Strong-City war eine jener kleinen Zigarrenkistenstädte, wie sie überall in diesem Land zu finden waren. Eine einzige Straße, die von etwa hundert Häusern gesäumt war, ein Saloon, ein Store, ein Blacksmith, ein winziges Sheriff-Office und Wohnhäuser, das war Strong-City in Oklahoma.
Als Wyatt vor dem Store aus dem Sattel stieg, um seinen Proviantvorrat aufzufüllen, sah er zufällig schräg gegenüber, zwischen einer Reihe von Pferden, einen Gaul, den er schon einmal gesehen hatte. Es war ein schwerer kurzleibiger Fuchs mit kantigen Sprunggelenken und ungepflegtem Fell.
Die Augen des Constablers wurden messerscharf.
Dieses Pferd gehörte dem Tramp Steve Hopkins. Jedenfalls hatte er es geritten, als er nach Lamar gekommen war.
Wyatt schlang seine Zügelleinen um den Querholm und ging langsam auf die andere Straßenseite. Auf den Stepwalks ging er weiter vorwärts, als ihn plötzlich eine krächzende Stimme anrief: »He!«
Wyatt fuhr herum.
Hinter ihm in der Tür des Sheriff-Office stand ein kleiner Mann mit hartem Gesicht, engen Augen und struppigem Grauhaar. Links auf seinem karierten Hemd blitzte der Sheriff-Stern.
Wyatt ging auf ihn zu. »Ja, Mister –?« Der Sheriff musterte den Missourier eingehend.
»Was haben Sie vor, Mann?«
Wyatt, der keinen Stern mehr trug, seit er Lamar und sein County verlassen hatte, sagte schnell, indem er sich umblickte: »Da drin im Saloon ist ein Mann, den ich suche …«
Der Sheriff nickte. Er war ein abgebrühter Mann, dessen Name vor zwei Jahrzehnten einmal weithin bekannt war. Aber heute war er alt und grau. Er war froh, dass die Stadt ihn gegen ein gutes Geld angeworben hatte. Immerhin war sein Name – Jeff Bleasdale – gut genug gewesen – die Pinney-Bande der Gegend zu verscheuchen.
»Nichts da, Brother«, sagte er hart. »Hier wird nicht geschossen!«
Der Missourier griff in seine Tasche und nahm den Marshal-Stern heraus.
Bleasdale blickte mürrisch auf das blinkende Metallstück.
»Na und? Sie sind ein Marshal aus dem Norden. Sie suchen einen Mann. Alles klar. Aber hier wird nicht geschossen. Das ist noch klarer. Ich bin Jeff
Bleasdale! Haben Sie verstanden, Marshal?«
Wyatt nickte. »All right, Sheriff. Aber wenn Sie mir schon nicht beistehen wollen, so halten Sie mich wenigstens nicht auf.«
Bleasdale knurrte: »Hier wird nicht geschossen.« Leiser fügte er hinzu: »Sie sind noch ein junger Hund. Bei Ihnen beißen die Städte leichter an. Ich bin ein alter Bock. Ich war froh, als mir der Major hier den Stern anbot. Und ich habe ihm versprechen müssen, dass kein Schuss mehr in der Stadt fällt.«
Der Missourier sah den Mann ernst an. Dann war plötzlich ein kleines Lächeln in seinen Augen.
»Ein verdammt leichtsinniges Versprechen, Bleasdale. Übrigens, ich habe viel von Ihnen gehört. Mein Vater erzählte uns von Ihnen, als ich noch ein kleiner Junge war. Damals waren Sie Sheriff in Abilene.«
Bleasdale wischte sich durchs Gesicht. »Goddam, ja, es ist wahr!« Seine raue Stimme zitterte ein wenig, als er das sagte. Irgendwo in seinem Innern war er glücklich, dass einmal ein Mann gekommen war, der wirklich etwas von ihm wusste. Der wusste, dass er, Jeff Bleasdale, einmal ein ganz Großer war. Aber sofort war diese Regung wieder verschwunden.
»Trotzdem, Brother, hier wird nicht geschossen!«, stieß er rau hervor.
Wyatt lächelte. Dann griff er nach den Revolvern.
Die Rechte des Sheriffs zuckte auch zum Colt. Und dann sah der falkenäugige Mann, dass der fremde Marshal ihm seine beiden Revolver mit den Knäufen nach vorn entgegenhielt.
