Das weckt so viele Erinnerungen, aber im Gegensatz zum Klassenraum sind es zumeist schöne Erinnerungen.
Mir vergeht das Lächeln jedoch in dem Augenblick, als sie die Tür aufschiebt und mein Blick auf ihre aktuelle Mitbewohnerin fällt. Es ist die vierte seit meinem Auszug. Sie bleiben nie lange. Das neue Mädchen dreht sich um, kneift die Augen zusammen und sieht uns böse an. Solche Feindseligkeit sollte einem von einer Fremden nicht entgegenschlagen. Sie knallt ihr Buch zu, schnappt es und rennt aus dem Zimmer, direkt an uns vorbei, ohne ein Wort zu sagen.
Melody nimmt das ziemlich ungerührt hin. Ich beobachte, wie das Mädchen direkt zu den Fahrstühlen geht und auf den Knopf hämmert, als hätte er sie beleidigt. Sie ist ein hübsches Mädchen – rothaarig, mit grünen Augen und Sommersprossen – aber ihr finsterer Gesichtsausdruck macht sie irgendwie hässlich.
„Habt ihr Ärger?“, frage ich Melody, trete hinter ihr ins Zimmer und schließe die Tür.
Sie seufzt dramatisch. „Es sind eben nicht alle so verständnisvoll wie du.“
„Oh, oh, du hast doch nicht etwa einen Typen im Fliegeranzug im Timbers aufgerissen und hier mit ihm gevögelt, oder?“
Mist. Mist. Mist.
Kaum sind mir die Worte über die Lippen gekommen, bedauere ich sie schon. Ich bin so eine Idiotin. Wie konnte ich in einem Moment wie diesem nur Paul erwähnen?
Sie runzelt die Stirn und lässt sich aufs Bett fallen – das im Moment unter einem gigantischen Berg von Kleidung begraben ist. „Sie sagt, dass ich unordentlich bin.“
„Ja“, sage ich und sehe mich um. Melodys Seite des Zimmers sieht wie üblich aus wie nach einer Naturkatastrophe. „Na und?“
„Sie sagt, dass ich rücksichtslos und laut bin, und dass ich schnarche. Kannst du dir das vorstellen? Ich soll schnarchen?“
„Äh … nur wenn du etwas getrunken hast.“
„Das habe ich aber nicht. Ich habe dem Mädchen nichts getan. Aber alles, was sie will, ist, hier schweigend zu sitzen, ihre blöden Proteinriegel essen und meditieren. Sie war übrigens noch nie im Timbers. Wer geht denn nicht ins Timbers?“
„Offensichtlich sie, wie immer auch ihr Name ist.“
„Kimberly“, sagt Melody und verzieht das Gesicht. „Kimberly Anne Vanderbilt. Wenn das nicht der Name eines reichen Snobs ist.“
Ich sehe davon ab, ihr zu sagen, dass sie eine Melody Priscilla Carmichael ist, was auch nicht gerade nach Mittelschicht klingt. Ich merke, dass sie anfängt Trübsal zu blasen, darum wechsle ich das Thema. „Also, was dein Date betrifft …“
Es ist, als hätte man einen Schalter umgelegt. Blitzschnell. Ihre Augen funkeln wieder und sie stößt ein Quietschen aus. Mann, ich beneide sie darum, wie schnell sie umschalten kann.
Sie springt vom Bett, wühlt in ihrem Kleiderschrank und wirft noch mehr Sachen auf den Berg auf dem Bett.
Ich bin ihr keine große Hilfe, habe aber auch nichts anderes erwartet. Ich habe jetzt mehr Sachen, als ich es mir je hätte vorstellen können, aber ich trage immer noch meine alte Lieblingsjeans, schwarze Stiefel und ein schwarzes Oberteil, bei dem ich mir fast sicher bin, dass ich es in Naz‘ Schrank gefunden habe. Es ist mir viel zu groß.
Also sitze ich nur da, versuche, sie von ihrer Panik abzulenken, während sie sich unbekümmert vor mir auszieht und die Hälfte ihres Kleiderschranks anprobiert.
Eine Stunde vergeht, und ich verpasse meinen Kurs, aber es ist schön, wieder mal mit meiner Freundin abzuhängen und mit ihr zu lachen. Außerdem ist es nur Mathe. Wer braucht das schon wirklich?
Die Zimmertür öffnet sich, Melody steht in BH und Höschen da und schert sich einen Dreck darum, dass ihre Mitbewohnerin hereinkommt. Das Mädchen gibt einen angewiderten Laut von sich und setzt sich mit dem Rücken zu uns an ihren Schreibtisch.
