Zu dritt kehrten sie an ihrem Ecktisch zurück und Rex bestellte eine neue Runde Glühbier.
Der Schneider ließ schnaufend den Koffer fallen und nahm Platz. »Was ist denn überhaupt los?«
»Das fragst du noch?«, ereiferte sich der andere.
»Ruhig«, warf Rex dazwischen. »Erklär’s ihm.«
»Na gut. Ich denke, ich beginne noch mal am Anfang.«
»Unsinn!«, sagte Rex hastig. Er wandte sich an den Schneider. »Es reicht, wenn du weißt, dass er in seinem neuen Job wenig Glück hatte. Du hast eine explodierte Konsole, einen beinahe fatalen Felsrutsch und ein paar steinschleudernde Einheimische verpasst.«
»Na wenigstens war der junge Mann bei all den Schikanen gut gekleidet.« Der Schneider lächelte versöhnlich.
»Schwachsinn! Das war mehr als eine Pechsträhne. Da war noch die terillianische Grippe und …«
»Na gut«, sagte Rex, »die Grippe war halt auch noch. Jetzt kommen wir jedenfalls endlich zu den Piraten, richtig?«
»Ja, richtig. Der Captain war noch nicht lange weg, da hörten wir zornige Rufe und einen schrillen Frauenschrei tief aus der Höhle. Der Wissenschaftsoffizier und ich zogen unsere Laserpistolen und stürzten dem Captain hinterher. Ich rauschte in die Höhle, bereit für einen Kampf mit den Piraten, aber …«
»Lass mich raten«, fuhr Rex dazwischen, »du bist gestolpert.«
»Nein.«
»Dir ist ein Stalaktit auf den Kopf gefallen?«
»Auch nicht.«
»Laserfehlzündung?«, bot der Schneider hilfreich an.
Der Mann im lädierten roten Shirt funkelte ihn finster an.
Zum Glück schien die entzückende Kellnerin nur auf diesen Augenblick brodelnder Anspannung gewartet zu haben. Sie schwebte heran und ließ mit einem leisen Plopp alle drei Bier auf den Tisch fallen, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten.
»Sehr beeindruckend«, lobte Rex weniger eloquent, als ihm lieb gewesen wäre. »Danke!«
»Bitte.« Die Schöne strahlte ihn an und entschwand wieder.
Rex sah ihr wehmütig nach, dann prostete er den anderen beiden zu. Sie hoben die Gläser und tranken.
»Au!«, schimpfte der Kerl in Rot.
»Zunge verbrannt?«
Er nickte verkniffen.
»Also was war denn nun mit den Piraten und der Höhle?«, fragte der Schneider. »Vor allem: Was hat das alles mit meiner Arbeit zu tun?«
»Wir stürmten in die Höhle. Sie war mit Notstrahlern schummrig beleuchtet und wisst ihr, was wir statt des erwarteten Feuergefechts im Halbdunkel vorfanden?«
Schweigen.
»Ein riesiges Monster! Größer als ein morilianischer Ochse, mit Hörnern und Reißzähnen und sechs klauenbewehrten Gliedmaßen. Der Captain und zwei Piraten beschossen das Vieh immer abwechselnd mit ihren Laserpistolen, sodass es mal hierhin, mal dorthin herumfuhr, ohne je Zeit genug zu haben, einen von ihnen anzugreifen.«
»Clever«, bemerkte Rex.
»Ja, total! Nur sobald das Tier mich wahrgenommen hatte, brüllte es auf, senkte den Kopf und nahm mich ins Visier. Schon rannte es auf mich zu. Schießen half nichts, das hatte ich ja gesehen, also nahm ich die Beine in die Hand. Ich duckte mich ab, ich schlug Haken, hinter mir hörte ich das Laserpistolenfeuer. Trotzdem knallten die Klauen des Monsters immer lauter auf den Fels. Ich hörte das Untier schnaufen, roch seinen beißenden Raubtiergestank, stolperte weiter. Dann kam der Schmerz.
Es war, als detonierte eine Plasmaleitung unmittelbar in meinem Rücken. Das Monster nahm mich auf die Hörner. Es schleuderte mich in die Luft. In hohem Bogen segelte ich zur Decke und klatschte dagegen wie ein asitotischer Riesenkäfer gegen eine Vierkantfangscheibe. Ich schrie, Sterne explodierten mir vor den Augen … den Aufprall auf dem Höhlenboden bekam ich schon gar nicht mehr mit.«
»Uff«, kommentierte Rex.
