Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henry Sanson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783961181032
Скачать книгу
Charles den Weg nur unterscheiden konnte, wenn der Himmel sich öffnete, um einer riesenhaften Feuerschlange den Durchgang zu gestatten.

      Die junge Frau hatte den Arm um den Hals ihres Gefährten geschlungen und verbarg ihr Gesicht an seinem Wamse. Ihr Herz schlug stürmisch, und diese Schläge vereinigten sich mit dem Zittern von Charles' Herzen.

      Eine eigentümliche Erregung bemächtigte sich des jungen Mannes.

      »Colombe, Colombe!« rief Charles plötzlich mit zitternder Stimme, »so sterben, aneinander Brust an Brust vom Blitz getroffen zu werden, ist das nicht der einzige Preis, mit dem Gott unsere Prüfungen belohnen könnte? Zucke, du Blitz, heule, Sturm, möge sich die Erde öffnen! Wenn ich dich so durch die Ewigkeit tragen kann, will ich den Blitzstrahl, den Sturm und das Erdbeben segnen!«

      Die junge Frau erhob den Kopf von der Brust ihres Gefährten.

      »Sprich nicht so, Charles,« sagte sie mit dem Ausdruck herzzerreißender Angst; »Charles, du beleidigst die noch warme Asche.«

      Aber Charles hörte nicht auf sie.

      Er schien die Beute einer tollen Trunkenheit geworden zu sein, als wenn das Feuer dieses Sturmes in seine Adern übergegangen wäre.

      Er hatte die Zügel fallen lassen, seine Sporen wühlten mit Wut in den Flanken des Pferdes und gaben dem Laufe des letzteren eine schwindelnde Schnelligkeit. Seine Arme drückten Colombe mit unbeschreiblicher Leidenschaft fest an sein Herz, und die junge Frau fühlte seine brennenden Lippen, die so heiß wie glühende Kohlen waren, auf ihrer Stirn.

      In diesem Augenblicke spaltete ein Blitz die Wolken und erhellte eine Sekunde lang die Finsternis mit seinem blendenden Feuer.

      Colombe stieß einen Angstschrei aus, denn als sie das bleiche Gesicht, das dicht über dem ihrigen war, als ihre Blicke diese glühenden, mit Blut unterlaufenen Augen sahen, die sich auf sie wie die eines Geiers auf einen Sperling, den er zerreißen will, hefteten, glaubte sie ein Teufelsgesicht vor sich zu sehen.

      Mit übermenschlicher Anstrengung versuchte sie, sich aus Charles' Armen zu reißen und vom Pferde zu stürzen, aber es schien, als ob sie Eisenbande zurückhielten.

      »Charles, Charles, Gnade, Mitleid!« stöhnte sie mit erlöschender Stimme, »im Namen deines Bruders, im Namen Gottes!«

      Charles antwortete mit einer Gotteslästerung.

      In demselben Augenblicke zerriss die Wolke, als ob der Blitz, den er angerufen hatte, seiner Stimme gehorsam wäre, und spie Flammen aus: ein Feuerstrahl umgab sie; zehn Schritte von dem Orte, an dem sie sich befanden, wankte ein Apfelbaum und stürzte zu Boden.

      Das Pferd, toll vor Schrecken, bäumte sich und schlug rückwärts über, ehe die, welche auf ihm saßen, sich über das, was geschehen war, Rechenschaft geben konnten.

      Die Heftigkeit des Sturzes hatte Colombe aus den Armen meines Ahnen gerissen.

      Er erhob sich zerquetscht und verwundet, aber er dachte an Colombe und vermochte nicht das Blut zu fühlen, das an ihm herabfloß.

      Er suchte sie vergeblich in seiner Nähe. Dann rief er ihren Namen.

      Niemand antwortete ihm; er hörte nichts als das Geräusch des Regens, der die Erde peitschte, und den Widerhall des Hufschlags seines Pferdes, das, nachdem es wieder aufgesprungen war, nach der Stadt zu davonjagte.

      Endlich gelangte er dazu, sich davon Rechenschaft geben zu können, dass neben der Stelle, an der er gestürzt, ein tiefer Graben den Weg einfasste; er stürzte sich mehr hinab, als dass er hinunterstieg. Er fand auch sogleich den Körper Colombes, aber dieser Körper war unbeweglich und schien entseelt.

      Vergebens versuchte er, sie in das Leben zurückzurufen; alle seine Bemühungen waren unnütz wie seine Gebete, seine Seufzer, sein Geschrei, wie auch sein herzzerreißender Hilferuf, den der Wind in seinem Brausen mit sich forttrug.

      Er nahm hierauf Colombe in seine Arme und begann verzweifelnd querfeldein zu laufen, ohne zu wissen, welche Richtung er einschlage – so groß war die Verwirrung seines Geistes.

