»Es ist gut, zu wissen, daß man so umsorgt wird.«
Christine erwiderte seinen Blick. Natürlich kannte sie ihn aus dem Fernsehen, besaß einige seiner CDs und hatte etliche Berichte in der Zeitung über Frank Weilander gelesen. Doch als er jetzt vor ihr stand, da mußte sie feststellen, daß er eigentlich ganz anders war.
Nichts mehr war von ihrer Aufregung zu spüren. Der Sänger machte auf sie den Eindruck eines Menschen, genau wie du und ich. Von dem Gehabe eines Stars, von dem man immer wieder las und hörte, war bei Frank Weilander nichts zu bemerken. Christine war sicher, daß sein Aufenthalt im Löwen problemlos verlaufen würde.
Sepp bat um die Autoschlüssel, damit der Hausdiener das Gepäck des Gastes nach oben bringen könne, dann begleiteten der Wirt und Christine Salinger den Sänger auf sein Zimmer.
Es war sehr groß und behaglich eingerichtet. Zwei große Fenster gaben einen herrlichen Blick auf die Berge frei. Das bequeme Bett lud geradezu zum Schlafen ein, und das angrenzende Bad fand ein beifälliges Nicken des Gastes.
»Ich hoffe, es hat sich noch nicht allzusehr herumgesprochen, daß ich hier meinen Urlaub verbringe«, wandte Frank sich an den Wirt.
»Kein Sterbenswörtchen haben wir verlauten lassen«, versicherte Sepp Reisinger.
Auch Christine nickte.
»Sie können ganz unbesorgt sein, Herr Weilander«, sagte sie mit ihrer glockenhellen Stimme. »Das gesamte Personal hat Ihre Buchung mit Diskretion behandelt.«
Frank freute sich darüber.
»Dann reservieren Sie mir doch bitte einen Tisch, im Restaurant«, bat er. »Jetzt möchte ich mich erst einmal frisch machen und ein wenig ausruhen. Der Tag war schon anstrengend. Heute morgen noch in Hamburg, und jetzt in den Alpen – so langsam merke ich, daß ich müde werde.«
Der Hausdiener hatte das Gepäck heraufgebracht. Frank bedankte sich mit einem Trinkgeld. Schnell hatte er alles ausgepackt und in dem Kleiderschrank verstaut, dann genoß er eine ausgiebige Dusche. Nachdem er sich umgezogen hatte, bestellte er ein Kännchen Kaffee auf das Zimmer und saß dann am Fenster und schaute hinaus.
Wieso er ausgerechnet auf diesen Ort gekommen war, wußte er eigentlich gar nicht mehr zu sagen. Nachdem die Beziehung zu Silvia zerbrochen war, hatte er mit letzter Kraft die Tournee zu Ende gebracht. Dann stand für ihn fest, daß er dringend eine Auszeit nehmen mußte. Wohl wissend, daß Jürgen Bender alles andere als damit einverstanden sein würde, hatte Frank in aller Stille ein Reisebüro aufgesucht und sich beraten lassen. Das war vor zwei Wochen gewesen, als er gerade in Köln ein Konzert gab.
Was genau er suchte, konnte er gar nicht sagen. Nur daß es ein Ort sein sollte, an dem er Ruhe hatte und entspannen konnte. Der Tip des Mannes im Reisebüro war schließlich St. Johann gewesen.
»Da isset noch nit so überlaufen«, hatte er im besten Kölsch gemeint.
Als Frank jetzt aus dem Fenster sah, da war er überzeugt, den richtigen Entschluß gefaßt zu haben. Er selbst stammte aus der Nähe von Frankfurt. Vor ein paar Jahren noch hatte er eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht, doch sein schönstes Hobby war immer schon das Singen gewesen. Zu jeder Gelegenheit, auf Geburtstagen, Hochzeiten oder anderen Festen begeisterte er die Leute mit seiner Stimme. Schließlich ließ er sich dazu überreden, an einem Gesangswettbewerb teilzunehmen. Er gewann den ersten Preis – einen Vertrag mit einer renommierten Plattenfirma, mit der er immer noch zusammenarbeitete. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Schon die erste Veröffentlichung verkaufte sich rasend schnell. Zu dieser Zeit lernte Frank auch Jürgen Bender kennen. Einen alten Hasen im Musikgeschäft, der sich des jungen Talents annahm. Frank hatte keinen Grund, zu bedauern, sich Jürgen anvertraut zu haben. Im Gegenteil, durch geschickt abgeschlossene Verträge machte sein Manager ihn in kürzester Zeit zum Star am internationalen Musikhimmel, dem die Fans zu Füßen lagen, und dem es problemlos gelang, die Konzertsäle zu füllen. Vorläufiger Höhepunkt dieser Karriere war ein Auftritt im New Yorker »Madison Square Garden«, vor mehr als achttausend begeisteren Zuschauern.
