Handbuch Sozialraumorientierung. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170372405
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target="_blank" rel="nofollow" href="#ulink_712ca231-a424-50a8-9716-6139fb697c9f">10 (»Dezentralisierung«) oder auch freie Träger (»Subsidiaritätsprinzip«) einen Handlungsauftrag zur Bearbeitung des konstituierten sozialen Problems erhalten (»Leistungsvereinbarung«). Diese Organisationen können sodann im Rahmen ihrer Selbstverwaltungskompetenz die Ausgestaltung des Auftrages durch Stellen- und Aufgabenbeschreibungen konkretisieren und beeinflussen (»Organisationsmandat«). Die Fachkräfte Sozialer Arbeit werden auf der Grundlage solcher Stellen- und Aufgabenbeschreibungen tätig und können, je nach deren Konkretisierungsgrad, ihr Handeln planen und gestalten. Dabei orientiert sich ihr professionelles Handeln an den durch ihre Ausbildung (Studium) vermittelten und durch Fach- (z. B. DGSA11) und Berufsorganisationen Sozialer Arbeit (z. B. DBSH12) beschriebenen Standards, dem fachlichen »State oft the Art« (»Professionsmandat«) und den individuellen Haltungen und Überzeugungen sowie persönlichen Erfahrungen und Kompetenzen der Fachkräfte Sozialer Arbeit (»Selbstmandat«). In der konkreten Arbeit mit dem »Klientel« stoßen Fachkräfte Sozialer Arbeit wiederum auf Deutungen sozialer Probleme, Interessen, Motive und Vorstellungen über Bewältigungsoptionen und -maßnahmen der Betroffenen, die ebenfalls als Handlungsaufträge verstanden werden können (»Bürger*innenmandat«). Die im Rahmen des vorliegenden Handbuches zu beschreibende Ausgestaltung des Handlungskonzepts SRO bezieht sich auf professionelle Soziale Arbeit (nach o. g. Verständnis) im jeweiligen Handlungsfeld.

      Zwar finden möglicherweise einzelne der in diesem Band aufgeführten Aufgaben und Tätigkeiten auch im Rahmen sozialraumorientierter Arbeit in anderen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit Anwendung, sie sind in Art und Umfang allerdings nicht unmittelbar übertragbar, denn die einzelnen Tätigkeiten ergänzen sich innerhalb des Handlungsfeld spezifischen Aufgabenspektrums und erzeugen damit Synergieeffekte, die bei isolierter Anwendung im Rahmen eines anderen Handlungsfeldes nicht entstehen. So kann bspw. eine Gemeinwesenarbeiter*in für ihre Tätigkeit als Moderator*in eines Beteiligungsgremiums auf eine Vertrauensbasis zu den beteiligten Bewohner*innen zurückgreifen, die auf ihre kontinuierliche aufsuchende Arbeit, z. B. durch »Streetwork« und viele persönliche Gespräche, die sie dabei mit Menschen aus der Bevölkerung geführt hat, zurückzuführen ist. Auf solche Vorarbeit kann z. B. eine vorwiegend mit Methoden der Einzelfallhilfe arbeitende Bewährungshelfer*in, die aktuell ein Gremium von Bürger*innen zur kommunalen Kriminalitätsprävention zu moderieren hat, nicht ohne weiteres bauen.

      Auf die grundsätzliche Mandatierung zum Einsatz Sozialer Arbeit wurde oben bereits eingegangen. Die konkreten Bedingungen und Ausgestaltungen der unterschiedlichen Mandatierung bzw. Auftragsstellung Sozialer Arbeit im jeweiligen Handlungsfeld werden von den Autor*innen in ihren jeweiligen Beiträgen in diesem Handbuch ausgeführt. Diese können sich auf geltende rechtliche Grundlagen, die Einordnung von Pflichtleistungen und sog. »freiwilligen Leistungen«, die Finanzierung sowie die Spezifika der jeweiligen Adressat*innen und die Ausgestaltung der zum Einsatz kommenden Methoden und Techniken professioneller Arbeit beziehen.

      1.8 Entwicklungsprozesse und Wegmarken zum Handlungskonzept Sozialraumorientierung

      Nach den eher grundsätzlichen Ausführungen zur Mandatierung Sozialer Arbeit, die für alle Handlungsfelder Sozialer Arbeit gelten, werden einige Wegmarken und Entwicklungsprozesse zur Genese sozialraumorientierter Sozialer Arbeit ausgeführt. Die wesentlichen Prinzipien des Handlungskonzeptes SRO wurden oben bereits vorgestellt und sollen hier nochmals kurz zusammengefasst werden. Diese fußen auf dem »Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit« von Boulet/Krauss/Oelschlägel (1980) und den »Prinzipien stadtteilbezogener bzw. sozialraumorientierter Arbeit« nach Hinte u. a. (Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2007; Hinte/Treeß 2007) sowie den darauf aufbauenden »Leitstandards der Gemeinwesenarbeit« von Lüttringhaus (2007), die in der Fachwelt bekannt und weitgehend anerkannt zu sein scheinen (vgl. Handbuch GWA, Stövesand u. a. 2013).

