Besorgt runzelte Dr. Daniel die Stirn. »Hoffentlich ist nichts passiert.«
Sie hatten jetzt die Notaufnahme erreicht und in diesem Augenblick hielt draußen auch schon der Krankenwagen der Waldsee-Klinik. Die fahrbare Trage wurde herausgehoben und mit einem stählernen Rasseln klappten die Räder nach unten.
Durch die Doppeltüren trat Dr. Daniel nach draußen. Im selben Moment stieg Bernd Köster aus dem Krankenwagen und eilte, so rasch es seine Rückenschmerzen erlaubten, zu seiner jungen Frau, die leise stöhnend auf der Trage lag.
»Ist das meine Schuld?« wollte Bernd ängstlich wissen, noch ehe Dr. Daniel auch nur ein Wort sagen konnte.
Der Arzt begriff sofort, was Bernd meinte. Vor ein paar Monaten war er mit seinem Auto hinten auf Monas Wagen aufgefahren. Das Resultat waren damals leichte vorzeitige Wehen gewesen, während es Bernd bei diesem Unfall sehr viel schlimmer erwischt hatte. Er war nur knapp an einer Querschnittslähmung vorbeigegangen und hatte aufgrund eines instabilen Wirbelbruchs vor einigen Wochen noch eine operative Wirbelversteifung über sich ergehen lassen müssen. Seitdem litt er unter Rückenschmerzen, und Dr. Scheibler, der Chefarzt der Waldsee-Klinik, hatte ihm prophezeit, daß das unter Umständen sein ganzes Leben so bleiben würde. Im Moment war das allerdings noch Bernds geringste Sorge.
»Nein, Herr Köster«, beruhigte Dr. Daniel ihn. »Der damalige Unfall hat mit den jetzigen Wehen ganz bestimmt nichts zu tun.«
Inzwischen hatten sie den Untersuchungsraum erreicht. Dr. Daniel verschaffte sich einen ersten Überblick über die Lage.
»Versuchen Sie sich zu entspannen, Mona«, bat er.
»Es tut so schrecklich weh, Herr Doktor«, flüsterte Mona Lombardi-Köster mit gepreßter Stimme.
»Ich weiß«, meinte Dr. Daniel teilnahmsvoll. »Sie müssen das auch sicher nicht mehr lange
aushalten. Ich werde sehen, ob man die Geburt noch aufhalten kann.«
Erstaunt sah Bernd ihn an. »Aber… warum haben Sie das nicht gleich versucht?«
»Weil ich Ihre Frau zunächst hier in der Sommer-Klinik wissen wollte«, erklärte Dr. Daniel. »Erfahrungsgemäß müssen Mehrlinge in einer solchen Situation geholt werden, und dafür ist Dr. Sommer wesentlich besser eingerichtet, als die Waldsee-Klinik. Er verfügt über eine ausgezeichnete Frühgeborenen-Intensivstation, auf der Ihre Babys die größten Chancen haben.«
Noch während er sprach, kam ihm zu Bewußtsein, daß Bernd ja gar nicht der leibliche Vater dieser drei Babys war. Er und die damals bereits schwangere Mona hatten sich ja erst durch den Unfall kennengelernt und vor zwei Wochen, als sich Bernd von der zweiten Operation ein wenig erholt hatte, hatten für das junge Paar die Hochzeitsglocken geläutet.
Dr. Daniel tastete nur sehr vorsichtig, aber dennoch äußerst gründlich den Muttermund ab und stellte dabei schon fest, daß die Geburt nicht mehr aufzuhalten sein würde. Der Muttermund hatte sich bereits vier Zentimeter geöffnet. Somit war Eile angesagt, denn Drillinge konnten keinesfalls auf natürlichem Weg geboren werden, und diese hier waren überdies auch noch mehr als einen Monat zu früh dran.
»Ich lege Ihnen jetzt eine Infusion, Mona«, meinte Dr. Daniel, während er sich die Handschuhe abstreifte. »Sie bekommen ein wehenhemmendes Medikament. Anschließend bringe ich Sie in den Operationssaal, und dort werde ich zusammen mit Dr. Sommer einen Kaiserschnitt vornehmen.« Er lächelte sie an. »In spätestens einer Stunde werden Sie Mami sein.« Beruhigend drückte er Monas Hand. »Machen Sie sich keine Sorgen, ihre Babys werden hier bestens versorgt.« Über die drohende Gefahr, daß zumindest eines der zu früh geborenen Babys sterben könnte, verlor er kein Wort, um Mona jetzt nicht zu verunsichern. Die Empfindungen und Ängste der Mutter übertrugen sich nämlich auch auf die ungeborenen Kinder, und gerade um sie mußten die Ärzte jetzt kämpfen. Dazu gehörte, der Mutter Mut zu machen, denn wenn sie die Hoffnung verlor, dann würden damit womöglich auch die Babys geschwächt.
