Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Sanson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961181032
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Tone hinzu, »werde ich durch den König bezahlt, um mein Amt zu erfüllen, und ich wiederhole, dass ich nichts mehr tun kann.«

      »Vorwärts!« rief die Dame, wieder ihre erste wilde und verzweifelte Energie annehmend, »spiele nicht den Heuchler und Süßling. Ich weiß, wo ich bin. Nun, willst du auch meinen Namen wissen? – Gleichviel, ich bin die Marquise von Parabere, und man nennt mich die Mätresse des Regenten. Ich will nicht, dass dieser junge Mann sterbe! – Hörst du wohl?«

      Charles Sanson verneigte sich.

      »Frau Marquise, die Tage des Herrn Grafen von Horn gehören leider nicht Ihrem untertänigsten Diener. Wenn ich das von der Vorsehung erwählte unwürdige Instrument bin, um eine Laufbahn, die so glänzend begann, so schrecklich zu endigen, so werde ich ewig schmerzlich bedauern, dass ich Ihnen wider Willen eine so grausame Betrübnis bereitet habe. Aber hören Sie auf – ich bitte Sie darum – mir von Belohnung zu sprechen. Weder mein Stand noch mein Charakter erlauben mir, eine solche anzunehmen, und so etwas kann nie auf meine Handlungsweise einwirken.«

      Die Marquise betrachtete ihn ganz erstaunt.

      »Wie kann man doch von euch sagen, dass ihr Blutmenschen seid und dass nur Gewinnsucht euren Arm bewaffne und euch treibe, euresgleichen abzuschlachten? – Adieu, Meister; ich halte mich an Ihr Versprechen: wenn Herrn von Horn im letzten Augenblick Hilfe kommen sollte, so werden Sie Gott die Gerechtigkeit überlassen – sie ist wohl mehr wert als die des Königs oder vielmehr des Regenten.«

      Die Marquise wollte gehen; plötzlich aber blieb sie, wie von einer schmerzlichen Ahnung bewegt, stehen und sagte zu Charles Sanson mit unbeschreiblichem Schauder:

      »Wenn meine Hoffnungen dennoch getäuscht werden sollten, wenn unter allen den Edlen, die sich für dieses Kind von ihrem Blut interessieren, keiner geschickt genug sein sollte, seine Kerkermeister durch Gold zu bestechen, oder so tapfer, es mit den Waffen in der Hand zu befreien, wenn die schändliche Polizei Dubois' alle zu seiner Rettung genommenen Maßregeln vereiteln sollte, wenn es nötig würde, dass das Blut unschuldigen Opfers Ihr Schwert rötete – oh, dann versprechen Sie mir, dass Sie ihm meinen Namen in das Ohr flüstern wollen, ehe er vor Gott erscheint. Sagen Sie ihm, dass ich gekommen sei, dass ich bis zum letzten Augenblick für ihn gebeten, dass ich alles zu seiner Rettung getan hätte und dass ich, wenn er stirbt, mich nie trösten würde.«

      Die Marquise brach in Schluchzen aus.

      »Madame,« erwiderte mein Ahne, »Ihre Wünsche sollen treu erfüllt werden, und wenn es Gott gefallen sollte, dass der Herr Graf von Horn durch diese Hand umkäme, so würde letztere sich bemühen, ihm die Angst der letzten Augenblicke abzukürzen, und Ihnen auch ein Andenken von ihm zustellen.«

      »O Dank! Dank!« rief Madame Parabere und eilte, ganz außer sich, davon.

      Einen Augenblick später hörte man das Rollen ihrer Kutsche in der Rue d'Enfer, und Charles Sanson setzte seinen so traurig unterbrochenen Spaziergang unter den großen Bäumen des Gartens fort.

      Der Graf von Horn

      Das Bittgesuch; Herr von Créquy; die Hinrichtung.

      Der Graf Anton Joseph von Horn, von dem soeben die Rede gewesen, war mit einem hohen fürstlichen Hause verwandt und mit dem vornehmsten Adel Europas verbunden. Es erregte daher in jener Zeit das größte Erstaunen, als man hörte, er sei unter der doppelten Anschuldigung des Mordes und des Diebstahls verhaftet und in die Conciergerie gebracht worden.

      Der Mord hatte in einem Wirtshause der Straße Quincampoir stattgefunden, wo der Graf von Horn und seine Genossen einem Juden ein Rendezvous unter dem Vorwand, dass sie ihm seine Aktien abkaufen wollten, in der Tat aber, um ihn zu berauben, gegeben haben sollten. Nach der Anklage sollte der Graf von Horn den ersten Schlag auf den Juden geführt haben, worauf der Chevalier de Milhe und der dritte Gehilfe den Mord zu Ende geführt und sich der Brieftasche bemächtigt hätten.

      Diese Begebenheit machte in Paris ein ungeheures Aufsehen, sowohl wegen des hohen Ranges des Angeschuldigten als wegen der Verwandtschaftsbande und anderen Beziehungen, die ihn mit den angesehensten Personen verknüpften. Dessen ungeachtet wurde der Prozess mit einer fast beispiellosen Schnelligkeit geführt, und es scheint, dass alle zur Rettung dieses unglücklichen jungen Mannes getanen Schritte sein Verderben im Gegenteil nur beschleunigten.