      Erfahrungen und Kenntnisse aus der GWA wurden vor allem von Oelschlägel Anfang der 1980er Jahre zu einem Handlungsfeld übergreifenden »Arbeitsprinzip« Sozialer Arbeit formuliert (vgl. Boulet/Krauss/Oelschlägel 1980). Dabei konnte sich Oelschlägel auf ältere Quellen von Steinmeyer (1969) beziehen, der schon Ende der 1960er Jahre ein über den Methodenbegriff hinaus gehendes Verständnis von GWA vorschlug. Auch auf den Tagungen der Victor-Gollancz-Stiftung wurde GWA bereits in den 1970er Jahren als Form einer stadtteilbezogenen, kooperativen und methodenintegrativen Sozialarbeit beschrieben (Graf 1976). GWA als Arbeitsprinzip war demnach als eine Grundorientierung, Sichtweise und Haltung professionellen Handelns, die eine grundsätzliche Herangehensweise an soziale Probleme im Rahmen professioneller Sozialer Arbeit impliziert, zu verstehen. Mit dem »Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit« nach Boulet/Krauss/Oelschlägel (1980) sind folgende Merkmale verbunden: Zunächst die Einordnung zu bearbeitender sozialer Probleme in ihrer historischen und gesellschaftlichen Einbettung. Zur Erklärung der feststellbaren Phänomene und deren Wechselwirkungen seien Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen zu integrieren. Aus dieser geforderten Interdisziplinarität folge die Integration von Methoden Sozialer Arbeit, der Sozialforschung und des politischen Handelns in Strategien professionellen Handelns. Mit ihren Analysen, Theorien und Strategien habe Soziale Arbeit einen territorialen Bezug und sozialräumlichen Kontext der Menschen zu berücksichtigen (Sozialraumorientierung). Lebensverhältnisse und -zusammenhänge seien dabei nicht aus einer quasi Expert*innenperspektive von außen zu betrachten, sondern aus der Perspektive der von sozialen Problemen Betroffenen und unter Berücksichtigung deren Bedeutungszuschreibung und Bewältigungsstrategien. Diese Lebensweltorientierung ermögliche Sozialer Arbeit, Bewältigungshilfen unter Nutzung vorhandener individueller, sozialer und räumlicher Ressourcen und Potenziale (Ressourcenorientierung). Dies wiederum bedinge eine Offenheit für Anliegen und Themen einer themenübergreifenden Sozialen Arbeit. Das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe wird nach dem Arbeitsprinzip GWA zur »Aktivierung der Menschen in ihrer Lebenswelt« konkretisiert (Oelschlägel 2013: 191), womit auch politisch aktives Lernen und Handeln gemeint ist. Dazu sei die Aufgabe scheinbarer Neutralität zugunsten von Parteilichkeit für die jeweilige Klientel erforderlich.

      Gesellschaftliche Entwicklungen im vierten Quartal des 20. Jahrhunderts, wie ökologische Krisen, Massenarbeitslosigkeit, neue Armut, Jugendproteste, Veränderungen der Parteienlandschaft, Entstehung alternativer oder hedonistischer Milieus, stärkere Individualisierung etc. (Beck 1986), haben in den Sozialwissenschaften zu einer Ausdifferenzierung und Suche nach neuen Gesellschaftsbeschreibungen geführt (Pongs 1999; 2000). Mit der Orientierung an Alltag und Lebenswelt bzw. der Beachtung subjektiver Deutung, Sinngebung und Bewertung von Lebensqualität aus Sicht der Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation ist »Lebensweltorientierung« (Thiersch 1992) seit den 1980er Jahren zu einem zentralen Handlungskonzept der Sozialen Arbeit geworden.

      In Gesellschaften mit großer Wertepluralität und -vielfalt können unterschiedliche Werte möglicherweise unsicher und ängstlich machen. Deshalb würde Kontakt und Konfrontation mit Fremden und Fremdem von manchen Menschen tendenziell eher vermieden, wodurch Unverständnis, Missverständnis und Misstrauen eher noch anwüchsen (Sennett 1983; Hinte/Lüttringhaus/Oelschlägel 2007: 102ff.). Im Gegensatz zu »Verteilungskonflikten« wirken »Wertekonflikte« nach Fehmel (2014) eher sozial desintegrativ, wenn und weil kein Wertekonsens, also eine Verständigung über allseits geteilte Werte, hergestellt werden kann. Wenn Wertehomogenität und Wertekonsens, angesichts unterschiedlicher Lebensentwürfe und pluraler Lebensstile, nicht (mehr) herstellbar sind, gehört gerade die Aushandlung von Regeln, etwa im Sinne der von Norbert Elias (1976) beschriebenen Zivilisationsprozesse, des Ausbalancierens von Machtpotenzialen mittels Diskussionen über Alltägliches, Einigendes und Strittiges, zum gesellschaftlichen Auftrag Sozialer Arbeit in Gemeinwesen, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft, sozialer Lage und Lebensstile auf vergleichsweise engem Raum zusammen leben (müssen).

      Während Oelschlägel und andere begrifflich an »Gemeinwesenarbeit« festhielten, verwendeten Hinte u. a. zunächst Begriffe wie »Stadtteilarbeit« oder »stadtteilbezogene Soziale Arbeit« (Hinte/Metzger-Pregizer/Springer 1982) und entwickelten ein sog. »Fachkonzept«, das zur Anwendung in einigen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit, vorwiegend der »Jugendhilfe« (Hinte/Treeß 2007), der »Offenen Jugendarbeit«