Das Frank trotz dieses Erfolges »auf dem Teppich geblieben war«, dankten ihm seine Fans. Geduldig schrieb er nach den Vorstellungen Autogramme und kam den Wünschen vieler nach, ein gemeinsames Foto mit ihrem Star aufzunehmen. Er war einer zum Anfassen.
Daß er allerdings auch mal seine Ruhe haben wollte, war nur zu verständlich. Frank vermied deshalb jeden Rummel um sein Privatleben, und versuchte möglichst unerkannt zu bleiben. St. Johann schien ihm der richtige Ort, um ein paar Tage zu entspannen und über alles das nachzudenken, das ihn in der letzten Zeit beschäftigte.
Dazu gehörte in erster Linie Silvia Cosmar…
*
Christine Salinger saß im Personalraum und gönnte sich eine kleine Erholungspause, als Franzi Sander eintrat.
»Na, wie ist er denn, unser ›Superstar‹«, fragte die Kollegin mit einem Schmunzeln.
Christine legte ihren Kopf zurück. Tatsächlich hatte sie in den letzten Minuten unablässig an Frank Weilander denken müssen.
»Gar net so, wie man sich einen berühmten Star vorstellt«, antwortete sie. »Eher viel einfacher und bescheiden. Wenn man ihm gegenübersteht, möcht’ man gar net glauben, daß so einer eine bekannte Persönlichkeit ist. Der Herr Weilander kann sich bestimmt alles kaufen, mit seinem Geld, aber man merkt ihm gar net an, daß er so reich ist.«
Franzi hatte sich auf einen Stuhl gesetzt. Forschend betrachtete sie die Kollegin.
»Hoppla, du gerätst ja richtig ins Schwärmen«, meinte sie. »Hast’ dich am End’ gar in ihn verliebt?«
Die Haustochter blickte die andere verblüfft an.
»Schmarr’n«, entgegnete sie. »Wie kommst’ denn auf so was? Der Herr Weilander ist für mich ein Gast, wie jeder and’re auch. Wieso sollt’ ich mich in den verlieben?
Außerdem – das wär’ wohl eine einseitige Liebe. So einer, wie der, kann doch jede Frau haben. Da wird er sich net grad’ mich aussuchen.«
»Na, na«, wiegelte Franzi ab, »nun stell’ mal dein Licht net unter den Scheffel. Bei deinem Aussehen fliegen doch die Burschen auf dich.«
Damit hatte sie nicht ganz unrecht. Christine war wirklich eine ausgesprochen schöne, junge Frau. Das hübsche Gesicht wurde von dunklen Haaren umrahmt. Darin leuchteten ihre Augen, und stets hatte sie ein Lächeln auf den Lippen. Ständig schien sie gute Laune auszustrahlen, tatsächlich gab es kaum etwas, das ihr den Tag verdrießen konnte. Da war es wirklich kein Wunder, daß sie mehr Verehrer hatte, als ihr lieb war.
Christine stammte aus Engelsbach. Nach der Schule hatte sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht und hinterher in verschiedenen Häusern gearbeitet. Die Liebe zur Heimat war ausschlaggebend gewesen, daß sie, nach beinahe zwei Jahren in München, wieder dorthin zurückgekehrt war. Sie hatte die Wahl gehabt, zwischen einer lukrativen Stelle in einem norddeutschen Badeort an der Ostküste und der nicht ganz so gut bezahlten Position im Löwen. Nach reiflicher Überlegung sagte sie sich, daß Geld nicht alles sei, und nahm das Angebot aus St. Johann an.
So war sie nicht nur wieder in der Heimat, sie konnte auch ihr altes Zimmer, im Haus der Eltern, wieder beziehen, die sich freuten, ihre Tochter wieder bei sich zu haben.
»Was du denkst«, wiegelte sie ab.
Franzi indes schmunzelte still in sich hinein.
Sie war zwei Jahre jünger als Christine und sah in der Älteren so etwas wie ein Vorbild. Tatsächlich hatte sie von ihr einiges lernen können, und nicht zuletzt war es dieser Hilfe zu verdanken, daß Franzi ihre Prüfung mit der Bestnote abschloß. Von Anfang an verband die beiden eine enge Freundschaft. Franzi wohnte ebenfalls bei ihren Eltern, die in der Nähe von St. Johann einen Bauernhof besaßen, den der ältere Bruder eines Tages übernehmen sollte. Das junge Madel war, ganz im Gegensatz zu Christine, aber bereits gebunden. Seit der Schulbank liebte sie Tobias Ender, mit dem sie seit einem Jahr verlobt war.
Christine