Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Sanson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961181032
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eine Hecke von wilden Rosen einfasste, und da ich bemerkte, dass Margarita dort spazierenging, nahm ich diesen Vorteil wahr, den mir ein so entlegener Ort wie dieser Garten darbot, sprang schnell über die Hecke und eilte zu ihr.

      Die Lügen sind kein großer Fehler für den, der mehr oder weniger liebt, und man kann sogar von ihnen sagen, dass sie zur Liebe gehören. Ich erzählte dem jungen Mädchen, dass ich, weil ich ihrem Vater nicht hätte danken dürfen, ihr diesen Dank für ihre Sorgfalt und milde Pflege hatte aussprechen wollen. Dann gestand ich ihr ohne jede weitere Einleitung und als wenn ich mich nicht genug damit hätte beeilen können – so sehr trieb mich die Furcht, dass mir irgendein anderer zuvorkommen könne – meine Liebe.

      Das junge Mädchen errötete, aber sie war nicht erzürnt; indessen sah ich wohl, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten, und als ich sie fragte, warum sie weine, antwortete sie mir, dass ich sie nicht lieben dürfe, dass eine solche Bekanntschaft großes Unglück über mein Haupt bringen werde; dann gebot sie mir und bat mich, so schnell als möglich zu gehen, da jeden Augenblick ihr Vater in den Garten kommen könne.

      Ich blieb nur eine kurze Zeit bei ihr, wiederholte ihr, was ich ihr schon gesagt hatte, und kehrte dann ganz aufgeregt nach der Stadt zurück.

      Aber am nächsten Tage kehrte ich wieder nach dem »verwünschten Gehöfte« zurück, und ich kam auch die folgenden Tage dahin.

      Hin und wieder sah ich sie nicht, zu anderen Malen sah ich ihren Vater, wie er mit ihr im Garten spazierenging; wieder ein anderes Mal war es der Knecht, der arbeitete, oder die Magd pflückte Gemüse; ich war dadurch gezwungen, mich versteckt zu halten und mich damit zu begnügen, dass ich die von fern beobachten konnte, die zu sehen ich nie müde wurde. Von Zeit zu Zeit war sie aber auch allein, und so kurz auch unsere Unterhaltung dann war, sie reichte hin, mich in meinem Fieber noch mehr zu bestärken.

      Als ich eines Abends mit dem Herrn Balvins von Blignac, der vom Trinken sehr erhitzt und ganz freundlich war, bei Tische saß, antwortete er mir, als ich mich über ihn lustig machte und scherzend von der schönen Freundin Pauls und dem schändlichen Handwerke sprach, das er, wenn dies wahr wäre, bei dieser Gelegenheit getrieben hätte, mit Augenblinzeln, dass nichts wahrhafter sei und dass, dank seinen guten Diensten, mein Cousin zur Stunde, die wir gerade hatten, das Wohlwollen des schönsten Mädchens, dem man je begegnen könne, genieße.

      Da mir in der Welt niemand reizender erschien als Margarita, wurde ich von neuem unruhig. Ich quälte ihn mit meinen Fragen; er hielt mich ein wenig hin; da man aber zu den schlechten Eigenschaften des genannten Herrn von Blignac auch die zufügen konnte, dass er der größte Schwätzer von der Welt war, so löste sich bald seine Zunge. Er erzählte mir, dass, da das junge Mädchen sich unzugänglich gezeigt und weder für Gold noch Liebe etwas bewilligt habe, Paul Bertaut seinem Rate zufolge bei dem Apotheker der Stadt eine Arznei, die einschläfere, gekauft und sie dem Knecht, den er bestochen, zu gesteckt habe. Der Knecht sollte sie denselben Abend zwischen seine Herrin und die Magd teilen. Er fügte noch hinzu, dass der Vater und der Knecht in dieser Nacht abwesend sein sollten, und da das Haus ganz einsam liege, so würde das Mädchen gewiss meinem Cousin überlassen sein.

      Ich war sprachlos und sah nichts mehr; ich erhob mich zugleich so ungestüm, dass ich mit meinem Schemel den Tisch und die Gläser umwarf. Mein Degen und meine Kopfbedeckung lagen auf einer Bank; ich ergriff nur den Degen, und ihn aus der Scheide ziehend, lief ich wie ein Unsinniger durch die Stadt.

      In dem Augenblicke, als ich mich dem Hause näherte, bemerkte ich den Schatten eines Mannes, der sich längs der Mauer hinschlich. Ich rief: »Hollah!« Der Mann ergriff die Flucht, aber nicht so schnell, dass ich ihn nicht bald eingeholt und erkannt hätte, dass Herr von Blignac mich keineswegs belogen habe und dass der, welcher den Plan gehabt, so feige das schlafende Mädchen zu überfallen, mein Cousin sei.

      Ich zog ihn weiter mit mir fort, und ganz erregt von Zorn und Schmerz, warf ich ihm bitter seine unehrenhafte und ungerechte Aufführung vor, indem ich ihm vorstellte, welch großes Verbrechen es sei, ein Mädchen zu verderben, das um so achtungswerter, als sie arm und von niedrigem Stande sei, und dass er ihr alles nähme, wenn er ihr die Tugend raubte.

