Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Sanson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961181032
Скачать книгу
wegen verurteilt worden waren, betroffen; er beschloss deshalb, ihr ein Ende zu machen.

      »Genug für heute, Gros,« sagte er zu seinem Gehilfen, »gib dem anderen den Gnadenstoß.«

      Es war der Schlag der Barre, der die Brust zerbrach.

      Gros gehorchte, nicht ohne einen unruhigen Blick auf den Abgeordneten des Magistrats zu werfen, der der Hinrichtung auf dem Balkon des Rathauses beiwohnte. Ohne Zweifel war derselbe nicht sehr lüstern auf solche Schauspiele, die er vielleicht schon zu oft erlebt hatte, denn er schien nichts zu bemerken.

      In diesem Augenblicke kam der Doktor, überrascht, dass er den Grafen Horn, der sich bis dahin so wenig gefasst gezeigt hatte, nicht so laut habe klagen hören wie seinen Genossen, zu ihm zurück, um sein frommes Amt fortzusetzen; er sah, dass ihm der Tod bereits zuvorgekommen sei. Die Schnur hing noch am Halse des unglücklichen jungen Mannes, und mein Ahne benutzte die Anwesenheit des Doktors, der ihn nach der Seite des Rathauses hin deckte, um jene heimlich zurückzuziehen; dann legte er einen Finger auf den Mund und erbat durch dieses Zeichen das Schweigen des ehrwürdigen Priesters, der darauf durch eine leise Kopfneigung antwortete.

      Die Exekution war soeben erst vorüber, als eine mit sechs Pferden bespannte Kutsche, der ein Pikör vorritt, und sechs Diener in großer Livree folgten, auf dem Grèveplatze erschien; es war die des Herzogs von Croy d'Havré, dessen Wappen man deutlich auf den Wagenschlägen durch den sie umhüllenden schwarzen Flor sah. Drei andere Equipagen in derselben Zurüstung folgten sogleich und stellten sich wie die erstere auf der Nordseite des Platzes auf. Alle diese Wagen waren ebenso wie das Lederzeug der Pferde und die Livreen der Bedienten in Trauer gehalten; die Fenstervorhänge waren dicht zugezogen, sowohl um den edlen Besuchern das grausame Schauspiel, das sie erwartete, zu entziehen, als um sie selbst vor den Augen einer neugierigen Volksmenge zu schützen. Aber das Volk, unter dem sich mehrere Personen befanden, welche Wappen und Livreen der großen Häuser kannten, wusste bald, dass die Zuletztgekommenen der Prinz von Ligne, der Herzog von Rohan und ein ???Croüy seien, ein Abkömmling des berühmten Arpadgeschlechtes, das sich bis auf Attila zurückführt und mehr Rechte als das Haus Habsburg an die Krone von Ungarn zu haben glaubt.

      Diese großen Namen, die in der Menge umhergingen, gelangten auch zu meinem Ahnen, der erstaunt war, darunter nicht den des Marquis von Créquy zu hören. Aber dieses Erstaunen dauerte nicht lange. Plötzlich entstand an einem Ende des Platzes ein großes Geräusch, und zwei Kutschen, die noch pompöser aufgeputzt waren, als die ersten, erschienen und stellten sich neben diesen auf.

      Dies war endlich der Marquis von Créquy. Er ließ den Wagenschlag öffnen und stieg mitten auf dem Platze in der Uniform eines Generalobersten und ersten Inspekteurs der königlichen Truppen aus; er trug die Insignien des goldenen Vlieses sowie die Großkreuze des heiligen Ludwig und des heiligen Johann von Jerusalem auf der Brust. Trotz des tiefen Schmerzes, der auf seinem Gesichte lag, ging er festen Schrittes über den Platz.

      Die Menge machte ehrfurchtsvoll vor dieser großen Persönlichkeit, bei der Ludwig XIV. Pate gestanden hatte, Platz.

      Es schien, dass das bei der Hinrichtung beauftragte Magistratsmitglied nur diese Erscheinung erwartet hatte, um dem grausamen Verfahren ein Ziel zu setzen; denn sobald es Herrn von Créquy erblickte, verließ es den Balkon des Rathauses und zog sich zurück, was heißen sollte, dass die Gerechtigkeit nun ihren Lauf gehabt habe.

      Der Marquis kam gerade auf meinen Ahnen zu und machte ein sehr strenges Gesicht dabei.

      Dann warf er einen düsteren Blick auf ihn und fragte fast drohend:

      »Mein Herr, was ist aus Ihren Versprechungen geworden?«

      »Hoher Herr,« erwiderte Charles Sanson, »diesen Morgen um acht Uhr lebte der Herr Graf von Horn nicht mehr und die Barre meiner Leute hat nur noch einen Leichnam getroffen.«

      Der Geistliche neigte sich zu dem Ohr des Herrn von Créquy und bestätigte dasjenige, was mein Ahne soeben versichert hatte.

