„Ich will wissen, wer für die Schießerei in Hell’s Kitchen heute Nachmittag verantwortlich ist“, fahre ich fort, bevor er wieder mit seiner Litanei anfangen kann, dass er es nicht war. „Auf den Straßen wird geredet, Armando, und du kommst direkt aus der Gosse. Du hörst alles. Rays Leute sterben wie die Fliegen. Jeden Tag kommt einer dazu. Aber du bist immer noch am Leben, und ich kann mir schon vorstellen, warum. Darum will ich wissen, wer dahintersteckt. Ich will wissen, für wen du jetzt arbeitest.“
„Ich arbeite nicht …“ Die Worte entschlüpfen ihm instinktiv, bevor er seine antrainierten Lügen mit einem tiefen Atemzug unterbricht. Wir sind alle darauf geeicht worden, jede Art von Mitwirkung zu bestreiten, aber er weiß es besser. Er weiß, dass ich ihn umbringe, wenn er mich belügt. „Ich habe den Kerl noch nie getroffen … er ist nie zu mir gekommen, ich schwöre! Ich bin ein Niemand. Ich bin nichts. Er weiß wahrscheinlich nicht mal, wer ich bin! Aber die Leute reden, weißt du … sie reden, genau wie du gesagt hast. Letzte Woche kam ein Typ wegen Informationen zu mir. Er meinte, er hätte gehört, dass ich einige Dinge wüsste. Er hat nach dir gefragt, aber ich habe ihm nichts gesagt, was er nicht schon gewusst hat!“
„Wer war der Typ?“
„Ich kenne seinen Namen nicht.“
Kaum hat er verleugnet, ramme ich das Messer hinunter, direkt in den fleischigen Teil seines Oberschenkels. Ich reiße es sofort wieder heraus und presse die Hand auf seinen Mund und seine Nase, als er vor Schmerz aufschreit, um das Geräusch zu dämpfen. Sein Gesicht läuft hellrot an, und ich lasse wieder los, was ich sofort bedauere, denn er schreit: „Joe! Man nennt ihn Fat Joe!“
Er erkennt seinen Fehler sofort und fängt an, leise zu betteln und zu schluchzen, während das Blut aus der Wunde in seinem Oberschenkel fließt. Es ist nicht viel. Nichts, was er nicht mit Leichtigkeit überlebt. Ich halte das Messer hoch und sage ihm, dass er still sein solle. Da beginnt der verdammte Hund in der Küche zu bellen, weil er uns hier draußen gehört hat.
Ich lausche eine Weile, um sicher zu sein, dass Karissa nicht aufgewacht ist. Der Hund hört endlich zu bellen auf, weil er begreift, dass er nicht erfährt, was hier vor sich geht.
„Für wen arbeitet dieser Joe?“, frage ich, als ich sicher bin, dass wir nicht unterbrochen werden. Ich muss das hinter mich bringen und wieder nach oben gehen. „Und erzähl mir nicht, dass du es nicht weißt, weil ich dann auf die Arterie ziele.“
„Da gibt es so einen Kerl, er ist neu in der Stadt.“
„So viel weiß ich schon.“
„Joe hat mir nicht gesagt, für wen er arbeitet und du weißt doch, Vitale, dass wir niemals fragen sollen. Er hat immer wieder gesagt ‚mein Boss dies, mein Boss das‘, aber es muss dieser neue Kerl sein.“
„Hat dieser neue Kerl einen Namen?“
„Sie nennen ihn Scar, glaube ich.“
„Das glaubst du“, wiederhole ich. „Du hast besser recht damit, sonst wirst du bereuen, mir eine falsche Information gegeben zu haben, Armando.“
„Ich bin sicher“, korrigiert er sich. „Ich bin ganz sicher.“
Scar. Hm.
„Und Fat Joe arbeitet für diesen Kerl namens Scar?“
Ich hasse es, diese Frage zu stellen. Mein Leben hat sich in einen klischeehaften Mafiafilm verwandelt.
„So muss es sein“, antwortet Armando. „Ich wüsste nicht, für wen er sonst arbeiten sollte.“
Ich denke darüber nach, was ich mit dieser Information anfangen soll, als Armando wieder zu wimmern beginnt und leise um Gnade bettelt. Das Geräusch geht mir auf die Nerven. Ich trete zurück, werfe das Messer auf meine Werkzeugkiste und greife nach der Rolle Klebeband. Ich reiße ein Stück ab und klebe es über die blutige Lücke über seinem Mund und bringe ihn damit zum Schweigen.
