»Nun, Tantchen, wie war’s?« forschte Brunhild bang, und das Herz tat ihr weh bei dem verbitterten Auflachen der alten Dame.
»Es war noch ärger, als ich erwartete, denn der blindverliebte Narr hat sich mit der Kokotte bereits verlobt, will sie natürlich zu seiner Frau machen und dann mit ihr zu Onkel Arnold nach Kanada auswandern.«
»Um Gottes willen, Tante Hermine, das darfst du doch unmöglich dulden!«
»Wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, da mein lieber Enkel sich heute hochtrabend von mir lossagte, indem er mir alles hohnlachend vor die Füße warf, was ich ihm bisher bot. Er erwartet nämlich Geld von Arnold, von dem er auch das Verlobungsgeschenk für seine Braut bezahlen will. Ein Trugschluß, der sich ihm bald offenbaren wird, denn soweit ich Arnold kenne, drückt er den Daumen aufs Portemonnaie und wird daher dem ihm noch unbekannten Neffen erst einmal die Flugkarte und ein Taschengeld schicken, wogegen ich gewiß nichts einzuwenden habe. Es kann diesem Porzellanjüngling bestimmt nur guttun, wenn er in eine feste, rauhe Männerhand kommt, denn die meine war zu weich und zart, wie ich jetzt leider erkennen muß. Also mag der aufsässige Bengel nur auswandern – und zwar ohne diese obskure Leila, die dem blindverliebten Narren heute wahrscheinlich die Augen öffnen wird mit grausamer Deutlichkeit. Es wird zum Bruch kommen, weil dieser Vamp den Schmuck nicht bekommen kann, nach dem er seine gierigen Krallen ausstreckt, und weil Trutz nach der heutigen Unterredung mit mir nolens volens dazu gezwungen ist, seine Verhältnisse klarzulegen. Dann kriegt er hohnlachend den Abschied und wird hier brav zu Kreuze kriechen.«
Was denn auch tatsächlich geschah. Das heißt, zu Kreuze kroch der junge Mann gerade nicht, sondern erklärte schroff und verbissen, daß er bereit wäre, Ragnilt Leinsen zu heiraten. Nun, ob so oder so – die Großmutter hatte erreicht, was sie wollte.
Am liebsten hätte sie ja ihrem einzigen Enkel, an dem ihr ganzes Herz hing, tröstend über das zerwühlte Gesicht gestreichelt, hütete sich jedoch davor, ihre Weichheit zu zeigen. Sie wußte auch, daß sie jetzt erst jedes Wort auf die Waage legen mußte, bevor sie es aussprach. Daher sagte sie behutsam:
»Es freut mich, Trutz, daß du dich zu der Hochzeit entschlossen hast. Doch bis es soweit ist, vergehen immerhin Wochen, und ich mache dir den Vorschlag, solange auf Reisen zu gehen. Alles andere leite ich hier in die Wege, es genügt, wenn du einen Tag vor der Hochzeit zurückkehrst. Aber daß es geschieht, darauf mußt du mir schon dein Wort geben.«
»Das hast du, Großmama. Darf ich nun gehen?«
»Ja. Pack deine Koffer, das nötige Geld laß ich dir durch Kilian zugehen – es wird bestimmt nicht knapp bemessen sein. Über deine jeweilige Anschrift halte mich bitte auf dem laufenden, damit ich dich jederzeit erreichen kann.
Und nun geh mit Gott, mein Junge. Glaube mir, was geschieht, ist nur zu deinem Besten, wenn du das jetzt auch noch nicht einsehen kannst und willst.«
Nun streichelte sie doch zärtlich über das Gesicht, das sich zum Abschied über ihre Hand neigte. Dann ging der junge Baron schweigend davon und fuhr eine Stunde später in seinem Wagen ab, um bei anderen Frauen die eine zu vergessen, die ihm heute hohnlachend den Abschied gab.
*
Schon Anfang Oktober fand in Brechten eine Hochzeit statt, die man glänzend bezeichnen kann. So sparsam die Baronin Swindbrecht sonst auch war, heute jedoch ließ sie die Mark rollen, wie man so sagt.
Und warum auch nicht? Die Mitgift war hoch, welche die Tochter des reichen Kaufherrn Leinsen mit in die Ehe brachte – und somit allen pekuniären Schwierigkeiten auf Brechten ein Ende setzte.
Ein zauberhaft süßes Geschöpfchen – urteilte man, als die Braut so selig lächelnd zum Altar schritt. Noch so rührend jung, noch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Die träumerischen Augen blickten so schwärmerisch zu dem Liebsten empor, als stamme das Mägdlein noch aus der Zeit von Chamissos »Frauenliebe – und Leben«. Ungefähr so: Seit ich ihn gesehen, glaub’ ich blind zu sein.
