Da war es, dass er, ehe er sich entfernte, daran dachte, von demjenigen, der den letzten Seufzer Jean Larchers in Empfang genommen hatte, das zu hören, wonach er vergeblich seine Mutter gefragt hatte.
Seit sechs Jahren hatte mein Ahne nie Jean Larcher vergessen, und nie hatte dessen letzte Protestation im Augenblicke, wo er vom Galgen in die Ewigkeit überging, aufgehört, an seinen Ohren widerzuhallen.
Wie der Gefreite, der den armen Buchbinder arretiert hatte, so war auch er überzeugt, dass derselbe nicht schuldig gewesen sei.
Er überbrachte ihm die letzten Grüße seines Vaters, nahm aus einem Koffer das Skapulier, das Jean Larcher ihm geboten hatte, wenn er tot sei, von seinem Körper zu nehmen, und stellte es dem jungen Manne zu.
Nicolas wurde nicht müde, mit seinen Küssen diese Reliquie des armen Märtyrers zu bedecken und sie mit seinen Tränen zu benetzen, bis Charles Sanson ihn fragte, ob er nicht begierig sei, zu erfahren, was dieses Skapulier enthalte.
Nicolas untersuchte es nun mit mehr Aufmerksamkeit.
Es war eines dieser Beweise der merkwürdigen Geduld, welche der Mensch in der Gefangenschaft sich zu eigen macht.
Es bestand in einem Stück schwarzen Tuches, das in mehrere doppelte Falten gelegt war, die mit Haaren aneinander genäht worden. Die beiden Nadeln, die wahrscheinlich bei dieser Arbeit gedient hatten, waren noch darin in Kreuzesform auf einer der Außenseiten des Skapuliers festgesteckt.
Der arme junge Mann zögerte, die Naht zu öffnen; zweifellos dachte er an alles, was sein Vater gelitten hatte, als seine Finger diesen Stoff zusammenfügten; mein Ahne nahm ihm denselben aus der Hand und schnitt ihn mit einer Schere in zwei Teile.
Das Skapulier enthielt ein anderes Stück schwarzen Tuches, auf das der Verurteilte mit Haaren, die man an ihrer Weiße für die seinigen erkannte, einen Namen in sehr leserlichen und vollständig ausgeführten Schriftzügen gestickt hatte.
Dieser Name hieß Chavance.
Mein Ahne war ganz nachdenklich geworden; er sah Nicolas Larcher an. Er bemerkte, dass eine sonderbare Veränderung in dem sanften, weißen und fast weiblichen Gesichte des Jünglings vorgegangen war; seine Augen funkelten, und sein Gesicht war durch einen drohenden Ausdruck entstellt.
Am anderen Morgen mit Tagesanbruch klopfte Nicolas Larcher an die Zimmertür meines Ahnen, der sich bereits ankleidete, um auszugehen.
Er schien noch bewegter als abends zuvor; meinem Ahnen zeigte er ein englisches Geldstück von fünfundzwanzig Livres und erklärte ihm, er erkenne es für eines derjenigen, die er seinem Vater geschickt habe.
Hier war kein Missverständnis möglich; dieses Geldstück war das erste, das er in England verdient hatte – es trug das Bild der Königin Anna; da es sehr selten war, hatte der junge Mann es behalten wollen und das Datum des Tages, an dem er es empfangen, auf der Rückseite eingraviert.
Charles Sanson untersuchte das Geldstück, bat, es ihm anzuvertrauen, und ging aus, nachdem beide ein Zusammentreffen im Sprengel Notre-Dame, gegenüber der Kapelle Saint-Denis-du-Pas verabredet hatten.
Zwei Stunden später fanden sie sich wirklich an diesem Orte zusammen. Mein Ahne führte Nicolas Larcher an einen entlegenen Ort am Ufer des Flusses, und nachdem er ihn aufgefordert hatte, sich mit Stärke und Mut zu waffnen, teilte er ihm mit, was er von seinem Freunde, dem Gefreiten, in Erfahrung gebracht hatte.
Einige Monate nach der Abreise Nicolas' hatte Jean Larcher einen Gesellen namens Chavance in seine Werkstatt aufgenommen. Dieser Mensch war damals sechsundzwanzig Jahre alt und verstand unter einer frommen, bescheidenen Außenseite sehr geschickt die verderbtesten Gefühle zu verbergen.
Die freiwillige Verbannung ihres Sohnes hatte Frau Larcher in eine Art von Verzweiflung versetzt. Chavance hatte geschickt daraus Vorteil gezogen, um sich in ihre Gunst einzuschmeicheln. Nach und nach hatte er dieser Frau ein Gefühl einzuflößen gewusst, das an Stelle der mütterlichen Zärtlichkeit ganz von einem Herzen Besitz ergriff, das zu warm und leidenschaftlich war, um je leer bleiben zu können. Sie wusste es dahin zu bringen, dass auch ihr Gatte diese Freundschaft für Chavance teilte, und obwohl der letztere gerade kein geschickter Arbeiter war, so hatte Jean Larcher doch seinen Lohn erhöht und ihn als Tischgenossen in seine Wohnung aufgenommen.