      Sobald die Verwandten des Grafen von Horn seine Einkerkerung in die Conciergerie erfahren hatten, regten sie sich von allen Seiten. Am Tage vor dem Urteilsspruche hatten sie sich, siebenundfünfzig Personen stark, nach dem Justizpalaste begeben und in einem Korridor die Mitglieder des Gerichtshofes erwartet, um sie im Vorübergehen zu grüßen, was eine indirekte Manier war, ihnen den Angeklagten zu empfehlen. Diese Kundgebung, die um so imposanter war, als man unter der großen Zahl der Teilnehmer die größten Namen Frankreichs fand, blieb vollständig erfolglos; der Gerichtshof erließ ein Urteil, wonach der Graf von Horn, der Chevalier de Milhe und der dritte Schuldige in contumaciam verurteilt wurden, lebendig gerädert und dann bis zu erfolgendem Tode auf das Rad geflochten zu werden. Dieser Spruch versetzte die Verwandten und Freunde des unglücklichen Jünglings in Schrecken und Bestürzung.

      Damals wandten sie sich, wie Frau von Parabere es Charles Sanson gesagt hatte, an den Regenten mit folgender Bittschrift, die ich hier wegen der hohen Stellung der Unterzeichner und der darin enthaltenen Gründe wiedergebe:

      »Gesuch der Verwandten des Herrn Fürsten von Horn und des Herrn Grafen von Horn an den Herrn Regenten.

      Hoher Herr!

      Die getreuen Untertanen Seiner Majestät, deren Namen folgen, haben die Ehre, Eurer Königlichen Hoheit in Ehrfurcht auseinanderzusetzen:

      1. dass der Graf Ambrosius von Horn, Groß-Jägermeister von Flandern und Artois, seit siebzehn Jahren des Gebrauches seiner Vernunft und seiner Freiheit beraubt ist. Es ist wohlbekannt, dass er in einem Anfalle von Tobsucht den Tod seiner Gattin, Madame Agnes Brigitte von Créquy, veranlasste und dass ihn die souveränen Höfe von Flandern und Brabant dafür nicht anders als durch Entziehung der Herrschaft über seine Güter und Gefängnis bestraft haben. Es erhellt aus den beigefügten Zeugnissen: – erstens, dass genannter Herr Graf sich hartnäckig weigerte, während er auf Schloss Loosen war, eine andere Art Nahrung als rohes Fleisch zu sich zu nehmen; – zweitens, dass er die Weinportion, die man ihm täglich gab, aufsparte, bis er eine hinreichende Menge beisammen hatte, um sich berauschen zu können; – drittens, dass er sich am 4. August 1712 mittels eines Feuerhakens, den er sich in die Kehle stoßen wollte, verwundete und dabei einen Blutverlust erlitt, der ihm beinahe das Leben kostete;–viertens, dass, nachdem er ein Mittel gefunden hatte, vom Schloss Loosen zu entweichen, er zwei Kapuzinern von Ruremonde begegnete, die er anfangs wütend schlug, indem er sie nötigen wollte, Gott abzuleugnen. Er war mit vier geladenen Pistolen bewaffnet, die er Reisenden geraubt hatte. Einer dieser Mönche hatte, tödlich erschreckt durch die Heftigkeit des Grafen, die Schwäche, gewisse Worte der Apostasie auszusprechen, worauf der Graf ihm sagte, dass er ein elender Abtrünniger sei, der gerechterweise zum Teufel geschickt werden müsste, und ihn vor den Kopf schoß. Obgleich der andere Mönch festgeblieben war, tötete er auch ihn durch einen Pistolenschuss; der Verrückte sagte ihm, er würde direkt in das Paradies eingehen, und er selbst wolle ihn zum Märtyrer seines Glaubens machen;

      2. dass der Prinz Ferdinand von Ligne und Amblise, Generalmajor der kaiserlichen Armeen, unter Kuratel seines prinzlichen Bruders steht und dass er ingleichen wegen Tollheit seit dem Jahre 1717 gerichtlich zur Einsperrung verurteilt ist;

      3. dass der Vater der verstorbenen Prinzessin von Horn und Overisque seit ungefähr drei Jahren vor seinem Tode auch den Verstand verloren hatte;

      4. dass der Graf Anton Joseph von Horn und Saint-Empire, zweiundzwanzig Jahre alt, der legitime und nachgeborene Sohn Philipps V. ist, der bei seinen Lebzeiten war: Prinz von Horn und Overisque, souveräner Graf von Baussigny, Hautekerke und Bailliol, erblicher Statthalter der Provinzen Geldern, Friesland und Westfriesland, Prinz und erblicher Oberjägermeister des heiligen römischen Reiches, Grand erster Klasse von Spanien usw. usw., und dessen Gemahlin Antoinette, Prinzessin von Ligne;

      dass