Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Sanson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961181032
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Stelle führen, wo sie ruht?«

      Der Herr des Hauses war weit davon entfernt, Charles' Bewegung zu teilen; sein mürrisches Gesicht drückte mehr schlechte Laune als Mitgefühl aus.

      »Herr von Longval,« sagte er, »Sie scheinen mir von Ihrem Zufalle und Ihrer Krankheit weit genug wieder hergestellt, dass eine Reise von einer Stunde keine bösen Folgen mehr für Sie haben kann. Ein Mann von mir führt in dieser Nacht einen Karren nach Dieppe; er wird Sie ohne Anstrengung nach Hause bringen, und der Wächter des Kirchhofes wird Ihnen den Dienst erweisen, den Sie von mir verlangen.«

      Obwohl mein Ahne die sonderbaren Formen dieses Mannes schon kannte, war er über diese Rohheit erstaunt, die sich so schlecht mit der ihm erwiesenen Sorgfalt vertrug.

      »Sei es so,« sagte er. »Ehe wir uns aber trennen, mein Herr, werden Sie mir wenigstens sagen, wie man Sie nennt.«

      »Beten Sie für die, welche leiden, Herr von Longval, und Sie werden auch für mich gebetet haben. Meinen Namen zu kennen, würde Ihnen nicht von Nutzen sein, und wenn Sie mir wirklich einigen Dank für die Gastfreundschaft, die ich Ihnen zuteil werden ließ, schuldig zu sein glauben, so beweisen Sie ihn dadurch, dass Sie nicht mehr in mich dringen.«

      »Dürfte ich nicht wenigstens ihr Lebewohl sagen, die –«

      Der Mann unterbrach ihn rau, indem er in finsterem Tone rief:

      »Reisen Sie ab! Wir sind uns schon zweimal in der Welt begegnet, Herr von Longval; Gott gebe, dass es das letzte Mal gewesen sei!«

      Dann half er meinem Ahnen, sich anzukleiden; dieser fand auf dem Hofe einen kurzen Karren, vor den ein Pferd gespannt war, und neben diesem Karren eine Art von Bauer von riesenhafter Gestalt, der ihn zu erwarten schien.

      Er wandte sich um, seinem Wirte zum letzten Male zu danken, aber dieser war schon in das Haus getreten und hatte die Tür hinter sich zugeschlossen.

      In diesem Augenblick, als der Karrenführer, der eine große Ungeduld, abzufahren, an den Tag legte, dem Offizier behilflich war, in den Karren zu steigen, glaubte dieser zu bemerken, dass der Vorhang des einzigen Fensters der oberen Etage, das erleuchtet war, sich bewege und dass die reizende Figur des jungen Mädchens, das er am Morgen gesehen hatte, hinter den Vorhängen verschwinde.

      Der schwere Karren rüttelte und setzte sich in Gang.

      Umsonst versuchte er den Karrenführer zum Sprechen zu bringen; dieser schien entschlossen, genau der Weisung, stumm zu bleiben, die er wahrscheinlich erhalten hatte, Folge zu leisten. Alles, was er erfahren konnte, war, dass das Haus, in dem er eine so großmütige Gastfreundschaft gefunden hatte, sich das »verwünschte Gehöft« nannte.

      Als er in sein einsames kleines Zimmer zurückgekehrt war, bemerkte Charles mit Schrecken, dass ihm das Andenken an das schöne junge Mädchen von dem »verwünschten Gehöft« dahin gefolgt war und dass er nicht mehr den Schatten der Toten vor sich beschwören könne, ohne dass ein anderes Bild sich zwischen diesen Schatten und ihn stellte.

      Von diesem Augenblick seines Lebens an beginnt mein Ahne seine eigene Erzählung.

      Manuskript Charles Sansons

      Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit maß unsere Schultern nach dem Kreuze, das er uns zum Tragen auflud.

      Ein großer Kummer trübte mein jugendliches Alter, aber statt ihn zu bekämpfen und durch vernünftige Überlegung, Kasteiungen und Gebet zu besiegen, gefiel ich mir so darin, ihn zu unterhalten, dass man mir eher das Leben als meine törichte Liebe hätte nehmen können und dass diese Knechtschaft meinen Geist vorbereitete, allen den heftigen Entschlüssen zu folgen, die meinem Herzen gefallen würden, ihm aufzuerlegen.

      Im Jahre 1662 war ich Leutnant im Regiments des Herrn Marquis von La Boissière, das, nachdem es im Jahre 1658 unter dem Herrn Vicomte Turenne die Kampagne mitgemacht hatte, in der man Bergen und Gravelingen nahm, nach der Stadt Dieppe in Garnison gelegt war.

