Um durch Protektion den jungen Mann vorwärtszubringen, dazu reichte Franz Ackermann seine Hand jedoch nicht. Mochte er sich nur ohne jede Hilfe durchbeißen, er hatte es ja auch tun müssen. Das steifte das Rückgrat und den Nacken, machte den Menschen frei von jeder Dankesschuld.
Daran dachte er jetzt, als er so geruhsam dasaß und genüßlich die Havanna rauchte, die er sich in Ruhestunden leistete. Sonst mußte die Pfeife herhalten, die ja auch nicht zu verachten war. Zwar nannte die brave Lotte dieses Utensil Stinkadores, ließ es jedoch ohne weiteres gelten. Schließlich war der Mann ja der Brotgeber – und in diesem Fall ein guter sogar, ergo stand es dem Eheweib nicht zu, ihm Vorschriften zu machen.
Wohl ihr, daß sie so vernünftig dachte, wie es leider nicht alle Frauen tun, sonst würde es nicht soviel unglückliche Ehen geben. Der Mann das Haupt, die Frau die Krone, so war es wohl von Urzeit an und wird es im Prinzip auch bleiben, trotz aller Emanzipation und wohl der Krone, deren Haupt, auf dem sie sitzt, nicht wackelt.
Nun, das taten die Häupter der beiden Ackermanns nicht. Die saßen fest auf dem geraden Nacken und gaben so mit ihrem Krönlein zuverlässigen Halt.
Und was sich das Krönlein Traute erkor, wurde soeben sichtbar, glattgescheitelt und gepflegt. Die dunklen Augen strahlten in dem braungebrannten Gesicht, die geteilten Lippen gaben kräftige, gesunde Zähne frei.
»Endlich bist du da«, begrüßte Traute Ackermann ihres Herzens Schwarm. »Warum kommst du so spät? Mußtest du womöglich auch noch am Sonntag schuften? Es würde dem Menschenschinder ähnlich sehen, dich während der Kündigungsfrist noch ganz besonders zu schikanieren.«
»Stopp ab!« unterbrach er sie lachend. »Du ereiferst dich nämlich umsonst. Sieh mich mal genau an, fällt dir nichts an mir auf?«
»Nein«, lachte sie, »aber warte, doch, du strahlst ja förmlich. Hast du etwa das große Los gewonnen?«
»Kann man auch so sagen.« Er weidete sich an den gespannten Mienen der anderen. »Zwar habe ich kein Geld gewonnen, aber eine prima Stellung.«
»Also, Egbert, wenn du jetzt nicht endlich mit der Sprache herausrückst…«
»… dann platze ich vor Neugier«, vollendete er vergnügt den stockenden Satz, »aber das wäre jammerschade, da wir doch so kurz vor der Hochzeit stehen – und ich eben erst wohlbestallter Verwalter von Traken geworden bin.«
Diese Nachricht schlug sozusagen wie eine Bombe ein. Man fragte aufgeregt durcheinander, und erst als sich der Sturm gelegt hatte, konnte Egbert Renken zu Wort kommen.
»Manchem gibt’s der Herr im Schlaf«, begann er schmunzelnd, »denn als ich mich nach dem Mittagsmahl aufs Ohr gelegt hatte, um etwas von dem Schlaf nachzuholen, den ich heute nacht bei einer schwerkalbenden Kuh opfern mußte, schrillte die Glocke des Fernsprechers mich aus tiefem Traum. Verschlafen fragte ich, was jetzt schon wieder wäre, wurde jedoch fuchsmunter, als am anderen Ende Baron Swindbrecht sprach. Und zwar fragte er mich, ob ich Lust hätte, den Verwalterposten auf Traken zu übernehmen. Wenn ja, möchte ich mich zur näheren Besprechung möglichst schnell bei ihm im Schloß einfinden. Ich muß da ja wohl mordsmäßig gebrüllt haben; denn er meinte lachend, daß sein Trommelfell nicht aus Stahl wäre. Na, ihr könnt euch ja vorstellen, wie ungeduldig ich Brechten zustrebte. Ich wurde im Schloß auch sofort vorgelassen, und mein Herz klopfte nicht wenig, als ich der alten Baronin, die ich ja nur vom Sehen kenne, so Auge in Auge gegenüberstand. Und wie sie mich ansah, so, als müßte sie mir die Gedanken aus dem Hirn ziehen.
Und dann ging die Fragerei los, hin und her, kreuz und quer, die reinsten Examensnöte waren das für mich. Anschließend wurden meine Papiere genauestens geprüft – und die Anstellung erfolgte, was mein Herz vor Freude hüpfen ließ, auch deinetwegen, Trautchen, denn ich werde mich vom fünfzehnten April ab so gut stehen, daß ich ohne Bedenken eine Familie gründen kann.«
So kam es denn, daß schon drei Wochen später im Verwalterhaus von Brechten eine fröhliche Hochzeit gefeiert wurde. Es ging dabei hoch her, denn Muttchen Ackermann wollte sich ja schließlich nicht »bereden« lassen, schon gar nicht von der Verwandtschaft, die vollzählig erschien, sofern sie in der Umgebung ansässig war und hauptsächlich aus Bauern bestand. Denen wollte sie schon zeigen, daß man ganz nett in der Wolle sitzen konnte, auch wenn man keinen eigenen Besitz hatte.
