»Na, halb scheinst du es bereits zu sein«, versetzte sie trocken. »Die Vermählungsanzeige deines Herrn Schwiegervaters hat dich wahrscheinlich in diesen Zustand versetzt.«
»Ach, das ist doch schon längst vorbei«, winkte er müde ab, dabei mit einer Gebärde, die etwas Verzweifeltes hatte, die Hand im Haar vergrabend. »Das war schon vorbei, als Leila mir nach Eröffnung meiner Verhältnisse hohnlachend den Laufpaß gab.«
»Und warum bist du so durcheinander, du dummer Junge?«
»Weil ich diese Ehe nicht ertrage!« Er sprang brüsk auf, im Zimmer umherlaufend wie ein gefangenes Tier. Er stieß dabei die Hände so heftig in die Hosentaschen, daß die in allen Fugen krachten.
»Und weshalb erträgst du sie nicht?« Der Großmutter gelang es, ruhig zu bleiben, obwohl sie das Gefühl hatte, als müsse ihr der Herzschlag aussetzen vor Schreck. »Ragnilt ist doch wahrlich ein liebenswertes, sanftmütiges Menschenkind.«
»Eben«, lachte er hart auf. »Gerade diese Sanftmut ist es ja, die mich langsam kaputt macht. Dieses Sanftsäuselnde, dieses Sentimentale, diese demütige Ergebenheit, diese zuckersüße Anhimmelei – das gerade ist es, was ich an den Frauen hasse. Warum hast du mich bloß zu dieser unerträglichen Ehe gezwungen!«
»Weil mir eine kleine Bestie mit Paprika im Blut leider nicht zur Verfügung stand«, kam die Antwort ironisch.
»Ich gedenke ihr auszuweichen, indem ich heute noch meine Reise nach Kanada antrete. Das Geld dazu hat mir Onkel Arnold als Hochzeitsgabe zukommen lassen. Wenn ich mich beeile, erreiche ich das Flugzeug noch. Meine Sachen sind ja noch gepackt, und zum Flugplatz fährt mich der Chauffeur.«
»Also ein fix und fertiger Plan«, meinte die alte Dame, dabei jedoch nicht merken lassend, wie hart sie diese Eröffnung traf. Das hagere Antlitz war wie aus Stein gemeißelt, in den falkenscharfen Augen glitzerte erbarmungslose Härte. Langsam hob sich die Hand und zeigte zur Tür.
»So geh!« klang ihre Stimme auf, hart und spröde wie Glas. »Geh – und tritt mir erst wieder unter die Augen, wenn du ein Mann geworden bist. Solltest du jedoch das Zeug dazu nicht in dir tragen, so bleib weg. Denn lieber keinen Enkel als einen mißratenen, der seinem Namen und Wappenschild direkt Hohn spricht. Denn swind heißt stark, kühn, Brecht heißt edel, erlaucht, dazu trägst du auch noch den Vornamen Trutz, du erbärmlicher Schwächling!«
Da ruckte der junge Mann herum, stürmte davon – und mit dumpfem Stöhnen brach die Großmutter im Lehnstuhl zusammen. Drückte das Gesicht in die Hände und weinte, wie diese vom Leben verhärtete Frau noch nicht einmal am Grabe ihres einzigen Kindes geweint.
*
Und somit begann für die beiden Damen eine Zeit, die von ihnen das Äußerste an Herz- und Nervenkraft forderte. Denn als Ragnilt alles erfuhr, flatterte der zarte Körper und flog unter einem barbarischen Nervenfieber, und das nicht nur allein – die Kranke war auch noch guter Hoffnung, wie die beiden vorzüglichen Ärzte, die man rief, einmütig feststellten.
Aber sie wußten auch, daß gerade in einem so zarten Körper oft zähe Kraftreserven steckten. Sie gaben daher die Hoffnung nicht auf, die sich dann auch erfüllte. Mit unendlicher Mühe gelang es ihnen nicht nur die gefährliche Krankheit zu bannen, sondern sogar noch das keimende Leben zu erhalten.
Von alledem ahnte der junge Gatte nichts, weil man ja nicht wußte, wie man ihn benachrichtigen sollte. Und als nach fünf Wochen die erste Mitteilung aus Kanada eintraf, war Ragnilt schon Rekonvaleszentin.
Auch der Vater hatte keine Ahnung davon, daß sein Kind nur mit knapper Not dem Tode entrann. Er schwelgte auf der Hochzeitsreise im Glück. Wohl flatterten Kartengrüße an die Tochter ins Haus, aber mal von hier, mal von dort und stets ohne Angabe der Adresse, so daß man den Globetrotter nirgends erreichen konnte.
Nach acht Wochen rief er dann von zu Hause an und sparte mit Vorwürfen nicht, die er Hermine machte.
