Psychotherapie und Psychosomatik. Michael Ermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Ermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783170368026
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Störungen beruhen auf einer beeinträchtigten Kindheitsentwicklung, die gemeinhin als neurotische Entwicklung bezeichnet wird. Die neurotische Entwicklung ist die Disposition und das gemeinsame Merkmal der neurotischen Störungen. Daraus erwachsen später die manifesten Störungen im Befinden, Erleben und Verhalten. Sie treten in zwei Formen in Erscheinung:

      • Konfliktstörungen entstehen durch fixierte unbewusste Konflikte, die in der Kindheitsentwicklung wurzeln. Sie bilden die Basis der Konfliktpathologie. Traditionell werden sie auch einfach als »Neurosen« bezeichnet oder weiter spezifiziert, z. B. als Angstneurosen oder Konversionsneurosen.

      • Strukturstörungen beruhen auf einer Entwicklungspathologie, die durch Mangelerfahrungen in vulnerablen Phasen der Kindheitsentwicklung angelegt ist und strukturelle Defizite in der Persönlichkeit hinterlässt.

      Neurosen entstehen durch äußere auslösende Belastungen, die sich destabilisierend auf die seelische Struktur auswirken und dazu führen, dass eine in der Latenz vorhandene, also unbewusste Psychodynamik aktualisiert oder ein kompensiertes Ichfunktionsdefizit offengelegt wird. Beides führt in einer psychosozialen Belastungssituation, der sog. Auslösesituation, dazu, dass Bewältigungsaufgaben nicht gemeistert oder Konflikte nicht gelöst werden können.

      Aus ätiologischer Sicht (image Übersicht) umfassen die neurotischen Störungen die Konfliktstörungen und die Strukturstörungen. Unter klinischen Gesichtspunkten kommen als dritte Gruppe die präödipalen Störungen hinzu, bei denen Entwicklungs- und Konfliktpathologie zusammenwirken. Das ist typisch für das mittlere Strukturniveau.

      Konfliktstörungen und Strukturstörungen werden als neurotische Störungen zusammengefasst, um auf die Verwurzelung in der Kindheit als gemeinsames Merkmal zu verweisen. In diesem Sinne wird auch in diesem Buch der Begriff der Neurose verwendet.

      Neurotische Störungen (»Neurosen«) im Überblick

      Ätiologie

      • Konfliktstörungen auf der Basis einer Konfliktpathologie

      • Strukturstörungen auf der Basis einer Entwicklungspathologie

      • Präödipale Störungen als Zusammenwirken von Konflikt- und Strukturpathologie

      Phänomenologie

      • Symptomneurosen mit umschriebenen klinischen Symptomen wie Zwänge oder Depressionen

      • Persönlichkeitsstörungen mit komplexen, diffusen und wechselnden Befindensstörungen und maladaptiver Lebensbewältigung und Beziehungsregulation

      • Komorbide Störungen mit verschiedenen Störungsarten nebeneinander (Mehrfacherkrankungen), z. B. eine Angstneurose neben einer Essstörung

      • Sekundäre neurotische Störungen als Weiterverarbeitung primär nicht-neurotischer Erkrankungen, z. B. depressive Verarbeitung eines primär somatischen Schmerzgeschehens.

      Davon ist die phänomenologische Systematik zu unterscheiden (image Übersicht). Danach gehören zu den neurotischen Störungen die Symptomneurosen, die Persönlichkeitsstörungen und die komorbiden neurotischen Störungen (image Kap. 4.2.4 und image Kap. 8.1.1).

      Auch körperliche Erkrankungen und Behandlungsmaßnahmen, z. B. ein Bandscheibenvorfall mit operativer Reposition, können die Persönlichkeit destabilisieren und eine neurotische Dekompensation bewirken. Das geschieht bei Erkrankungen oder Behandlungen, die unbewusst eine Bedeutung erlangen, welche die psychische Bewältigung und die Abwehr schwächen. Dadurch entstehen Störungen, die als sekundäre neurotische Störungen bezeichnet werden z. B. ein somatoformes Schmerzsyndrom. Man spricht auch von einer neurotischen Überlagerung des Verlaufes körperlicher Krankheiten. Ähnlich geschieht die neurotische Überlagerung primär reaktiver Störungen. Sie dient der Abwehr unbewusster Affekte und Phantasien.

