Target on our backs - Im Fadenkreuz. J.M. Darhower. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J.M. Darhower
Издательство: Bookwire
Серия: Monster Trilogie
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783864439254
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Knie knicken ein, und ich wäre fast gestürzt. Panisch suche ich nach dem Ursprung der Stimme. Naz sitzt im Arbeitszimmer an seinem Schreibtisch, in den Händen eine geöffnete Zeitung, auf die er den Blick gerichtet hält.

      „Himmel, Naz, was machst du da?“

      „Ich lese die heutige Zeitung.“

      „Du liest die Zeitung“, wiederhole ich.

      Er liest die verfluchte Zeitung? Wirklich?

      „Ja“, sagt er. „Ich habe mir auf dem Heimweg eine gekauft.“

      „Du hast dir eine gekauft“, sage ich ungläubig. „Auf dem Heimweg.“

      Sein Blick gleitet zu mir, er hebt eine Braue. „Warum wiederholst du alles, was ich sage?“

      „Warum ich alles wiederhole, was du sagst?“

      Meint er das ernst? Himmel, er meint das tatsächlich ernst.

      Ernsthaft?

      Naz schüttelt den Kopf, legt die Zeitung vor sich auf den Schreibtisch, lehnt sich im Stuhl zurück und dreht ihn etwas, um mich anzusehen. „Jetzt verstehe ich, warum du es hasst, wenn ich das tue. Das ist ziemlich nervig.“

      „Ich …“ Was zum Teufel? „Ich weiß nicht mal, was ich dazu sagen soll. Ich weiß nicht, was hier vor sich geht. Du … was machst du bloß?“

      Er runzelt die Stirn, als ob das, was ich sage, keinen Sinn ergibt, und ich bin total verwirrt. Warum ist er hier? Er ist aus dem Feinkostladen verschwunden, sodass ich mir selbst überlassen war und ist direkt nach Hause gefahren, um die verdammte Zeitung zu lesen? Das ergibt keinen Sinn.

      „Wie bist du nach Hause gekommen?“, fragt er und mustert mich misstrauisch.

      „Ich habe ein Taxi genommen.“

      „Ich dachte, ich hätte dir gesagt …“

      „Klar“, unterbreche ich ihn, bevor er auch nur anfangen kann, mir eine Gardinenpredigt zu halten, weil ich nicht auf ihn gehört habe, „und wie sonst hätte ich nach Hause kommen sollen?“

      „Du hättest den Autoservice rufen können“, sagt er. „Es hätte höchstens zwanzig Minuten gedauert, bis sie bei dir in Hell’s Kitchen gewesen wären.“

      „Es wäre erst gar nicht zum Problem geworden, wenn du nicht einfach verschwunden wärst.“

      „Er hat mir gesagt, dass ich abhauen soll“, sagt Naz beiläufig, nimmt seine Zeitung und wendet sich wieder von mir ab. „Was hätte ich sonst tun sollen?“

      „Äh … mich mitnehmen. Du hättest mich nicht dalassen müssen.“

      „Du warst in Sicherheit.“

      „Ich war in Sicherheit?“ Ich schnaube. „Woher willst du das wissen?“

      „Ich war nicht mehr da.“

      Seine Stimme klingt sachlich. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. „Aber wie willst du wissen …“

      Er senkt die Zeitung wieder, dieses Mal mit einem übertrieben genervten Schnaufen, als ob er nicht über dieses Thema sprechen will. Ich sollte ihn wahrscheinlich nicht dazu drängen, aber ich will wissen, was er zu sagen hat. Ich will eine Erklärung. Das verdiene ich.

      „Du bist nicht dumm, Karissa, also benimm dich nicht so“, sagt er und starrt mich eindringlich an. „Du weigerst dich weiterhin, das große Ganze zu sehen, obwohl es direkt vor deiner Nase ist. Woher ich weiß, dass die Schüsse mir galten? Sag mir, Süße … wer sonst dort hatte eine Zielscheibe auf dem Rücken? Es gibt nur einen Grund für das, was passiert ist – und der sitzt direkt vor dir.“ Er zeigt auf sich selbst. „Ich wusste also tatsächlich, dass du in Sicherheit warst, weil ich nicht da war. Reicht dir die Antwort?“

