• Konfliktstörungen entstehen durch fixierte unbewusste Konflikte, die in der Kindheitsentwicklung wurzeln. Sie bilden die Basis der Konfliktpathologie. Traditionell werden sie auch einfach als »Neurosen« bezeichnet oder weiter spezifiziert, z. B. als Angstneurosen oder Konversionsneurosen.
• Strukturstörungen beruhen auf einer Entwicklungspathologie, die durch Mangelerfahrungen in vulnerablen Phasen der Kindheitsentwicklung angelegt ist und strukturelle Defizite in der Persönlichkeit hinterlässt.
Neurosen entstehen durch äußere auslösende Belastungen, die sich destabilisierend auf die seelische Struktur auswirken und dazu führen, dass eine in der Latenz vorhandene, also unbewusste Psychodynamik aktualisiert oder ein kompensiertes Ichfunktionsdefizit offengelegt wird. Beides führt in einer psychosozialen Belastungssituation, der sog. Auslösesituation, dazu, dass Bewältigungsaufgaben nicht gemeistert oder Konflikte nicht gelöst werden können.
Aus ätiologischer Sicht (
Konfliktstörungen und Strukturstörungen werden als neurotische Störungen zusammengefasst, um auf die Verwurzelung in der Kindheit als gemeinsames Merkmal zu verweisen. In diesem Sinne wird auch in diesem Buch der Begriff der Neurose verwendet.
Neurotische Störungen (»Neurosen«) im Überblick
Ätiologie
• Konfliktstörungen auf der Basis einer Konfliktpathologie
• Strukturstörungen auf der Basis einer Entwicklungspathologie
• Präödipale Störungen als Zusammenwirken von Konflikt- und Strukturpathologie
Phänomenologie
• Symptomneurosen mit umschriebenen klinischen Symptomen wie Zwänge oder Depressionen
• Persönlichkeitsstörungen mit komplexen, diffusen und wechselnden Befindensstörungen und maladaptiver Lebensbewältigung und Beziehungsregulation
• Komorbide Störungen mit verschiedenen Störungsarten nebeneinander (Mehrfacherkrankungen), z. B. eine Angstneurose neben einer Essstörung
• Sekundäre neurotische Störungen als Weiterverarbeitung primär nicht-neurotischer Erkrankungen, z. B. depressive Verarbeitung eines primär somatischen Schmerzgeschehens.
Davon ist die phänomenologische Systematik zu unterscheiden (
Auch körperliche Erkrankungen und Behandlungsmaßnahmen, z. B. ein Bandscheibenvorfall mit operativer Reposition, können die Persönlichkeit destabilisieren und eine neurotische Dekompensation bewirken. Das geschieht bei Erkrankungen oder Behandlungen, die unbewusst eine Bedeutung erlangen, welche die psychische Bewältigung und die Abwehr schwächen. Dadurch entstehen Störungen, die als sekundäre neurotische Störungen bezeichnet werden z. B. ein somatoformes Schmerzsyndrom. Man spricht auch von einer neurotischen Überlagerung des Verlaufes körperlicher Krankheiten. Ähnlich geschieht die neurotische Überlagerung primär reaktiver Störungen. Sie dient der Abwehr unbewusster Affekte und Phantasien.
Psychosomatosen (
Während es sich bei den bisher genannten um »reine« psychogene Störungen handelt, sind die Zusammenhänge bei Psychosomatosen komplizierter. Hier führt das Zusammenwirken zwischen chronisch neurotischer Entwicklung, somatischer Krankheitsdisposition, körperlichen Krankheitsfaktoren und einer auslösenden psychosozialen Belastung zu körperlichen Krankheitsprozessen mit Organläsionen, z. B. mit Ulzerationen, Entzündungen oder degenerativen Veränderungen. Die Einzelheiten des Zusammenwirkens sind noch nicht völlig aufgeklärt.
Die klinischen Syndrome können als psychosomatische Organerkrankungen bezeichnet werden, um sie von den somatoformen Störungen (
Der seelisch begründete Teil der Symptombildung bei Psychosomatosen besteht in einer Persönlichkeitsstörung oder einer neurotischen Entwicklung. Das Besondere ist, dass es für die disponierenden psychischen Erfahrungen keinen mentalen Ausdruck gibt, sodass diese im Körperlichen verbleiben. Jedenfalls entstehen unter aktuellen Belastungen Spannungen, die nicht mentalisiert und psychisch weiterverarbeitet werden. Diese können eine Regression ins Körperliche hervorrufen und die Symptombildung bewirken. Dabei ist die zeitliche Abfolge häufig so, dass neurotische Entwicklungen zunächst in Persönlichkeitsstörungen münden, bei denen unter zusätzlichen Belastungen Psychosomatosen als komorbide Störungen hinzukommen.
3.2 Grundformen der psychogenen Pathologie (»Allgemeine Neurosenlehre«)
Im Zentrum der psychodynamischen Krankheitslehre stehen die Grundformen der Pathologie auf der Basis neurotischer Entwicklungen. Sie beschreibt die Struktur und die Dynamik der Persönlichkeit, aus der heraus psychogene Störungen entstehen. Sie sind in der Biografie verwurzelt und haben ihre Basis in der Kindheitsentwicklung. Das Ergebnis der Entwicklung ist die jeweilige Persönlichkeitsorganisation, in der sich strukturelle Defizite und konflikthafte und traumatische Erfahrungen niederschlagen. Sie hat einen Bezug zum unbewussten Erleben und zur unbewussten Erlebnisverarbeitung.
Aus psychoanalytischer Perspektive spielen in der Ätiopathogenese der psychogenen Störungen Bedürfnisse, Entbehrungen, Mangelerlebnisse, Konflikte, Kränkungen, traumatische Erfahrungen und die damit verbundenen Phantasien und Gefühle die entscheidende Rolle. In der psychischen Innenwelt schlagen sie sich als innere Bilder, Gefühlszustände und Erinnerungen nieder. Sie schaffen eine Welt von Selbst-, Objekt- und Beziehungsrepräsentanzen (
Gerade die unbewussten Erfahrungen sind es, die ein Risiko darstellen, dass sich Störungen entwickeln. Je nachdem, ob sie im implizit-prozeduralen oder im explizit-deklarativen Gedächtnis abgelegt sind, können sie ins Bewusstsein gelangen oder nicht.
3.2.1 Die Entstehung psychogener Pathologien
Erfahrungen können durch alloplastische oder autoplastische Anpassung bewältigt werden. Alloplastisch bedeutet: Veränderung im Außen. Eine Gefahr kann z. B. durch Flucht gemildert werden. Autoplastisch ist dagegen die Veränderung durch innere Prozesse: So kann man auf frustrierte