Wie ich dazu kam, mich mit diesem Thema zu beschäftigen
Als Erstes durfte ich die Augen schließen und mit sachter Stimme führte sie mich zurück. Was habe ich gestern gemacht? Letzte Woche? Wie war es, als ich mein Schuldiplom erhielt? Der Tag der Einschulung?
Bis dahin waren es normale Erinnerungen. Nur plastischer und direkter als sonst. Während eine Erinnerung sonst eher zweidimensional ist, war diese intensiv fühlbar. Hören, fühlen, schmecken, sehen, riechen. Sie konnte wieder mit allen Sinnen erfasst werden und wurde nicht nur aus einem Speicher als Erinnerung abgerufen.
Jetzt ging ich zurück zum Zeitpunkt meines letzten Todes. Das sagt mir die Stimme, die ich schon längst nicht mehr als die meiner Freundin wahrnehme. Es hätte inzwischen die Stimme eines jeden Beliebigen sein können. Ich war auch nicht mehr neugierig oder gespannt, ob ich etwas zu sehen bekommen würde und wie so eine Rückführung denn wäre. Alles, was mich jetzt noch umfangen hielt, war Ruhe. Einfache, schlichte Ruhe. Stille. Da war nicht einmal mehr ein Gedanke, der sich verstohlen hereinzuschleichen versuchte. Ich folgte der Stimme.
Plötzlich kam eine Erinnerung, wie zuvor die an meine Schulzeit. Ich stehe in einem Wohnzimmer. Ich wusste einfach, dass ich es war. Ich bin ein Mann. Noch nicht alt. Vielleicht Mitte vierzig. Ich bin in einem hölzernen Haus. Es ist klein. Wenn man hereinkommt, ist man sofort im Wohnzimmer. Von dort geht eine Treppe nach oben. Am Treppenabsatz steht ein kleines Kind in einem weißen, bodenlangen Nachthemd. Sie hält etwas im Arm. Es ist meine Tochter. Rechts von der Treppe steht eine Frau in der Küchentür. Ihr Gesicht kann ich nicht sehen. Im Gegenlicht wirkt sie wie ein dunkler Schatten. Sie steht bewegungslos da und schaut zu mir herüber.
Szenenwechsel.
Jetzt liege ich im Wasser. Mit dem Gesicht nach unten. In meinem grauen Wollanzug schwimme ich oben auf dem breiten Fluss. Ich bin ein Fährmann. Die Stange halte ich noch in der rechten Hand. Ich sehe mich selbst von oben. Angst habe ich keine. Ich bin ganz ruhig und schaue neugierig auf meinen Körper, der vom Strom weitergetragen wird.
Zwei riesige Vögel kommen, greifen mich unter den Armen und ziehen mich nach oben weg. Ich will nicht mit. Ich will erst noch sehen, was mit dem schwimmenden Mir passiert. Aber die Vögel nehmen mich mit. Ich schaue nach hinten rechts und links, um die Vögel zu sehen. Ein violetter Schein schimmert um sie herum. Sie sind stark und mächtig. Sie fühlen sich gut an. Sie halten mich warm und fest. Auf einmal verstehe ich. Ich bin tot. Gestorben. Dort unten ist nur noch mein Körper, der Körper des Fährmanns, der davon treibt. Während ich selbst woanders hingehe.
Die Vögel tragen mich bis zu einem Tunnel und ziehen mich dort hinein. Der Tunnel ist dunkel und ich habe ihn schnell passiert. Die Vögel, die mich zum Tunneleingang brachten, sind nicht mehr da. Ich bin allein. Allein in einem unglaublich großen, schwarzen Raum. Alles ist leer. Einfach ein riesiges, großes, seltsamerweise quadratisches Nichts unendlichen Ausmaßes. In einer Ecke ist eine Gruppe mit drei hellen und mehreren dunklen Gestalten. Sie haben Angst und kauern dicht aneinander. Sie wollen, dass ich zu ihnen komme. Aber ich will nicht. Ich kenne diese Gestalten von irgendwo. Ich mag sie. Sie tun mir so unendlich leid, wie sie dort stehen und leiden. Ich wünschte, ich könnte ihnen helfen. Aber ich weiß, dass ich mich nicht zu ihnen stellen will. Es geht doch weiter. Zu einem schöneren Ort. Ich versuche, sie zu überreden mitzukommen. Aber sie wollen nicht. Ich bekomme nicht einmal eine Antwort. Sie schauen mich nur angstvoll aus großen schwarzen Augenhöhlen an. Ich lasse sie dort. Wende mich ab. Gehe weiter.
Szenenwechsel
Ein Baum. Dort steht ein riesiger Baum. Ein dicker Stamm und ein unglaubliches Astgewirr. Es ist wohl Winter, denn der Baum trägt keine Blätter. Jetzt kommt ein strahlendes Licht hinter dem Baum zum Vorschein, was stärker und stärker scheint. Es ist ein gleißendes Licht. So hell und fluoreszierend habe ich es noch nie gesehen. Es wärmt nicht, aber es fühlt sich unglaublich wohl und gut an. Ich fühle – ich weiß – ich bin wieder zu Hause.