      Ich will sagen, dass mir das nicht reicht, weiß aber, dass er das nicht akzeptieren wird. Trotzdem kann ich mich nicht zurückhalten. „Es ist nicht deine Schuld, weißt du.“

      „Wessen dann? Deine?“

      „Warum muss irgendjemand schuld sein?“, frage ich, gehe zu ihm hinüber und hocke mich auf die Kante des Schreibtischs. „Manchmal passieren Dinge einfach.“

      „Hör mal, ich weiß zu schätzen, was du versuchst zu tun – aber lass es einfach“, sagt er. „Ich habe vor langer Zeit akzeptiert, dass ich so liegen muss, wie ich mich gebettet habe. Nichts, was ich heute tue oder nicht tue kann das auslöschen, was ich gestern getan habe.“

      „Was hast du gestern getan?“

      Er wirft mir einen scharfen Blick zu und ich weiß, dass ich aufpassen muss, denn er ist nicht in Stimmung für meine Mätzchen. Er sieht wütend aus. Er sieht fast wie Vitale aus. „Du weißt, was ich meine, Karissa. Die Gegenwart macht die Vergangenheit nicht wieder gut.“

      „Ja, ich verstehe“, sage ich. „Nur weil man sich entschuldigt, heißt das nicht automatisch, dass einem verziehen wird.“

      „Genau. Und in meinem Fall habe ich mich nicht mal entschuldigt.“

      „Tut es dir leid?“

      „Nein.“

      Ich sollte nicht lachen, weil es nicht lustig ist, tue es aber trotzdem. Ich bin immer so ungehobelt. Naz sieht mich an und nicht das kleinste Lächeln spielt um seine Lippen, doch seine Miene und Haltung entspannen sich ein bisschen.

      Wir sitzen eine Weile schweigend da – ich beobachte ihn und er sieht in die Zeitung – bis es mir zu viel wird. „Es ist dennoch nicht deine Schuld.“

      Mit einem Stöhnen knallt er die Zeitung auf den Tisch und reibt sich übers Gesicht.

      „Karissa …“

      „Ich sage doch nur, dass wir für unsere eigenen Handlungen verantwortlich sind. Wir sind nicht dafür verantwortlich, was andere Menschen tun.“ Er wirkt überhaupt nicht, als würde er mir abnehmen, was ich sage, aber ich fahre trotzdem fort. „Was immer du also gestern getan hast, ist deine Schuld, ja. Aber das, was jemand deswegen heute macht? Das ist deren Schuld, Naz. Niemand wurde je dazu gezwungen, Rache zu nehmen.“

      „Wir müssen wohl akzeptieren, dass wir da unterschiedlicher Meinung sind.“

      „Pff, ich habe recht, das weißt du. Vergeltung ist eine Wahl, so einfach ist das. Man beschließt, Rache zu nehmen. Dabei hat man immer die Option, stattdessen Größe zu zeigen.“

      Naz starrt mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. Ich weiß nicht, ob ich zu ihm durchdringe oder nicht, aber ich hoffe es. Denn ich will einfach nur, dass das Ganze aufhört. Vielleicht hoffe ich da bei unserer Lebensweise auf ein Wunder, aber es schadet nicht, darum zu bitten, denke ich.

      „Weißt du“, sagt er nach einer Weile und wendet den Blick von mir ab, „du warst viel gefügiger, bevor ich dich geheiratet habe.“

      Ich lache erneut – obwohl ich es eigentlich nicht sollte.

      „Was auch immer“, sage ich und verdrehe die Augen, als er wieder anfängt zu lesen. Ich sehe ihn neugierig an, während mir meine Worte weiterhin im Kopf herumgehen. Vergeltung. Irgendwie hatte ich geahnt, dass es darum ging, als er so schnell aus dem Feinkostladen verschwand und mich zurückließ. „Wie bist du überhaupt nach Hause gekommen?“

      „Gefahren.“

      „Wirklich? Dein Auto stand nicht in der Auffahrt.“

      „Ich habe es in die Garage gestellt.“

      Ich runzele die Stirn. „Hast du auf dem Heimweg irgendwo angehalten?“

      Er schüttelt seine Zeitung und liest weiter. Er hat angehalten, um die Zeitung zu kaufen, wie er mir vorhin sagte.

      War das alles? „Du warst nirgendwo anders?“

      Langsam gleitet sein Blick zu mir, er kneift die Augen etwas zusammen. „Nein.“

      Ich