Inzwischen war eine Krankenschwester mit dem Infusionsbesteck zurückgekehrt. Rasch und geschickt legte Dr. Daniel den Zugang. Er fühlte sich hier in der Klinik seines Freundes ebenso zu Hause wie in der Waldsee-Klinik. Dr. Sommer hatte noch nie etwas einzuwenden gehabt, wenn sein Freund hier in der Klinik seine eigenen Patientinnen versorgte – im Gegenteil. Der Chefarzt wußte, wie beliebt Dr. Daniel war und das rückhaltlose Vertrauen der Patienten war für die Genesung noch immer am wichtigsten. Dr. Daniel schloß nun die Infusion an und regelte die Tropfgeschwindigkeit, dann beugte er sich noch einmal zu Mona hinunter.
»Haben Sie keine Angst, Mona«, bat er. »Für Sie und Ihre Babys wird hier alles getan.« Er richtete sich auf und sah Bernd an. »Bleiben Sie bei Ihrer Frau, bis sie abgeholt wird. Ich muß jetzt zusehen, daß ich in den Operationssaal komme.«
Bernd nickte, dann nahm er den Arzt beiseite. »Wird wirklich alles gutgehen?«
»Ich hoffe es«, antwortete Dr. Daniel. »Mehrlingsgeburten sind immer ein Risiko, auch wenn sie nicht zu früh kommen. Aber eines kann ich Ihnen mit absoluter Sicherheit sagen: Bessere Chancen als hier in dieser Klinik hätten Ihre Babys sonst nirgends.«
»Danke, Herr Doktor«, murmelte Bernd halbwegs erleichtert, dann wandte er sich Mona zu und sprach liebevoll mit ihr.
Dr. Daniel warf einen letzten Blick auf das junge Paar, dann eilte er zum OP. Dr. Sommer wartete dort schon auf ihn.
»Ich hoffe, du bist dir des Risikos bewußt«, meinte er sofort, während Dr. Daniel begann, sich die Hände abzuschrubben. »Die Chancen, frühgeborene Drillinge durchzukriegen, sind nicht gerade groß.«
Dr. Daniel nickte. »Ich weiß, aber dein Dr. Senge ist der beste Frühgeborenen-Spezialist, den es in München und Umgebung gibt. Abgesehen davon sind die Drillinge keine wirklichen Frühgeborenen. Sie sind das, was man allgemein als Acht-Monats-Kinder bezeichnet. In vier Wochen hätten wir sie sowieso mit Kaiserschnitt geholt.«
»Robert, du bist Gynäkologe«, stellte Dr. Sommer fest. »Du weißt genau, was vier Wochen bei Mehrlingen ausmachen können. Senge ist erstklassig, aber gib dich trotzdem keinen Illusionen hin. Es ist äußerst unwahrscheinlich, daß wir alle drei Kinder durchbekommen.«
Sekundenlang schloß Dr. Daniel die Augen. Er haßte solche Prognosen, aber er wußte auch, daß es nötig war, realistisch zu bleiben.
Gemeinsam betraten die beiden Ärzte den Operationssaal. Durch die andere Tür wurde in diesem Moment Mona Lombardi-Köster hereingebracht. Der Anästhesist tauschte einen kurzen Blick mit Dr. Sommer, dann leitete er die Narkose ein.
Als Dr. Sommer und Dr. Daniel an den OP-Tisch traten, stieß der Frühgeborenen-Spezialist Dr. Bruno Senge zum Team hinzu.
Ohne viele Worte zu verlieren, waren die Freunde übereingekommen, daß Dr. Daniel den Eingriff durchführen und Dr. Sommer assistieren würde – nicht nur, weil es sich bei Mona um eine Patientin von Dr. Daniel handelte, sondern weil Dr. Sommers Spezialität die Mikrochirurgie war und er demzufolge bei Kaiserschnitten nicht mehr über so viel Routine verfügte wie er selbst für nötig erachtete.
Die OP-Schwester reichte Dr. Daniel das Skalpell. Mit einer raschen, sicheren Bewegung führte er den Bauchschnitt durch, wartete, bis Dr. Sommer die Haken angesetzt hatte und öffnete dann vorsichtig den Uterus. Was er sah, ließ ihm sekundenlang den Atem stocken. Die Plazenta hatte schon begonnen, sich abzulösen, was nach der Untersuchung von vorhin überhaupt nicht zu erwarten gewesen war.
»So ein Mist!« entfuhr es Dr. Daniel, während er das erste noch winzig kleine Baby aus dem Uteros hob und es Dr. Senge übergab. Unmittelbar danach entband er das nächste Baby, doch dann kam ein erneuter Schock, denn das dritte Kind befand sich in einem denkbar schlechten Zustand.
»Meine Güte, es ist ja schon ganz blau!« stieß Dr. Daniel entsetzt hervor. »Sofort den Schleim absaugen und beatmen.«
Dr. Senge nahm das wie tot aussehende Baby entgegen.
»Sie atmet nicht!« stellte