Handbuch Sozialraumorientierung. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170372405
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den Blick sowohl auf territorial begrenzte Räume wie statistische Bezirke, Stadtteile oder per subjektiven Zuschreibungen zu identifizierende Quartiere als auch auf unterschiedliche Lebens- und Aktionsräume von Menschen. Stadtteile, Stadtviertel und Quartiere existieren jedoch weder isoliert für sich noch als mit Gebäuden und Menschen gefüllte Behälter, denn gesamtstädtische, regionale, nationale und globale Entwicklungen manifestieren sich auf lokaler Ebene mit z. T. gravierenden Auswirkungen (vgl. Becker 2016: Kap. 3). Das Leben von Menschen spielt sich nicht nur in ihrem räumlichen Wohnumfeld ab, je nach Interessen und Mobilität gehören ganz unterschiedliche Aktivitäten an unterschiedlichen Orten zur individuellen Lebenswelt. Neben territorialen Aspekten werden im Handlungskonzept SRO auch kategoriale Perspektiven, also die Fokussierung auf Merkmale von Personen wie Geschlecht, Ethnie oder Alter, beachtet. Daneben finden funktionale Perspektiven, rund um die Themen Infrastruktur, Arbeit, Wohnen, Gesundheit/Krankheit etc. in den diversen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit konstituierende Bedeutung.

      Die ›Brille‹ der SRO kann und darf daher nicht zur Scheuklappe werden, die ausblendet, was außerhalb eines fokussierten geografischen oder amtlich festgelegten Gebietes und den vorwiegend institutionell zu bearbeitenden Themen liegt, sondern sie erweitert den Blick von der Mikroebene der Orientierung auf Einzelpersonen und deren Primärkontakte auf die Mesoebene sozialer Beziehungen im räumlich und sozial strukturierten Umfeld, wohl wissend, dass dieses wiederum von der Makroebene gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen beeinflusst wird.

      1.6.2 Perspektivenwechsel sozialraumorientierter Sozialer Arbeit

      Die Bearbeitung komplexer Zusammenhänge bedingt und erfordert ganzheitliche Herangehensweisen unter Berücksichtigung menschlicher Verhaltensdispositionen und Entscheidungen, ebenso wie deren gesellschaftlicher (Rahmen-)Bedingungen. Die Qualität sozialer, verkehrlicher und ökonomischer Infrastruktur am Lebens- und Wohnort wird für Menschen immer wichtiger, auch wenn sie bislang keine Adressat*innen Sozialer Arbeit waren oder sind. So bezieht sich das Handlungskonzept SRO nicht nur auf die Beseitigung sozialer Missstände in bestimmten Gebieten mit höheren Konzentrationen benachteiligter Menschen, sondern sieht die Verantwortung zur Bewältigung sozialer Probleme bei der gesamten Gesellschaft, sucht Ressourcen auch da, wo diese am umfänglichsten und häufigsten vorhanden sind, und versucht diese zur Verringerung der Belastungen dort einzusetzen, wo sie am ehesten gebraucht werden. Ganzheitliche und nachhaltige Entwicklung menschlicher Lebensräume und -verhältnisse bedarf der gleichwertigen Betrachtung und Beachtung sozialer, ökonomischer und ökologischer Ziele, was durch eine sozialräumliche Perspektive gefördert werden kann. Interdisziplinäre Kooperation, institutionelle Vernetzung und gemeinsame Ressourcennutzung sind hierfür notwendige Bedingungen und scheinen sich, wo bislang praktiziert, zu bewähren.

      Innerhalb der ausdifferenzierten Handlungsfelder Sozialer Arbeit arbeiten im Idealfall Sozialarbeiter*innen, Verwaltungsfachkräfte und Angehörige weiterer Professionen im Rahmen integrierter Handlungskonzepte beim Aufbau von Strukturen und der Gestaltung von Prozessen zusammen, um ihren jeweiligen Adressat*innen ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben in ihrem sozialen und räumlichen Umfeld zu ermöglichen. Gelegentlich werden Fachkräfte und Bevölkerung durch einschlägige Europa-, Bundes- und Länderprogramme oder Stiftungsförderungen, die integrierte Handlungskonzepte befördern sollen, darin unterstützt, ganzheitliche und nachhaltige Entwicklungen in den Blick zu nehmen. Nachhaltige Entwicklungen sind allerdings nicht mit befristeten, Projekt finanzierten Maßnahmen zu erreichen. Für die Bewältigung der vielschichtigen sozialen Probleme braucht es qualitätssichernde Bedingungen, verlässliche und dauerhafte Finanzierungen und standardisierte Maßnahmen auf der Basis plausibler Konzepte.