Diese Güte war mit dem schwärzesten Undank belohnt worden; ebenso habgierig wie verstellungsfähig begehrte Chavance nicht allein die Frau seines Meisters, sondern auch dessen bescheidenes Vermögen, und verräterisch hatte er den bösen Handel angesponnen, welcher der Ruin und das Unglück des armen Buchbinders werden sollte. Sehr wahrscheinlich hatte er, nachdem er den Ballen mit den Pamphlets heimlich in das Haus gebracht, an den Polizeileutnant den Brief geschrieben, in dem er ihm genau den Ort anzeigte, wo die Flugschriften sich finden müssten. Wenn man aber auch nur Vermutungen darüber hegen konnte, von wem die Denunziation ausgegangen sei, so war es mit dem Diebstahl der fünftausendzweihundert Livres doch etwas anderes: ganz sicher war Chavance der Dieb!
Die Frau zur Witwe zu machen, genügte ihm nicht, er wollte sich auch noch des Vermögens bemächtigen. Wenn Jean Larcher vor seinem Tode seine Gläubiger hätte bezahlen können, so würde der Sohn seinen Anteil an der Erbschaft gefordert haben. Um dem zuvorzukommen, musste ein Bankerott nach dem Tode herbeigeführt und dazu die fünftausendzweihundert Livres, die Tags darauf in andere Hände übergehen sollten, geraubt werden.
Dieser Raub befreite Chavance von Nicolas Larcher und erlaubte ihm außerdem, das Haus seines Meisters für sich selbst zurückzukaufen.
Während mein Ahne ihm diesen abscheulichen Handel auseinandersetzte, zitterte Nicolas Larcher wie ein Mensch, den heftige Fieberanfälle schütteln, und man hörte seine Zähne aufeinanderschlagen. Er war bleich, als ob er sterben solle, und mit rauer, röchelnder Stimme wiederholte er:
»Meine Mutter! Meine Mutter!«
Als er bemerkte, dass Charles Sanson schwieg, fragte er ihn mit einer Lebhaftigkeit, die beinahe Heftigkeit genannt werden konnte, ob er glaube, dass seine Mutter von dem Verbrechen Chavances Kenntnis gehabt habe.
Mein Ahne senkte die Augen zu Boden und antwortete nicht; da schlug Nicolas Larcher die Hände über seinem Kopf zusammen, und als sie plaudernd der hölzernen Brücke gegenüber angekommen waren, die aus der Stadt nach der Insel Saint-Louis führt und über welche man nach dem Quartier Saint-Paul kommen kann, wollte er diese Richtung einschlagen, aber mein Ahne, der alle seine Bewegungen überwachte, hielt ihn an und beschwor ihn, sich nicht seinem gewissen Verderben auszusetzen, indem er sich ein zweites Mal bei dem Manne seiner Mutter sehen ließe.
Charles Sanson hatte seinem jungen Freunde noch gesagt, dass der Gefreite der Ansicht gewesen sei, diese Sache nicht vor Gericht zu ziehen. Als mein Ahne davon gesprochen, hatte er kopfschüttelnd geantwortet, Chavance sei ein Verwandter des Paters La Chaise, des Beichtvaters des Königs. Er war zu derselben Zeit wie Rambault und Jean Larcher durch das Pamphlet kompromittiert gewesen, und nur die hohe Protektion des Jesuiten hatte ihn vor den übelsten Folgen bewahrt. Während die Witwe Cailloué, Buchdruckereibesitzerin zu Rouen, in der Bastille starb, die Witwe Charmot und ihr Sohn an der Tür ihres Hauses in der Rue de la Vieille-Boucherie in den Bann getan worden, entging Chavance allein der Strafe durch eine Aufschubsorder, die merkwürdigerweise auf dem Grèveplatze eintraf, als der Galgen schon aufgerichtet war und der Karren eben anlangte. Es musste sich also wohl eine sehr mächtige Hand dazwischen gelegt haben, und aller Wahrscheinlichkeit nach war es daher unnütz und für einen Proskribierten obenein sicherlich ein unkluger Schritt, mit dem Schützling des allmächtigen Beichtvaters sich in offenen Kampf einzulassen. Der Sohn des Opfers konnte nur am besten tun, es der Vorsehung zu überlassen, den Schuldigen zu strafen.
Charles Sanson erwartete, Nicolas Larcher werde sich gegen den Gedanken empören, dass die Menschen ein so großes Verbrechen unbestraft lassen könnten; aber