Die weltfremde, wohlbehütete Ragnilt Leinsen las tatsächlich noch derartige Gedichte, und der Held ihrer Träume war Trutz Swindbrecht. Daher hatte sie auch jubelnd zugesagt, als der Vater sie fragte, ob sie des Barons Frau werden wolle.
»Aber, Papa, wie kannst du da noch fragen! Mit tausend Freuden will ich das. Ich liebe Trutz und komme durch eine Heirat mit ihm außerdem noch nach Brechten, wo ich in den Ferien so gern weilte und jedesmal bittere Tränen vergoß, wenn ich von ihm scheiden und ins Pensionat zurück mußte. Brechten als Heimat zu haben und Trutz als Gatten dazu, das wäre beinahe zuviel des Glücks.«
»Na schön«, räusperte sich der Mann, der nie so recht gewußt hatte, was er mit der Tochter beginnen sollte. Und als sie gar noch mit zehn Jahren die Mutter verlor, gab er die Kleine in ein Pensionat und war der Baronin Hermine dankbar, daß sie ihr Patenkind während der Ferien in Brechten stets um sich haben wollte.
Und nun sollte Ragnilt dort sogar eine Heimat finden, eine Lösung, mit der Alfred Leinsen sehr zufrieden war. Da wußte er sein Kind gut aufgehoben und konnte sich sein eigenes Glück suchen, das er in der Ehe mit der Frau zu finden hoffte, der seit einigen Wochen sein Sinnen und Trachten galt.
Jetzt saß der elegante Endvierziger an der prunkenden Hochzeitstafel und dachte daran, daß er in wenigen Wochen hoffentlich an der eigenen sitzen würde. Aber an einer im trauten Separee mit der geliebten Frau ganz allein. Jung fühlte der Mann sich, so jung, als ob er zwanzig wäre. Und in diesem jugendlichen Überschwang drückte er dem Töchterchen, bevor es sich auf die Hochzeitsreise begab, ein so gutgefülltes Portemonnaie in die Hand, dessen Inhalt für zwei Hochzeitsreisen gereicht hätte – und freute sich über die strahlenden Augen seines Kindes, das sein Glück gefunden hatte, wie er auch das seine finden würde.
Und das geschah dann auch nach einem Monat, gerade an dem Tag, als die Tochter von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrte, trat der Vater die seine an – und mit wem? Mit Leila!
Zuerst starrte Hermine die Vermählungsanzeige an, als wäre sie des Lesens unkundig. Dann schob sie diese Ungeheuerlichkeit Brunhild zu, die bis in die Lippen erblaßte.
»Großer Gott«, sagte sie verstört, »und das gerade an dem Tag, an dem Trutz mit seiner Frau von der Hochzeitsreise zurückkehrt. Wie wird er das bloß aufnehmen?«
»Sicherlich weiß er es schon«, murmelte Hermine, die plötzlich müde und alt aussah, »denn Leinsen wird es wohl nicht versäumt haben, auch seiner Tochter eine Vermählungsanzeige zu schicken. Doch da höre ich bereits den Wagen vorfahren. Reiß dich zusammen, Brunhild, laß dir ja nichts anmerken.«
Fünf Minuten später begrüßten sie die Heimgekehrten – und das Herz zog sich ihnen schmerzhaft zusammen, hauptsächlich beim Anblick der blutjungen Frau. Wie strahlend glücklich war sie auf die Hochzeitsreise gegangen, und wie kehrte sie zurück? Blaß, müde und vergrämt.
Und der junge Ehemann? Der machte den Eindruck eines Menschen, der mit Gott und sich zerfallen ist.
»Da seid ihr ja«, tat Hermine erfreut, als wäre alles in schönster Ordnung. »Siehst blaß und müde aus, mein Schiepchen, wahrscheinlich hat die lange Fahrt dich angestrengt.«
»Ja, Großmama. Ich möchte am liebsten zu Bett gehen und schlafen.«
»So komm«, sagte Brundhild gütig, dabei die Schultern des erschöpften Menschenkindes umfassend, das sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Langsam gingen sie davon, und Trutz sagte hastig:
»Großmama, ich möchte dich sprechen.«
»Bitte.« Sie zeigte nach ihrem Arbeitszimmer, wo sie sich gleich darauf niederließen. Trutz in der Sesselgruppe, wo auf dem niedrigen Tisch gerade eine Flasche Kognak stand. Ehe Hermine ihn daran hindern konnte, hatte er die Flasche entkorkt, setzte sie an die Lippen und trank in vollen Zügen, bis es der entsetzten Großmutter endlich gelang, ihm die Flasche zu entwinden.
»Ja, sag mal, bist du denn ganz von Gott verlassen?«