      Psychosomatosen (image Kap. 12)

      Während es sich bei den bisher genannten um »reine« psychogene Störungen handelt, sind die Zusammenhänge bei Psychosomatosen komplizierter. Hier führt das Zusammenwirken zwischen chronisch neurotischer Entwicklung, somatischer Krankheitsdisposition, körperlichen Krankheitsfaktoren und einer auslösenden psychosozialen Belastung zu körperlichen Krankheitsprozessen mit Organläsionen, z. B. mit Ulzerationen, Entzündungen oder degenerativen Veränderungen. Die Einzelheiten des Zusammenwirkens sind noch nicht völlig aufgeklärt.

      Die klinischen Syndrome können als psychosomatische Organerkrankungen bezeichnet werden, um sie von den somatoformen Störungen (image Kap. 10) abzugrenzen, die zu den funktionellen Störungen gehören und keine Organläsionen aufweisen.

      Der seelisch begründete Teil der Symptombildung bei Psychosomatosen besteht in einer Persönlichkeitsstörung oder einer neurotischen Entwicklung. Das Besondere ist, dass es für die disponierenden psychischen Erfahrungen keinen mentalen Ausdruck gibt, sodass diese im Körperlichen verbleiben. Jedenfalls entstehen unter aktuellen Belastungen Spannungen, die nicht mentalisiert und psychisch weiterverarbeitet werden. Diese können eine Regression ins Körperliche hervorrufen und die Symptombildung bewirken. Dabei ist die zeitliche Abfolge häufig so, dass neurotische Entwicklungen zunächst in Persönlichkeitsstörungen münden, bei denen unter zusätzlichen Belastungen Psychosomatosen als komorbide Störungen hinzukommen.

      Im Zentrum der psychodynamischen Krankheitslehre stehen die Grundformen der Pathologie auf der Basis neurotischer Entwicklungen. Sie beschreibt die Struktur und die Dynamik der Persönlichkeit, aus der heraus psychogene Störungen entstehen. Sie sind in der Biografie verwurzelt und haben ihre Basis in der Kindheitsentwicklung. Das Ergebnis der Entwicklung ist die jeweilige Persönlichkeitsorganisation, in der sich strukturelle Defizite und konflikthafte und traumatische Erfahrungen niederschlagen. Sie hat einen Bezug zum unbewussten Erleben und zur unbewussten Erlebnisverarbeitung.

      Aus psychoanalytischer Perspektive spielen in der Ätiopathogenese der psychogenen Störungen Bedürfnisse, Entbehrungen, Mangelerlebnisse, Konflikte, Kränkungen, traumatische Erfahrungen und die damit verbundenen Phantasien und Gefühle die entscheidende Rolle. In der psychischen Innenwelt schlagen sie sich als innere Bilder, Gefühlszustände und Erinnerungen nieder. Sie schaffen eine Welt von Selbst-, Objekt- und Beziehungsrepräsentanzen (image Kap. 2.1), die teilweise bewusst, großenteils aber unbewusst sind.

      Gerade die unbewussten Erfahrungen sind es, die ein Risiko darstellen, dass sich Störungen entwickeln. Je nachdem, ob sie im implizit-prozeduralen oder im explizit-deklarativen Gedächtnis abgelegt sind, können sie ins Bewusstsein gelangen oder nicht.

      Erfahrungen können durch alloplastische oder autoplastische Anpassung bewältigt werden. Alloplastisch bedeutet: Veränderung im Außen. Eine Gefahr kann z. B. durch Flucht gemildert werden. Autoplastisch ist dagegen die Veränderung durch innere Prozesse: So kann man auf frustrierte