„Du hast Glück, Armando“, sage ich. „Weißt du, ich versuche inzwischen, alles besser zu machen, ein besserer Mann zu sein, der Mann, der ich sein kann, wie meine Frau glaubt. Darum bringe ich dich heute Nacht nicht um, sondern gebe dir noch eine Chance. Wenn du bis morgen früh überlebst, bringe ich dich nach Hause. Ich setze dich da ab, wo ich dich mitgenommen habe. Verstanden?“
Er kann nicht antworten, weil er wieder Klebeband über dem Mund hat, aber ich nehme sein gedämpftes, verzweifeltes Murmeln als Bestätigung, dass er verstanden hat. Früher wäre so etwas nicht verhandelbar gewesen. Mach mich wütend, und du stirbst. So war das eben. Aber das kann ich nicht mehr machen. Ich kann das nicht fortführen. Wenn ich nicht flexibel bin, bin ich nicht vorbildlich. Und ich versuche, für sie vorbildlich zu sein.
„Aber denk dran, wenn meine Frau von dir erfährt, ist der Deal hinfällig.“
Ich knalle den Kofferraum zu, höre seinen erschrockenen Aufschrei, aber danach ist er wieder still. Die Ratte will leben.
Ich nehme das Messer, gehe ins Haus zurück und schließe die Tür hinter mir ab. Killer zieht sich ein paar Schritte zurück, als er mich sieht und fängt an zu knurren.
In der Küche greife ich in den Schrank neben dem Spülbecken und strecke meine Hand in die Tüte Hundeleckerlies mit Salamigeschmack. Ich werfe dem Hund ein paar zu, und er verschlingt sie. Davon ist er so abgelenkt, dass er sich nicht mehr um mich kümmert.
Ich wasche das Blut von der Klinge und verstaue das Messer in der Spülmaschine. Dann gehe ich zur Treppe, wobei ich einen Umweg in die Waschküche mache. Ich ziehe meine Jogginghose aus, vergrabe sie in einem Haufen Schmutzwäsche und mache mir eine geistige Notiz, dass ich mich später darum kümmern muss.
Dann gehe ich nach oben, zurück ins Schlafzimmer. Karissa schläft noch. Es sieht so aus, als hätte sie sich keinen Zentimeter bewegt. Ich lege mich neben sie ins Bett, schlinge die Arme um sie und ziehe sie an mich. Der Vorfall heute hat mich besorgt. Gott sei Dank ist sie in Sicherheit. Ich muss dafür sorgen, dass es so bleibt.
Sie bewegt sich, wacht kurz auf, kuschelt sich an mich und schläft in meinen Armen sofort wieder ein. Sie fängt wieder an zu träumen. Doch dieses Mal lächelt sie dabei.
Sie würde nicht lächeln, wenn sie wüsste, was ich denke, wenn sie wüsste, wohin meine Gedanken wandern, was ich am liebsten tun würde. Ich versuche es für sie, ich tue mein Bestes, aber ich weiß nicht, wie viel ich noch geben kann. Sie sagt, dass Vergeltung eine Entscheidung ist, und vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist es eine Entscheidung.
Aber vielleicht will ich mich für Vergeltung entscheiden. Ist es so falsch, Vergeltung zu wollen? Ich glaube nicht.
„Guten Morgen.“
Karissas Stimme ist ein schläfriges Murmeln, ihre Worte werden von einem Gähnen unterbrochen. Ich sehe zur Tür hinüber, und sie betritt die Küche. Ihr Haar ist zerzaust. Sie trägt ein übergroßes schwarzes T-Shirt, von dem ich vermute, dass sie es aus der hintersten Ecke meines Schranks geklaut hat. Die Hälfte ihrer Garderobe stammt aus dieser Quelle.
„Morgen.“ Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, ihn gut zu nennen. Ich habe nicht eine Sekunde geschlafen, und das wird sich wahrscheinlich bis morgen auch nicht ändern. „Du bist früh auf.“
Es ist sieben, vielleicht acht Uhr morgens. Uhren sind im Haus immer noch eine Seltenheit und ich bin nicht geneigt, auf meine Armbanduhr zu sehen, also bin ich nicht ganz sicher. Ich bin seit ungefähr vier Uhr morgens angezogen.
„Ja“, murmelt sie. Ich habe nicht so gut geschlafen.“
Ich ziehe in Erwägung, sie darauf hinzuweisen, wie viel sie letzte Nacht geschlafen hat, verwerfe den Gedanken aber. „Das ist schade.“
„Ja, nicht?“ Karissa fummelt an der Kaffeemaschine auf der Arbeitsfläche herum und brüht sich eine Tasse auf, während ich die Spülmaschine