Hermine ließ ihn reden. Erst als er eine Pause machte, sprach sie: »Mein lieber Fred, ich habe keine Lust, mir am Fernsprecher von dir Unannehmlichkeiten immer weiter anzuhören oder mich gar noch mit dir zu streiten. Aber eines mußt du mir noch verraten: Wie sollte ich dich wohl erreichen, da du nie eine Adresse angabst? Aha, nun entschuldigst du dich. Natürlich darfst du deine Tochter besuchen, aber ohne deine Frau, hörst du: ohne deine Frau! Abgehängt«, sagte sie jetzt zu Brunhild, die dem Gespräch mit Spannung gefolgt war. »Jedenfalls habe ich erreicht, was ich wollte. Er läßt sich vorläufig hier nicht blicken, dafür wird schon seine Sirene sorgen.«
»Das glaube ich auch«, lachte Brunhild. »Schade, daß wir nicht das Lügenmärchen mit anhören können, welches sie ihrem verliebten Gockel auftischen wird.«
Und dieses Märchen mußte wohl faustdick aufgetragen worden sein, denn Leinsen erschien nicht, ganze zehn Tage nicht. Dann jedoch tauchte er auf, blaß und vergrämt. Vielsagend sahen sich die beiden Damen an, warteten jedoch ab, bis er selbst sprach – und zwar mit bewundernswerter Sachlichkeit:
»Sie ist auf und davon, weil ihr wahrscheinlich der Boden zu heiß unter den Füßen wurde. Einige Tage gelang es ihr wohl noch, mich mit allerlei lügnerischen Ausreden hinzuhalten, doch deine Bemerkung am Fernsprecher, Hermine, hatte mein Mißtrauen wachgerufen. Denn ich kenne dich und weiß daher, daß du nicht ohne Grund einem Menschen dein Haus verbieten wirst. Also zog ich Erkundigungen ein, die niederschmetternd genug waren. Ich hätte diese üble Person kurzerhand hinausgeworfen, wenn sie nicht heimlich verschwunden wäre. Danach reichte ich sofort die Scheidung ein – und so endet nun die Ehe, von der ich mir ein trautes Glück versprach, aber das geschieht mir Narren recht, der ich mit meinen bald fünfzig Jahren noch so blind verliebt sein konnte – das muß ich jetzt eben büßen. Doch nun zu Ragnilt. Was hat das arme Kind nur alles durchmachen müssen. Wenn ich das geahnt, hätte ich sie Trutz nicht gegeben.«
»Und ich schon gar nicht«, bekräftigte Hermine. »Bist du übrigens genau im Bilde?«
»Ja. Ich traf zufällig mit dem Arzt zusammen, der Ragnilt behandelte, und war zuerst ganz baff, als er mir zur Genesung meiner Tochter gratulierte. Dann fragte ich ihn natürlich aus und erfuhr so alles, was mich zutiefst erschütterte. Ganz besonders das, was die Kranke im Fieber verriet. Hat Trutz sich überhaupt schon gemeldet?«
»Vor fünf Wochen kam die erste Nachricht, daß er bei Onkel Arnold angelangt wäre. Es gefiele ihm gut dort und er wüßte nicht, ob und wann er zurückkehren würde.«
»Was hast du ihm darauf geantwortet?«
»Nichts.«
»Bist du nicht sehr hart, Hermine?«
»Nicht härter, als er zu seiner Frau war. Nämlich so hart, daß er sie nach einigen Ehewochen kaltlächelnd verlassen konnte.«
»Somit weiß er nicht, daß Ragnilt sehr krank war und daß sie außerdem noch – ein Kind erwartet?«
»Nein. Und ob er es jemals erfahren wird, darüber soll Ragnilt entscheiden.«
*
Zweieinhalb Jahre mußten vergehen, bevor der junge Baron von Swindbrecht wieder nach Hause zurück fand. Er hatte seine Ankunft absichtlich nicht gemeldet, um durch sein plötzliches Erscheinen die Großmutter vor die vollendete Tatsache zu stellen. Wie sie ihn empfangen würde, das wußte er zwar nicht, aber daß sie ihn nicht hinauswerfen würde, dessen war er gewiß. Denn er kannte wohl ihre Härte, aber auch ihr warmes Herz und ihren Gerechtigkeitssinn.
Wie hatte sie damals gesagt, als sie ihm die Tür wies: Tritt mir nicht früher unter die Augen, bis du ein Mann geworden bist – und so wollte er denn jetzt das Experiment wagen.
Allerdings hatte Trutz keine Ahnung, daß sein Onkel an Baronin Hermine geschrieben und die Ankunft ihres Enkels avisiert hatte. In dem Schreiben hieß es:
Ich schicke Dir den Jungen, obwohl mir das bitter ankommt, denn ich hätte ihn liebend gern hierbehalten. Aber immerhin hast Du ja ein größeres Recht an ihn als ich.
Du wirst Dein Salonbürschchen