      Als er durch eine Hecke brach, zerrissen ihm deren Zweige das Gesicht, aber in demselben Augenblicke bemerkte er ein Licht, das zwischen dem Laube eines Gartens, in den er eingedrungen war, funkelte; er fühlte nicht seine Schmerzen. Er eilte vorwärts, fand eine Tür, erschütterte sie durch einen Fußtritt, und mehr erschöpft von der schrecklichen Erregung des Abends als durch das Blut, das er verloren hatte, unter dem Gewichte seiner Last erliegend, fiel er ohnmächtig auf die Schwelle nieder. –

      Es verging lange Zeit, bis ihm die Besinnung wiederkehrte.

      Als er zu sich kam, wankte seine Vernunft in dem Gehirn, das ihm leer schien; vergebens suchte er sich auf das, was geschehen war, auf den Ort, wo er sich gegenwärtig befand, zu besinnen. Die Sonnenstrahlen, die durch ein ziemlich hohes, aber schmales Fenster in das Zimmer fielen, beschienen ihn hell und blendeten seine Augen, als er sie halb öffnete.

      Dennoch hatte er den schönen Kopf eines jungen Mädchens mitten in den Lichtstrahlen gesehen, die ihn mit einem Heiligenscheine umgaben; sie saß in der Fensternische und schien beschäftigt, die Stängel einiger Feldblumen zu einem Bukett zusammenzubinden.

      Wahrscheinlich machte er auf seinem Lager eine Bewegung, denn das schöne junge Mädchen erhob sich und trat ihm näher. Als er sie auf sich zukommen sah, fand Charles schnell den Namen und die Gedanken, die ihm verloren gegangen waren, wieder.

      Dieser Name war der Colombes.

      Seine Gedanken spiegelten sich in der Angst ab, mit der er ihn aussprach.

      Das junge Mädchen schwieg darauf.

      »Und Colombe, Colombe?« wiederholte mein Ahne, indem er die Hände gegen die Fremde ausstreckte, um sie mit dieser Bewegung, wie in seinem Herzen, um Antwort anzuflehen. Er fühlte, dass zwei heiße Tränen auf seine Hände niederfielen; er sah, wie sich die beiden schönen Augen, aus denen diese Tränen gekommen waren, auf ihn mit dem Ausdruck zärtlichen Mitleids richteten.

      Darauf begann das junge Mädchen, vor einem hölzernen Christusbild, das über dem Kamine befestigt war, niederknieend, zu beten.

      Diese Tränen und das Gebet einer Fremden hatten ihre stumme und ergreifende Beredsamkeit; mein Ahne begriff, dass Colombe tot sei, seine Kräfte verließen ihn, und von der Unermesslichkeit seines Schmerzes vernichtet, verlor er zum zweiten Male das Bewusstsein.

      Ein heftiges Fieber bemächtigte sich seiner. Er hatte heftige Anfälle von Raserei.

      Dann sank er in eine Art Erstarrung, die mehrere Tage anhielt.

      In der ersten Periode dieses Zustandes glaubte er mehr als einmal die anmutige Figur des jungen Mädchens zu sehen, die sich über sein Bett beugte und den Kranken angstvoll betrachtete.

      Als er aber erst seine ganze Besinnung wiederhatte, war sie es immer, die seine Blicke suchten, wenn er erwachte, er fand sie dann aber niemals bei sich. Eine alte gute Frau hatte die Stelle seiner reizenden Krankenwärterin ersetzt.

      Hin und wider sah er auch seinem Bette einen Mann sich nähern, dessen Gesicht ihn eigentümlich betroffen machte, denn es schien ihm, dass er diesem Manne nicht zum ersten Male begegne.

      Eines Abends, als Charles eben erwacht war, trat sein Wirt in das Zimmer, ergriff seinen Arm und zählte aufmerksam die Pulsschläge; dann sagte er: »Mit Freuden kann ich bestätigen, dass der Tod Sie dieses Mal nicht gewollt hat, Herr von Longval.«

      Bei dem Tone dieser Stimme waren die Erinnerungen meines Ahnen bestimmt geworden; er hatte den Fremden wiedererkannt, den der Chevalier von Blignac zum Abendessen im »Klaren Anker« eingeladen, denselben, der ihm so eigentümliche Worte gesagt hatte.

      Er setzte sich in seinem Bette auf, schüttelte herzlich die Hand, welche die seinige hielt, und sagte mit traurigem Lächeln:

      »Mein Herr, wenn Sie ein ebenso sicherer Prophet sind, wie Sie sich als guter Arzt gezeigt haben, so hätten Sie vielleicht ruhig den Tod sein Geschäft an mir verrichten lassen sollen.«

      Dann