»Aber du hast überlebt, oder?«, fragte der Schneider und lächelte gefällig. »Na, wenn das kein Glücksshirt ist …«
»Ich bin noch nicht fertig!« In seinen Augen blitzte ein Anflug von Wahnsinn auf.
»Ist ja gut …«
»Als ich wenig später erwachte, brannte und schmerzte mein gesamter Körper. Noch immer tanzten mir Sternchen vor den Augen, aber dahinter sah ich den verdammten Captain, wie er die Prinzessin in den Armen hielt und innig küsste. Die Piraten lachten und hatten offensichtlich Frieden mit uns und der Situation geschlossen. Alle waren bester Dinge. Nur das Monster lag besiegt am Boden.«
»Wie das?«, fragte Rex.
»Konzentriertes Sperrfeuer. So hat es mir der Wissenschaftsoffizier erklärt. Als der hrolimianische Säbelzahnstier, wie sie das Ungeheuer getauft hatten, sich ganz mir zuwandte, hatten die anderen die Chance, ihre Laserstrahlen über längere Zeit zu bündeln und ihn so zu betäuben. Und wollt ihr raten, wieso er mich angegriffen hat, hm?«
Weder Rex noch der Schneider antworteten.
»Er reagierte auf die Farbe Rot. Mein Shirt machte ihn derart aggressiv, dass er die anderen Angriffe gar nicht mehr wahrnahm.«
»Oh«, sagte der Schneider.
»Hm«, brummte Rex.
»Seht ihr? Ich hab’s euch gesagt!« Erschöpft, aber mit einer seltsamen Zufriedenheit nahm der Kerl einen kräftigen Schluck Bier.
»Also«, sagte der Schneider, »das klingt doch ganz so, als sei mein Design letztlich sogar die Lösung eures Problems gewesen. Das …« Der bitterböse Blick, den sein Gegenüber ihm zuwarf, ließ ihn verstummen.
»Vielleicht liegt es nicht nur an den Klamotten«, versuchte Rex zu vermitteln. »Vielleicht ist das einfach nicht dein Job.«
»Oh, allerdings nicht! Nach Hrolimi III habe ich gekündigt, das ist ja wohl klar. Jetzt bin ich total lädiert und schon wieder arbeitslos.«
»Du könntest was Ungefährliches machen«, schlug Rex vor. »Etwas in der Sicherheit einer großen Gruppe. Vielleicht in die Armee eines interstellaren Imperiums eintreten. Da muss man ja nicht viel mehr können als Patrouille laufen und schießen, habe ich gehört. Weniger Abenteuer, mehr Routine, hm?«
Der Kerl schaute in sein Bier und nickte. »Vielleicht sollte ich das. Aber das macht nicht gut, was war. Ich will mein Geld zurück!«
»Für ein Teil mit solchen Gebrauchsspuren?«, ereiferte sich der Schneider. »Nach wie vielen Wochen? Niemals!«
Der Kerl schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang auf. Rex mache sich bereit, ihn abermals aufzuhalten, da hob der Schneider beide Hände und seufzte schwer.
»Na gut, na gut«, brummte er. »Ich will mal nicht so sein. Einen Vorschlag hätte ich. Aus reiner Kulanz allerdings!«
Sein Gegenüber verharrte. »Ja?«
»Ich hab da noch was …« Der Schneider wuchtete seinen Koffer auf den Tisch. »Ein ganz neues Outfit, das ich bisher nicht verkauft habe. Das kannst du nehmen, wenn du dich beim Imperium bewirbst. Alt gegen neu, sozusagen, ohne jeden Aufpreis. Na, wie ist das?«
Der Kerl ließ die Schultern hängen und sich auf seinen Stuhl zurücksinken. »Ich brauche wirklich etwas Neues, ehe ich mich irgendwo vorstellen kann.«
»Siehst du.« Der Schneider grinste. Er ließ den Koffer aufschnappen und beförderte eine weiße Rüstung samt Helm aus widerstandsfähigem Kunststoff hervor. »Nimm die hier, und ich bin sicher, es wird alles gut werden.«
Der junge Mann zögerte. Wahrscheinlich malte er sich seine Chancen in einem Faustkampf gegen den Schneider