      Mein Cousin senkte den Kopf und erwiderte, ganz beschämt, kein Wort. Wäre ich mit ihm allein geblieben, so hätte ich ihn ohne Zweifel zur Reue zurückgeführt, denn seine Laster waren nur Laster der Jugend und schlechter Bekanntschaften; die Ankunft des Herrn Balvins von Blignac verdarb aber alles.

      Ich änderte den Ton, wandte mich an ihn und drückte ihm sehr unwillig aus, was ich von der Rolle dachte, die er in dieser Sache gespielt hatte. Ich sagte ihm noch, dass er seit den sechs Monaten, während deren Herr Bertaut in der Stadt sei, sich alle Mühe gegeben habe, ihn in Ungelegenheiten zu bringen, indem er ihn zum Spiel, Trinken, Ausschweifungen und allen Arten von Schändlichkeiten verleitete.

      Herr von Blignac antwortete dadurch, dass er meinen Cousin verspottete, solche Ermahnungen zu dulden, indem er nach seiner Gewohnheit scherzte und schwur, dass, wenn ich mich erzürnt habe, dies der Fall sei, weil ich selbst Absichten auf die Schöne habe, dass ich ihm Rechenschaft für die Worte, die auf seine Rechnung kämen, geben müsse, oder dass er sie mir wieder in die Kehle zurücktreiben werde, und hierauf zog er seinen Degen und griff mich an, wobei er meinem Cousin zurief, er solle mich seinerseits auch angreifen, und das junge Mädchen werde dann dem Sieger als Beute verbleiben.

      Mochte die Liebe ihm den Kopf verdreht haben, oder fühlte er sich durch die Spöttereien und Possen des Herrn von Blignac aufgereizt, Paul Bertaut schämte sich nicht, den Degen gegen seinen Verwandten und Freund zu ziehen und mich zu derselben Zeit anzufallen, in der Blignac auf mich eindrang.

      Ich verteidigte mich nach besten Kräften, indem ich mich zurückzog, um an den Bäumen Deckung zu finden; als aber Herr von Blignac einen Stoß nach mir geführt hatte, verwundete ich ihn durch einen guten Degenstich so schwer an der Handwurzel, dass seine Waffe auf die Erde fiel, wo ich mit dem Fuß darauf trat, mich ihrer bemächtigte und sie weit fortwarf.

      Herr Paul Bertaut trug seinerseits eine Schmarre im Gesicht davon und ich einen ganz unbedeutenden Stich in die Schulter.

      Nun ließen die beiden Kameraden von mir ab und flohen fluchend und mir zurufend, dass morgen Tag sein würde und dass wir dann miteinander weiterfechten könnten, ohne Gefahr zu laufen, uns gegenseitig die Augen auszustechen.

      Als ich sah, dass sie fort waren, entschloss ich mich nichtsdestoweniger, die ganze Nacht dazubleiben – so sehr fürchtete ich diesen Herrn von Blignac, einen genug verräterischen und schlimmen Menschen, um Paul Vertaut überreden zu können, dass er meine Entfernung benutze, um sich zu rächen.

      Als ich um Mitternacht noch immer nichts sich im Hause regen hörte, und zwar trotz des Lärmes, den wir gemacht hatten, begann ich zu fürchten, dass jener verdammte Schlaftrunk sowohl das junge Mädchen als die Magd getötet haben könne, und das war es, was mich verderben sollte. Der Spitzbube von Knecht hatte, seiner Verabredung mit Paul Vertaut gemäß, die Tür halb offen gelassen; ich trat in das Haus und stieg die Treppe hinan, die zu der Kammer des armen Kindes führte.

      Hier – ich gestehe es mit großer Beschämung und Reue – verlor ich allen Nutzen von den weisen Ratschlagen und Lehren, die ich Paul Bertaut vorgepredigt hatte. Als ich das junge Mädchen, in das ich verliebt war, so schön und fest schlafend auf ihrem Lager sah, ging meine Tugend dahin wie Rauch, den der geringste Wind fortweht, und ich zeigte mich nicht zurückhaltender und klüger, als Paul es gewesen wäre; ich fürchtete mich nicht, ein Verbrechen zu begehen, das ich ihm gegenüber so scharf getadelt hatte.

      Als ich am anderen Morgen in meiner Wohnung war, kam der Bediente Paul Bertauts zu mir und brachte mir die Nachricht, dass sein Herr mich auf dem Platze Puits-Sale erwarte.

      In dem Glauben, dass er mich fordern wolle, nahm ich meinen Degen und folgte dem Bedienten.

      Auf dem genannten Platze fand ein großer Zusammenlauf von Menschen statt, und ich war sehr erstaunt, dass Paul Bertaut gerade diesen Ort gewählt hatte, um uns zu unterhalten oder einander zu töten, wie ich es auch schon über die Art gewesen war, in der er mir seine Forderung zugeschickt hatte.

      Aber Paul Bertaut zeigte, als ich ihm begegnete, weder Zorn