„Ich habe nichts anzuziehen“, sagt Melody kopfschüttelnd und ignoriert dabei, dass ich mindestens zwölf ihrer Outfits meine Zustimmung gegeben habe. „Überhaupt nichts.“
„Wohin geht er denn mit dir?“
„Ich weiß es nicht“, sagt sie und zieht eine Leggings an. „Aber er hat etwas von einer Reservierung gesagt, also ist es ziemlich sicher nicht Wendy’s.“
„Gibt es hier in der Stadt überhaupt einen Wendy’s?“
„Es gibt ein paar.“ Sie wirft mir einen Blick zu. „Aber das ist jetzt nicht wichtig.“
Für mich klingen Pommes, die ich in Schokoladensauce tauchen kann, im Moment verdammt wichtig, aber ich lasse ihr das durchgehen.
„Komm“, sage ich und stehe vom Bett auf. „Es ist offensichtlich, dass wir hier nicht weiterkommen. Lass uns anderswohin gehen.“
„Gott sei Dank“, murmelt Kimberly nicht besonders leise. Es stört sie offensichtlich nicht, dass wir sie hören.
Melody wirft ihrer Mitbewohnerin einen wütenden Blick zu und wendet sich dann an mich. „Wohin denn?“
„Zu meinem Kleiderschrank.“
Sie mustert mich spöttisch, beurteilt mein Outfit, bevor ihr etwas einfällt. „Oh, richtig! Naz hat deine Garderobe aufgebessert! Ich meine, man sieht es dir nicht wirklich an …“ Sie wirft einen verächtlichen Blick auf mein Shirt und zupft daran. „Ich wollte gerade sagen, dass ich heute Abend auf gar keinen Fall eins deiner Schal-Outfits trage. Und deine verdammten Crocs kannst du auch behalten.“
Ich verdrehe die Augen. „Ich trage keine Crocs.“
„Aber du hast welche.“
Ich hätte nicht übel Lust, mich zu verteidigen, aber was würde das nützen? Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass sie recht hat. Also lasse ich ihr das auch durchgehen.
Sie wirft ein langes Shirt über, schlüpft in ihre Schuhe und sagt kein einziges Wort zu ihrer Mitbewohnerin, als sie zur Tür hinausgeht.
„Äh, tschüss“, murmele ich und winke unbehaglich. Aber das Mädchen sieht mich nicht einmal an, geschweige denn dass sie etwas erwidert.
Als wir nach draußen kommen, greife ich nach meinem Handy, um einen Wagen zu rufen, aber Melody winkt ab. „Guck mal, gleich da vorn ist ein Taxi.“
Sie ruft es zu uns. Warum sollte ich diskutieren? Ich nehme es ja nicht allein. Das heißt, dass ich Naz‘ Regel nicht breche, oder?
Ich setze mich neben sie ins Taxi, und sie rattert die Adresse herunter, wobei sie die falsche Hausnummer nennt. Ich korrigiere sie.
Als das Taxi sich in den Verkehr einfädelt, werfe ich gewohnheitsmäßig einen Blick nach vorn. Es dauert einen Moment, aber dann trifft mich die Erkenntnis.
Abele Abate. Der Mann mit dem unglückseligen Namen. Er hat mich erst neulich vom Feinkostladen nach Hause gefahren. Er sieht in den Rückspiegel und lächelt wie beim letzten Mal. Ich weiß nicht, ob er mich erkennt, bezweifle es aber. Jedenfalls sagt er nichts. Wahrscheinlich fährt er jeden Tag hunderte von Leuten herum.
Als wir beim Haus ankommen, sehe ich als Erstes, dass es leer ist. Naz ist weg. Killer begrüßt mich, sobald ich die Tür öffne. Er wedelt aufgeregt mit dem Schwanz.
„Hey, Junge“, sage ich und kraule seinen Kopf, „Bist du ganz allein?“
Melody weicht dem Hund mit erhobenen Händen aus. „Oh mein Gott, spring mich bloß nicht an. Sonst rieche ich nachher wie du.“
Ich lache. „So schlimm riecht er nicht.“
„Wirklich, Karissa? Wann hast du den armen Kerl das letzte Mal gebadet?“
„Äh, das ist eine Weile her.“
Es ist so schwierig, das allein zu machen, und Naz ist keine große Hilfe. Er ist so nett, ihn für mich im