      »Es ist gut,« sagte er in sanfterem Tone, dem man eine große Erleichterung anhörte, »unser Haus wird sich wohl erinnern, dass, wenn es nichts von dem Regenten oder der Gerechtigkeit des Parlaments erlangen konnte, es doch der Menschlichkeit des Henkers einen außerordentlichen Dank schuldet.«

      Man beschäftigte sich sogleich damit, den Körper des Grafen von Horn loszubinden, um denselben in eine der Kutschen, welche der Marquis von Créquy mitgebracht hatte, zu schaffen.

      Dieser arme Leichnam war so verstümmelt, dass die Glieder herabhingen und sich vom Rumpfe lösen zu wollen schienen.

      Herr von Créquy wollte durchaus, wie als eine Art von Protest gegen die Grausamkeit des Urteils, selbst eines der herabhängenden Beine halten, welches nur noch durch einige Fasern blutiger Haut mit dem toten Körper zusammenhing.

      Als diese traurige Pflicht erfüllt war, setzten sich die Wagen wieder in Bewegung und zogen hintereinander nach dem Hotel der Gräfin von Montmorency-Logny, einer geborenen von Horn, wo die Überreste des Grafen in einen Sarg gelegt und dieser auf ein Trauergerüst gestellt wurde. Er blieb daselbst achtundvierzig Stunden stehen, von zahlreicher Geistlichkeit, welche das Totenamt verrichtete, umgeben.

      Diese Begebenheit brachte die größten Persönlichkeiten im Staat lebhaft gegen den Regenten und seine Günstlinge auf; sie half Law und seinem System, dessen Katastrophe unvermeidlich war, gar nichts.

      War der Graf von Horn wirklich unschuldig?

      Man sagt, der Herr Graf von Horn und der Chevalier von Milhe hätten dem Juden keineswegs in der Absicht, ihn zu morden und auszuplündern, ein Rendezvous gegeben, sondern nur um die Wiedererstattung einer ansehnlichen Summe in Bankaktien, die ihm der Graf wirklich anvertraut habe, zu erlangen; der Jude habe nicht allein das ihm Anvertraute ganz abgeleugnet, sondern sich sogar so weit vergessen, Anton von Horn in das Gesicht zu schlagen. Da habe sich der junge Mann, der von seinen Ahnen ein leicht entzündliches und aufbrausendes Blut geerbt, nicht mehr halten können, habe ein Messer ergriffen, das gerade vor ihm auf dem Tische in dem Wirtshause gelegen, und damit auf den Juden einen Stich geführt, der denselben nur an der Schulter verwundete. Der Chevalier von Milhe habe den Mord zu Ende geführt und sich der Brieftasche bemächtigt; der Graf habe um keinen Preis auf eine Teilung des Geldes eingehen wollen.

      Was Charles Sanson anbetraf, so schnitt er in dem letzten Augenblicke, den er bei dem leblosen Körper zubrachte, eine Haarlocke von dem so schnell kalt gewordenen Haupte des jungen Mannes. Er legte sie in eine Hülle und adressierte sie an die Marquise von Parabere mit den wenigen Worten:

      »Das versprochene Andenken.«

      Cartouche

      Der Verbrechertyp des 18. Jahrhunderts.

      Am 15. Oktober 1721 hatte Paris das Fieber wie am Tage nach einem großen Siege. Die ganze Bevölkerung war auf den Straßen; auf den Promenaden, in den Kaufläden, Wirtshäusern und selbst in den Salons begegnete man sich nur mit einer Nachricht, die noch immer eine Menge von Ungläubigen fand:

      »Cartouche ist ergriffen worden.«

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/d/d3/WP_Cartouche.jpg/800px-WP_Cartouche.jpg

      Cartouche ist das Ideal der Diebe des 18. Jahrhunderts geblieben. In der Sphäre des Verbrechens repräsentiert er vollständig die Übergangsperiode, in der er lebte. Man findet in diesem Übeltäter etwas, das an den Straßenräuber des Mittelalters und an den Gauner unserer Zeit erinnert. Wie der erstere greift er oft zur brutalen Gewalt, aber die List bleibt doch seine Lieblingswaffe, darin ist er vollkommener Meister. Er hat schon einen Begriff von allen den Vervollkommnungen, die seine Nachfolger in die immer schwieriger werdende Kunst, sich des Gutes anderer zu bemächtigen, brachten, und man kann von ihm sagen, dass er der Vorgänger der Diebe unserer Generation gewesen sei.

      Die Kraft der Kühnheit Cartouches, sein an Entwürfen so fruchtbarer Geist, seine körperliche Geschicklichkeit, die Energie, mit der er allen Entbehrungen und Anstrengungen widerstand, besonders aber seine wahrhaft