schatz. Ich bin in ein paar Minuten zurück.«
Cat ging den Hügel zum Cob House hinauf, dem großen Hauptgebäude von Channel Rock, handgemacht aus Erde, Schweiß und dem Holz der Bäume der Umgebung. Sie ging am Haus vorbei zu einer handgearbeiteten Tür an der Seite des steilen Hügels, zog die Tür auf und betrat den Vorratskeller, drei Meter tief in die nackte Erde hineingegraben. So hatten Familien ihre Vorräte aufbewahrt, lange bevor es Kühlschränke gab. Am anderen Ende des Vorratskellers tippte sie einen Code in das Digitalschloss einer weiteren Tür. Diese war aus rostfreiem Stahl, ein wasserdichtes Schott, das im scharfen Kontrast zu dem bearbeiteten Holz um sie herum stand. Die Stahltür schwang auf, der massive Flügel in seiner Aufhängung perfekt ausbalanciert, und sie kletterte hinunter in den ›Maschinenraum‹.
Der ›Maschinenraum‹ erstreckte sich in den Hügel hinein und enthielt Dutzende von Serverracks. Jede Recheneinheit hatte 1000 CPU-Kerne, komprimiert auf die Größe eines Kaugummistreifens. 128 dieser Streifen waren in ein aufrechtes Serverblade gesteckt, es gab 32 Blades pro Chassis und 22 Chassis pro Rack. Immer wenn Mike hierherkam, konnte er nicht aufhören zu schwärmen, wie viel Rechenleistung sie hier hatten, wie viele gigantische Rechenzentren in seiner Jugend nötig gewesen wären, um das zusammenzukriegen, was sie in einem Loch im Boden betrieben, das sie mit ihren eigenen Händen ausgehoben hatten.
Der allgegenwärtige Smartstaub auf der Wiese und in der Umgebung war da, um jene KIs zu unterstützen, die keine Roboterkörper hatten, um ihnen eine Präsenz in der physischen Welt zu gewähren, auch wenn die Implantate der Menschen offline waren. Aber die Wolken aus Nanobots waren zu filigran und energiearm, sie verfügten nicht über genug Rechenleistung, um auch nur das Bewusstsein einer einzigen KI zu beherbergen. Starker Wind und Regen konnte sie vorübergehend außer Gefecht setzen, ein Blitzschlag in der Nähe würde sie sogar komplett zerstören. Und weil sie so winzig waren, hätte man eine gewaltige Wolke aus Smartstaub benötigt, um genug Rechenleistung für eine einzelne KI zusammenzubekommen. Alle, die die letzten zwei Jahre im Limbo verbracht hatten, verdienten aber die Sicherheit und die Rechenleistung, die nur ein echtes Rechenzentrum gewährleisten konnte.
Cat schüttete die Memory-Chips aus ihrer Tasche, sodass sich auf dem Holztisch ein kleiner Haufen Plastik bildete, öffnete ein IO-Rack und begann sie in die Slots zu stecken.
»Helena!«, rief sie über das Netz.
»Ja?« Helenas Körper war noch drüben beim Trommelkreis, aber ihre Stimme erklang in Cats Kopf.
»Ich lade gerade alle hoch, die ich mitgebracht habe. Könntest du sie online einweisen?« Für eine KI oder einen Menschen, der zwei Jahre lang offline gewesen war, waren der Schock des Hochladens und die Veränderungen in der Welt oft einfach zu groß, wenn niemand sie anleitete.
»Natürlich«, antwortete Helena. »Aber du gehörst ins Bett.«
»Ich weiß, aber ich muss doch noch all diese Leute online bringen.«
Cat steckte einen Chip nach dem anderen ein. Es waren Tausende, aber sie musste es einfach selbst tun, mit ihren eigenen Händen, aus Gründen, die sie selbst nicht ganz verstand.
Als sie eine Stunde später fertig war, ging sie zu Gileans Hütte zurück. Sie hörte die Brandung am Strand und fragte sich, ob man heute das biolumineszente Plankton sehen konnte, aber Leon ging vor. Im Inneren der Hütte zog sie sich aus und schlüpfte ins Bett. Die Flanelllaken legten sich weich und warm um ihre nackte Haut. In der Dunkelheit fand sie Leon, zog ihn zu sich heran und ihre Körper vereinigten sich.
Am späten Nachmittag ihres ersten Tages auf der Insel kehrten Cat, Leon und Ada zu Trude's Café zurück, um sich wie gewöhnlich mit den anderen auf der Wiese zu versammeln. Es war noch früh. Noch gab es keine Trommler, aber Leute von der ganzen Insel begannen einzutreffen.
Cortes war ein kultureller Schmelztiegel vieler verschiedener Gruppen. Die Agrar-Naturalisten, die Perma-Kulturalisten und die Hanfbauern, die sich die Insel zuerst geteilt hatten und hier in Eintracht seit den 60ern und den 70ern lebten. Ihre ersten seltsamen Bettgefährten waren die nachhaltigen Wirtschaftler gewesen, die nach der Jahrtausendwende hier MBA-Seminare abhielten. Die Hippies trafen die Anzugträger, und die Hippies hatten gewonnen.
Dann, vor zwei Jahren, waren Mike