Dem schlichten Lottchen lag Prahlerei sonst so gar nicht, aber hier, bei dieser »aufgeblasenen Sippschaft«, prahlte sie mächtig. Und nicht nur mit dem, was Küche und Keller bargen, sondern auch mit der ganzen Aufmachung und vor allen Dingen mit der Aussteuer der Tochter, die da auf langen Tischen den staunenden Augen preisgegeben ward.
Darunter prunkten auch der Silberkasten und das Tafelservice, das »Barons« gestiftet hatten. Und daß die nichts Minderwertiges schenkten, war ja wohl Ehrensache, wie Lottchen jedem extra zu verstehen gab.
Diese menschliche Schwäche wurde durchaus verständlich, wenn man um die Vergangenheit des armen Waisenmädchens wußte, das von der wohlhabenden Verwandtschaft weidlich ausgenutzt worden war. Als es dann später den jungen Inspektor heiratete, rümpfte man wohl die Nase, aber hielt es dennoch für eine Partie des armseligen Aschenputtels.
Daher war es Lottchen nun ein Hochgenuß, vor dem »schoflen Pack« zu glänzen. Und als gar noch »Barons« auf einige Stunden erschienen, hob sie ihre Nase so hoch, daß sie Löcher in die Luft spickte, wie der Gatte schmunzelnd bei sich feststellte.
Ihn freute der Besuch natürlich auch. War es doch ein Zeichen, daß man viel von ihm und seiner Familie hielt. Ganz verliebt betrachtete er die junge Baronin, die wie ein bezauberndes Bild anmutete. Wenn man daran dachte, welch ein armseliges Menschenbündel sie noch vor zwei Jahren gewesen war, dann mußte man tatsächlich an Wunder glauben.
Und der Trutz? Na ja, der hatte wohl schon immer gut ausgesehen, aber jetzt war er einfach ein Bild von einem Kerl. Und wenn man noch seine Tüchtigkeit hinzunahm, dann durfte die Großmutter mit Recht stolz auf den Enkel sein, den sie wahrscheinlich schon abgeschrieben hatte, als er sie und den Besitz damals so rücksichtslos im Stich ließ. Trotzdem war sie nicht zusammengebrochen, wie es gewiß weit jüngeren Frauen passiert wäre, sondern hatte weiter geschuftet.
»Nanu, Ackermann, träumen Sie?« riß ihn eine lachende Stimme aus seinen Grübeleien. »Recht so, daß Sie sich aus dem Trubel in den Schmollwinkel zurückgezogen haben. Rücken Sie zur Seite, damit ich mich neben Sie placieren kann.«
Und so saßen sie dann einträchtig auf der Polsterbank, die alte Baronin und der Verwalter. Dieses kleine Zimmer war nämlich das einzige, das von dem Trubel verschont wurde, und zwar deshalb, weil man das alles darin untergestellt hatte, was unnütz im Wege stand und nun so ein lustiges Kuddelmuddel bildete.
»Na, hier bin ich wenigstens sicher, von dem fidelen Völkchen nicht über den Haufen gerannt zu werden«, sagte die alte Dame zufrieden. »Ich bin eben schon zu alt für so einen Schrumm.«
»Frau Baronin gestatten wohl, daß ich lache. Wer noch so fuchsmunter ist, dürfte das Wort alt auf sich bestimmt nicht anwenden.«
»Na, hören Sie mal, mein Lieber, Sie meinen wohl, wenn Sie den Bratenrock anhaben, dann müßten Sie auch Komplimente machen«, besah sie sich schmunzelnd ihren stattlichen Nachbarn, der genüßlich eine Importe rauchte, wie es sich ja zur Feier des Tages gehörte. »Bedenken Sie, daß ich Urgroßmutter bin.«
»Das sagt noch gar nichts«, behauptete er pomadig. »So was kann eine Frau schon vor Fünfzig werden, wenn die weibliche Folge sich rasch fortpflanzt. Mit sechzehn Jahren Mutter, mit zweiunddreißig Großmutter, mit achtundvierzig Urgroßmutter – also!«
»Gott in deine Hände, hat der Mann eine Phantasie!« sagte die alte Dame so entsetzt, daß sie laut herauslachte. Folge davon war, daß der Baron sie in ihrem Versteck aufspürte und sich zu ihnen gesellte. Auch er lachte, als er erfuhr, was seine Großmutter so entsetzte.
»Bißchen rasch, die Fortpflanzung, aber sicherlich