»Sie kollabiert!« rief der Anästhesist in diesem Moment.
Dr. Daniel entschied sich in Sekundenschnelle. »Ich lege einen arteriellen Zugang.« Er blickte zu Dr. Sommer hinüber. »Gib mir das Blut…«, im Druckbeutel, hatte er sagen wollen, unterbrach sich aber, als er sah, daß Dr. Sommer schon dabei war. Trotzdem blieb Monas Zustand bedenklich.
»Ich gebe der Patientin einen Milliliter Atropin«, meldete Dr. Sommer. Dr. Daniel nickte, ohne von seiner Arbeit aufzusehen, dann warf er der OP-Schwester einen kurzen Blick zu. »Bereiten Sie eine Dopamin-Infusion vor.«
»Multifokale Extrasystolen!« rief der Anästhesist hektisch.
»Nein, verdammt«, knurrte Dr. Daniel und sah wie beschwörend zum Monitor hin, der anzeigte, daß Monas Herz den Belastungen nicht mehr lange standzuhalten vermochte.
»Der Blutverlust ist noch immer enorm hoch«, meinte Dr. Sommer besorgt.
»Kümmere dich bitte darum«, entgegnete Dr. Daniel, dann wandte er sich dem Anästhesisten zu. »Spritzen Sie der Patientin hundert Milligramm Lidocain intravenös.«
Der schrille Piepton, der im nächsten Augenblick vom Monitor ertönte, fuhr allen Ärzten buchstäblich in die Knochen. Herzstillstand!
»Den Defibrillator!« rief Dr. Daniel, doch die OP-Schwester stand schon bereit und reichte ihm die beiden Defibrillatorpaddel.
»Auf 260 laden«, kommandierte Dr. Daniel, dann drückte er die Defibrillatorpaddel auf Monas Brust. »Zurücktreten!« Er drückte auf den Knopf, der einen kurzen Stromstoß durch den Körper der Patientin jagte. Der schrille Pfeifton verstummte und machte dem regelmäßigen Piepen Platz, das anzeigte, daß das Herz seine Arbeit wieder aufgenommen hatte.
»Gott sei Dank«, stieß Dr. Daniel hervor, und die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören.
»Die Blutung kommt allmählich zum Stillstand«, meldete sich jetzt Dr. Sommer zu Wort.
Dr. Daniel nickte, dann kontrollierte auch er noch einmal den Uterus der Patientin, doch Dr. Sommer hatte die zurückgebliebenen Reste der Plazenta bereits entfernt.
Dr. Daniel ging ihm zur Hand, und zusammen begannen sie, die Wunde zu schließen, nachdem er sich nochmals davon überzeugt hatte, daß die Blutung tatsächlich zum Stillstand gekommen war.
»Blutdruck stabilisiert sich«, erklärte der Anästhesist, der seinen Platz ebenfalls wieder eingenommen hatte.
Dr. Daniel atmete auf. »Ich glaube, wir haben’s geschafft. Die Mutter wird überleben. Fragt sich nur, wie es inzwischen den Babys geht.«
*
Dr. Senge war mit dem winzig kleinen, völlig leblos wirkenden Kind in den Nebenraum geeilt. Hier hatte er alles, was er brauchte. Mit einem sterilen Absaugschlauch saugte er vorsichtig, aber in der gebotenen Eile dickflüssigen Schleim aus Mund, Nase und Rachenhöhle des Babys. Eine Säuglingsschwester ging ihm dabei unaufdringlich und hilfreich zur Hand.
»Ich muß dringend intubieren«, erklärte Dr. Senge, und die Schwester reichte ihm die Instrumente, während das kleine Mädchen noch immer blau und jämmerlich vor ihnen auf dem Behandlungstisch lag.
»Kriegen Sie die Kleine durch?« fragte die Schwester mit bebender Stimme.
»Keine Ahnung«, antwortete Dr. Senge wahrheitsgemäß. »Ich hoffe es.«
Jetzt hatte er dem Baby den Tubus eingeführt, durch den es künstlich beatmet werden konnte. Ohne viele Worte übernahm die Schwester die Beatmung, während Dr. Senge eine Spritze mit einem Atemstimulans aufzog und dem kleinen Mädchen injizierte.
»So, mein Spatz, jetzt bist du dran«, erklärte der Frühgeborenen-Spezialist. »Ein bißchen was mußt du schon auch dazu tun.«
»Mir scheint, Ihre Aufforderung hat etwas genützt«, meinte die Schwester mit der Spur eines Lächelns, und wies auf den schon beinahe lilafarbenen Körper des Kindes, der sich ganz allmählich rosig zu färben begann.