      In diesem Jahre 1662 starb mein älterer Bruder, der Rat, in der Stadt Abbeville, wo er wohnte, und dies war für mich eine große Trauer und Schmerz, um so mehr, als Colombe Brossier de Limeux, seine Witwe, einige Tage später auf sehr grausame Weise diese Welt verlassen musste.

      Infolge eines Sturzes mit meinem Pferde, der mein Leben in große Gefahr gebracht hatte, wurde ich nach dem Hause eines armen Mannes getragen, der dieses Haus innehatte, das man das »verwünschte Gehöft« nennt und das außerhalb der Mauern der Stadt Dieppe in der Nähe des Kirchhofes an dem Wege nach Neufchâtel liegt, an einer Stelle, wo es keine anderen Häuser gibt.

      Dieser Mann handelte an mir wie der barmherzige Samariter; er wusch und verband meine Wunden und entließ mich nicht eher, als bis ich geheilt war. Ich nahm aber aus seinem Hause ein anderes, viel schlimmeres Übel als das, welches er geheilt hatte, mit: ich verließ sein Haus, verliebt in ein Mädchen namens Margarita, das sein einziges Kind war.

      Anfangs wollte ich nicht daran denken.

      Der grausame Verlust, den ich in den Personen meines viel geliebten Bruders und meiner teuren Schwägerin erlitten hatte, erfüllte mein Herz mit Trauer, und ich beschloss, sie mein ganzes Leben lang zu beweinen.

      Aber die Entschlüsse der Menschen sind nur Schimären, und wider meinen Willen sah ich während des Tages und während der Nacht das Bild derer, an die zu denken ich mir als ein Verbrechen vorwarf.

      Um diese Zeit war ein Cousin von mir, der Paul Bertaut hieß, in Handelsgeschäften nach Dieppe gekommen, da er zu denen gehörte, die Neu-Frankreich in Indien besaßen, bevor unser König und Herr es aus ihren Händen kaufte.

      Obgleich ich damals schon meinesgleichen infolge des mir widerfahrenen Missgeschicks und Elends hasste und die Einsamkeit ihrer Gesellschaft vorzog, liebte ich Paul Bertaut, den ich kennengelernt hatte, als ich auf den Schiffen des Königs vor Quebeck lag, doch sehr.

      Paul kannte nicht die wahre Ursache meiner bösen Stimmung und Melancholie, dennoch gab er sich alle Mühe, mich zu zerstreuen und mir Vergnügen, sowohl durch seine eigene Gesellschaft als durch die eines Herrn Valvins von Blignac, zu verschaffen, der wie ich eine Leutnantsstelle in dem Regimente des Herrn Marquis de la Boissière innehatte und ein tapferer und sehr lustiger Kamerad war.

      An einem Herbsttage, als wir alle drei am Ufer des Meeres im Hause Isaak Crocheteus speisten, erklärte mein Cousin Paul im Tone eines Aufschneiders, dass er vor Ablauf des Monats das schönste Mädchen, das in der Stadt Dieppe und ihren Vorstädten sei, zu seiner Geliebten gemacht haben wollte.

      Der Herr von Blignac, der seiner Natur nach auch ein großer Schmeichler und voller Lobeserhebungen für den war, der sich gern von ihm betrügen ließ und seine Schmausereien bezahlte, bestätigte diese Versicherung, als ob er die Dirne kenne.

      Ich fühlte mich sehr erregt, und mein Herz begann lauter zu schlagen, denn ich hatte schon bemerkt, dass mein Cousin seit einigen Tagen die wilde Feldblume, die sich so nennt,2 wie diejenige heißt, an die ich immer dachte, im Knopfloche trug, und ich hatte mir bereits eingebildet, es geschehe ihr zu Ehren.

      Als ob ich einem allmächtigeren Willen, als es der meinige war, hätte nachgeben müssen, erhob ich mich von der Tafel und verließ unter dem Vorwande, dass ich nach dem Schlosse gehen müsse, meine Gefährten. Ich machte einen Umweg, ging durch die Vorstadt Pollet und kam auf dem Fußsteige von Braacquemont nach dem verwünschten Gehöfte an der Straße von Neufchâtel, die ich bisher nicht mehr betreten, weil sie mir schon so viel Unglück gebracht hatte.

      Als ich zwischen die Apfelbäume des Gartens hindurch das Häuschen Margaritas erblickte, kam mir den Gedanke, wieder nach Hause zu gehen; aber ich konnte mir noch so viel vorpredigen, ich ging doch in der Richtung auf das Häuschen zu.

      Ich hatte ihren alten Vater nur zweimal gesehen. Bei dem zweiten Male, nachdem er mich wieder hergestellt, hatte er mir mit allen Arten von wilden Drohungen verboten, sein Haus wieder zu betreten, was ich seinem Ärger darüber, dass ich seine Tochter freundlich angeblickt hatte, zuschrieb.

      Ich ging deshalb nicht auf die