      Wegen der Veränderungen des vormals korporatistischen hin zum eher wettbewerbsorientierten Wohlfahrtsstaat sind im Hinblick auf die verschärfte Konkurrenzsituation unter den »Leistungserbringern« gerade die Finanzierungsfragen sozialräumlicher Konzepte Sozialer Arbeit derzeit noch weitgehend ungelöst und bedürfen daher der Klärung. Dazu zählen insbesondere die Finanzierungsmöglichkeiten fallübergreifender und fallunspezifischer Arbeit (Budde u. a. 2006). Hierzu bedarf es der Entwicklung und Umsetzung von Ideen und Modellen sozialraumorientierter Arbeitsgestaltung in den diversen Handlungsfeldern Sozialer Arbeit und deren gesetzlicher Verankerung.

      Mit dem Handlungskonzept SRO sind durchaus auch Anforderungen bzgl. Berufsrollen, Kompetenzen und Aufgaben verbunden. SRO bringt – wie oben erwähnt – in Ergänzung zu individueller Fallorientierung die Kombination funktionaler (Themenbezug: z. B. Behinderung, Wohnen, Arbeitslosigkeit etc.) mit kategorialen (Adressat*innenbezug: junge/alte, weibliche/männliche Menschen etc.) und territorialen Zuständigkeitsbereichen mit sich. Für interdisziplinäre Zusammenarbeit und selbstbewusstes Auftreten auf den unterschiedlichen politischen Ebenen sind sowohl Kenntnisse als auch Verständnis disziplinärer Kulturen und Fachsprachen erforderlich. Um sowohl mit Vertreter*innen staatlicher, ökonomischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen als auch mit Menschen unterschiedlicher Milieus gedeihliche Arbeitsbeziehungen gestalten zu können, braucht es entsprechende Empathie und Rollenvielfalt. Dies und noch einiges mehr an Kompetenzen sowie eine reflektierte und professionelle Haltung gehören zu den Anforderungen an Fachkräfte Sozialer Arbeit, die nach dem Handlungskonzept SRO arbeiten möchten.

      1.7 Anforderungen des Handlungskonzepts Sozialraumorientierung

      Um eine Orientierungshilfe zur Klärung der fachlichen Anforderungen, Aufgaben und Arbeitsweisen erstellen zu können, bedarf es der Klärung des Auftrages für den Einsatz professioneller Sozialer Arbeit nach dem Handlungskonzept SRO. Daraus ergibt sich der konzeptionelle Rahmen der spezifischen Aufgabenstellung des jeweiligen Handlungsfeldes.

      Der Auftrag zu professionellem Handeln ergibt sich für Soziale Arbeit zunächst aus dem in den vorigen Abschnitten bereits benannten und diskutierten disziplinären Gegenstand Sozialer Arbeit: der Vermeidung, Verminderung und Bewältigung sozialer Probleme (Engelke 2004). Aus dem Verständnis sozialer Probleme ergibt sich sowohl ein prospektiv-präventiver Auftrag, im Sinne der Förderung von sozialem Wandel, als auch ein eher reaktiv-korrektiver Auftrag, im Sinne der Veränderung von gesellschaftlich als unerwünscht geltender Zustände.

      Im Rahmen des prospektiv-präventiven Auftrags geht es darum, sozialen Wandel insofern zu fördern, als die Lebens- und Handlungsbedingungen von Menschen so gestaltet oder verändert werden, dass diese gleiche Zugangschancen zu gesellschaftlich als wertvoll geltenden Gütern erhalten.

      Der im Rahmen der Bewältigung sozialer Probleme eher reaktiv-korrektive Auftrag Sozialer Arbeit ist mit der Veränderung gesellschaftlich als unerwünscht geltender Zustände verbunden und zielt vorwiegend auf die Beseitigung sozialer Benachteiligung. Menschen gelten als sozial benachteiligt, wenn ihr Zugang zu gesellschaftlich als wertvoll geltenden Gütern aufgrund ihrer Stellung in gesellschaftlichen Beziehungsgeflechten regelmäßig eingeschränkt ist. Beurteilung und Bewertung sozialer Benachteiligung kann an den von Hradil (1999) beschriebenen Dimensionen sozialer Ungleichheit orientiert und betrachtet werden. Die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Einflussfaktoren/Determinanten und deren Auswirkungen in den Dimensionen sozialer Ungleichheit sind in Becker (2016: Kap. 6) zusammenfassend beschrieben.