Doch Dr. Senge war mit der Entwicklung der Dinge noch nicht zufrieden.
»Holen Sie mir eine Glukoselösung«, ordnete er an, während er die Beatmung des Kindes übernahm.
Die Schwester war in Windeseile wieder zurück und gab dem Arzt das Gewünschte. Rasch und geschickt legte Dr. Senge nun bei dem Baby eine Infusion.
»Sie hat sich bewegt!« stieß die Schwester impulsiv hervor.
Trotzdem ließ Dr. Senge die künstliche Beatmung vorerst aufrechterhalten. Erst als die Bewegungen des Babys intensiver wurden und er sicher sein konnte, daß die Kleine fähig war, selbständig zu atmen, entfernte er vorsichtig den Tubus. Nahezu im gleichen Moment stieß das Baby einen tiefen Seufzer aus, doch dann erlag die Atmung wieder.
»Na komm, das kann doch noch nicht alles gewesen sein«, meinte Dr. Senge und war bereits drauf und dran, ein zweites Mal zu intubieren.
Noch einmal schnappte die Kleine nach Luft, dann begann sie ganz jämmerlich zu weinen.
Dr. Senge atmete auf. Einen Augenblick hatte er befürchtet, daß ihm ein Fehler unterlaufen war, als er den Tubus entfernt hatte.
»Wie sieht’s aus?«
Mit dieser bangen Frage stürzte Dr. Daniel in den Raum, und sein blutverschmierter grüner Kittel wies nur zu deutlich Spuren auf, wie verbissen er um das Leben seiner Patientin gekämpft hatte.
»Gar nicht so schlecht«, urteilte Dr. Senge. »Die beiden Jungs sind recht kräftig, nur das kleine Mädchen macht mir noch Sorgen.« Er lächelte. »Bei dieser Kraft geballter Männlichkeit ist sie offenbar ein bißchen zu kurz gekommen. Dazu die überraschende vorzeitige Plazentaablösung… Aber ich denke, wir werden sie irgendwie durchkriegen.«
Mit dieser Auskunft war Dr. Daniel noch nicht zufrieden.
»Und wie wird ihr Leben aussehen?« wollte er wissen.
Dr. Senge wurde ernst. »Das ist im Augenblick schwer zu beurteilen. Der Fünf-Minuten-Apgar war mehr als zufriedenstellend, und da es den beiden Jungs gut geht, gehe ich davon aus, daß auch die Kleine nicht ohne Sauerstoffversorgung war.«
Dr. Daniel lehnte sich gegen die Wand. Jetzt endlich bemerkte er seine eigene Erschöpfung.
»Die Plazenta hatte sich nur an einer kleinen Stelle abgelöst«, erklärte er. »Darüber hinaus waren die Herztöne aller drei Kinder bis unmittelbar vor dem Kaiserschnitt vollkommen in Ordnung. Nach diesem Befund konnte man eigentlich weder mit der vorzeitigen Ablösung noch mit dem schlechten Zustand des kleinen Mädchens rechnen.«
»Wenn die Sauerstoffversorgung bis zum Beginn des Kaiserschnitts gut war, schließe ich eine geistige Behinderung eigentlich aus«, meinte Dr. Senge.
Erleichtert atmete Dr. Daniel auf, dann trat er zu der jungen Säuglingsschwester, die das weinende Baby zärtlich in den Armen wiegte. Mit einem Finger streichelte er über das runde Bäckchen der Kleinen.
»Deine Mama braucht noch ein bißchen Erholung«, flüsterte er. »Aber du darfst dafür gleich zu deinem Papi.«
Diese Aussicht erschien dem Baby offenbar wenig reizvoll, denn es schrie noch jämmerlicher als zuvor. Erst als Dr. Daniel es in den Arm nahm, verstummte das klägliche Weinen.
»Sie wirken anscheinend nicht nur auf Ihre erwachsenen Patienten beruhigend«, meinte Dr. Senge schmunzelnd. »Auch Babys spüren diese Ausstrahlung schon.«
»Ich weiß genau, was Sie damit sagen wollen«, entgegnete Dr. Daniel lächelnd. »Ich bin so langweilig, daß man bei mir nur einschlafen kann.«
Dr. Senge mußte lachen. »So waren meine Worte ganz bestimmt nicht aufzufassen!«
»Das weiß ich, Herr Kollege.« Er legte das jetzt schlafende Baby in den vorbereiteten Brutkasten, dann