So erlebte ich meine eigene, erste kurze Rückführung, die dem Workshop zum Leben und Tod vorangestellt war. Oh ja, es war wie eine Art Fernsehen, aber mit Gefühl und Geruch und interaktiver Teilnahme. Es war beides gleichzeitig: mitspielen und sich selbst von außen zusehen. Seitdem habe ich noch einige dieser Erfahrungen mit mir selbst und Welten und Leben in kurzen Flashbacks oder längeren Wachträumen erleben dürfen.
Als ich vor diesem Baum stand mit dem aufgehenden Licht, wusste ich, ich war zu Hause. Einfach nur noch eintreten und dann ist alles gut. Ein Gefühl, das noch viel intensiver war, als wenn man nach einem knirschenden Winterspaziergang, bei dem die Kälte sich schon in die Knochen bohrt, die Wohnungstür aufschließt mit einer großen Tasse heißen Kakaos vor Augen. Es war zusätzlich noch das warme und beglückende Wissen, dass alles, was man will und braucht, dort ist und nur darauf wartet, dass man eintritt. Natürlich weiß ich nicht, wie es dort aussieht und ob dort wirklich ein Baum steht. Vielleicht steht dort auch nur einer für mich, weil das eben meine eigene persönliche Allegorie ist, wie ich nach meiner letzten Inkarnation wieder ins Licht gegangen bin.
Was aber habe ich gesehen und wo bin ich gewesen, als ich als Seele des Fährmanns mein letztes Leben verlassen habe? Was waren die Vögel? Wer waren diese Gestalten, die ich in dem schwarzen Raum vorgefunden habe? Was war dieser schwarze Raum überhaupt? Erleben das alle so? Wenn ich mich daran zurück erinnern konnte, können alle anderen das auch? Meine Großmutter hatte von Licht gesprochen, kurz bevor sie starb, mein Großvater hingegen von Wasser. Erlebt jeder in diesem Moment etwas anderes?
Im Zusammenhang mit dem Tod gibt es Fragen über Fragen. Leider trauen sich nur die wenigsten, sich auch damit zu beschäftigen. Der Tod ist tabuisiert und wird beiseitegeschoben, so lange es geht. Trotz aller Bemühungen: Abschalten lassen sich die Gedanken nicht. Während des gesamten Lebens gibt es immer wieder Momente, die uns direkt oder indirekt mit dem Tod konfrontieren und zwingen, uns mit dem Thema auseinanderzusetzen. Immer wieder beim Tod von Angehörigen, Haustieren, Nachbarn, bei Unglücken, über die in Zeitungen berichtet wird. Wenn wir es zulassen, macht es uns nachdenklich und wir sinnen darüber nach: Wie ist das Sterben wirklich? Kommt etwas danach, wie es viele Religionen und Mythen erzählen? Gibt es eine Reinkarnation? Gibt es mehr als ein Leben? Was passiert nach dem Tod? Wie ist das Leben – oder Sein – nach dem Tod? Wie schlimm ist Sterben? Was sind Seelen? Was ist Bewusstsein? Was sind Geister?
Fragen über Fragen und vermeintlich wenig konkrete Antworten.
Menschen, denen ein Blick ins Totenreich erlaubt war, gibt es seit Urzeiten. Schamanen, Heilern, Hohepriestern und Hellsehern wird diese Fähigkeit nachgesagt. In der heutigen Zeit heißen sie zudem Medien, Parapsychologen, mediale/geistige Heiler oder Lebensberater. Über alle wurde gerade in den letzten zweitausend Jahren viel Spott ausgeschüttet, von drastischeren Methoden wie Verbrennungen und Inquisitionen einmal abgesehen. Vor niemandem hatte die Menschheit aber auch so viel Respekt wie vor ihnen – positiv wie negativ.
Seit den 1980er Jahren erleben die alten Denkweisen und Lehren eine Renaissance. Neben frühen schriftlichen Quellen und einem neuen Verständnis dafür, erweisen sich z. B. Schamanen indigener Völker als Hüter der Schätze des alten Wissens. Erst seit jüngerer Zeit wird dieses Wissen gemäß den Beschlüssen der Ältesten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Immer mehr Informationen, immer mehr Wissen der Naturreligionen kommen wieder ans Licht. Alte Völker brechen erstmals ihr Schweigen, neue Beweise aus alten Zeiten tauchen auf und werden in viele Sprachen übersetzt. In unserem digitalen Zeitalter mit seinem vielfältigen Informationszugang sowie globalen Reisemöglichkeiten findet das Wissen, das vor Tausenden von Jahren an anderen Punkten der Erde Realität und Glaube war, eine breite Schicht dafür offener Menschen. Das alles schafft nicht nur Wissen, sondern auch Bewusstsein.
Ich selbst bin mit der Welt „des Schamanismus“ in Kontakt getreten, als ich die Möglichkeit hatte, einige Zeit bei einem Stamm der indigenen Völker Nordamerikas zu verbringen. Die Tohono O‘Odham leben in der Wüste Arizonas zwischen Tucson und Phoenix in kleineren Siedlungen. Ich war beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit sie mit der Natur und den