Bleasdale schluckte.
»By God – du hast einen höllischen Griff, Brother. Wie heißt du?«
»Wyatt Earp.«
Der alte Sheriff hob den Kopf.
»He, warst du nicht mal in Ellsworth, oder irre ich mich im Namen?«
Wyatt grinste. »Sie irren sich bestimmt.«
Der Sheriff legte den Kopf auf die Seite. »Sollte mich wundern. Wer so schnell die Knäufe nach vorn drückt, bringt die Läufe doppelt so schnell vor. Steck deinen Stern an, Brother!«
Wyatt schüttelte den Kopf.
»No, Bleasdale. Wenn ich schon ohne Colt gehen muss, gehe ich auch ohne Stern.«
»Das geht nicht gut. Wie willst du das schaffen? Komm her! Nimm deine Eisen zurück. Du musst mir aber versprechen, dass du nicht schießt. Ich will meinen Job noch ein paar Monate behalten!«
Wyatt war schon weitergegangen. Ohne Stern und ohne Schusswaffen. Kopfschüttelnd blickte ihm der Sheriff nach.
»Wyatt Earp«, flüsterte er vor sich hin. »Yeah – das ist es! Er hat die Thompson-Brüder gestoppt. Es stand doch in den Gazetten!«
Mit den beiden Revolvern lief er hinter Wyatt her, hinter dessen Rücken eben die bastgeflochtenen Pendeltüren des Saloons zusammenschlugen.
In dem schlauchartig engen Schenkraum herrschte trübes Dämmerlicht.
An den kleinen Tischen, die beiderseits des Ganges standen, saßen nur wenige Gäste.
Und oben an der Theke lehnte der Mann, den der Missourier suchte.
Wyatt rief ihn sofort an.
»Hopkins!«
Der Bandit fuhr herum. Seine Faust zuckte zum Colt, blieb aber auf dem Knauf der Waffe hängen.
Steve Hopkins war ein hartgesottener Mann. Aber der Anblick des Constablers, von dem er in den letzten Tagen schon geträumt hatte, verschlug ihm jetzt doch die Sprache.
Wyatt ging langsam vorwärts.
Da riss Hopkins die Waffe hoch.
»Stopp! Das hat sogar bei Flanagan geklappt, Earp – ich weiß. Aber bei mir nicht. Ich schieße!«
Wyatt blieb stehen.
»Du musst ein verdammt schlechtes Gewissen haben, Hopkins. Weshalb willst du auf mich schießen?«
»Weil du verdammter Skunk mich wieder einsperren willst!«
»Weshalb will ich dich einsperren?«
»Ich weiß es nicht …, äh! Bleib stehen!«
Wyatt sprang zur Seite, rollte sich an die Tische, sprang wieder hoch und war bei dem Banditen, als er den Hahn des Revolvers knacken ließ.
Nur anderthalb Yards stand der Missourier vor dem Tramp.
Er senkte den Kopf, und der Blick seiner tiefblauen Augen fraß sich in das Affengesicht des Banditen.
»Hör zu, Steve Hopkins. Du hast zusammen mit Hal Flanagan und Bing Long die Calligan-Farm bei Lamar überfallen. Dafür wirst du bestraft werden … Wenn du jetzt aber abdrückst, hast du einen Marshal erschossen. Dafür wirst du gehängt werden. Hier in der Stadt ist mein Freund Jeff Bleasdale Sheriff. Du wirst bei ihm gut aufgehoben sein und mit mir nach Lamar zurückreiten, wenn ich Flanagan gefunden habe.«
Hopkins lachte laut auf.
»Flanagan? Wenn du glaubst, dass du ihn findest, musst du verrückt sein!« Wyatt streckte die Rechte aus.
»Gib mir deinen Colt.«
»Lass die Hand unten, Earp. Du hast gehört, dass ich die Bleispritze gespannt habe. Du siehst meinen Finger am Stecher. Ich ziehe durch!«
»Gib mir deinen Colt!«
»Ich ziehe durch!«, zischte der Bandit.
»Hopkins – die Leute hier in der Stadt haben was gegen Schießereien. Vielleicht siehst du, dass ich meine Colts nicht in den Halftern