Achtzehn Jahre war sie gerade geworden, als sie ihre Stelle auf dem Hochberghof antrat. Seitdem waren sieben Jahre vergangen, und hier hatte sie nicht nur Arbeit gefunden, der Hof war ihr auch zur Heimat geworden. Die Aussicht, ihn jetzt verlassen zu müssen, stimmte die junge Frau traurig.
Aber da war auch noch etwas anderes. Wie ein Blitz hatte die Liebe eingeschlagen, aber Hoffnung, daß sie sich auch erfüllen würde, gab es nicht.
*
»Wissen Sie eigentlich, warum mein Onkel nie geheiratet hat?« erkundigte sich Felix Thorwald auf der Rückfahrt nach St. Johann.
»Na ja, es hat da wohl mal ein Madel gegeben, an das Franz Bachmann sein Herz verlor«, erzählte Sebastian. »Ihr Onkel hat sich net oft in meiner Kirche sehen lassen. Dafür hab’ ich ihn um so öfter besucht. Wir haben dann immer schöne Gespräche geführt, und einmal hat er mir anvertraut, daß das Madel, von dem ich eben sprach, einen anderen Burschen ihm vorgezogen hat. Seitdem wollt’ er sich net mehr binden. Wahrscheinlich hatte er Angst, nochmals enttäuscht zu werden.«
Nach dem Kaffeetrinken waren sie in das Wohnzimmer gegangen, und der Geistliche hatte dem neuen Hofbesitzer alle erforderlichen Unterlagen gezeigt.
Die Bankauszüge waren alles andere als erfreulich, und das, was noch an Bargeld vorhanden war, reichte gerade mal die nächsten drei Monate, um die Löhne für Maria und Florian zu zahlen und die Betriebskosten für den Hof zu decken. Von einem Überschuß für die notwendigen Reparaturen konnte keine Rede sein.
Jetzt, im Auto, überlegte Felix, ob er nicht doch zu voreilig gewesen war. Auf dem Hof lastete eine nicht unerhebliche Hypothek, und er hatte mit seinem Erbe auch die Schulden übernommen. Wenn er wirklich die Absicht hätte, ein neues Leben als Bauer zu beginnen, dann würde er dringend die Unterstützung eines landwirtschaftlichen Unternehmensberaters brauchen, der eine betriebswirtschaftliche Analyse erstellte, und spätestens bei der Durchsicht der Bücher abgewinkt haben würde.
Als absoluter Laie hatte Felix überhaupt keine Chance, jemals einen Gewinn zu erwirtschaften. Selbst wenn er lernfähig war und in Florian einen tüchtigen Meister haben würde, alleine konnten sie es nicht schaffen, den Hochberghof wieder auf die Beine zu bringen.
Damit war die Sache im Grunde schon entschieden. Er würde sich nach einem Käufer umsehen und dann schleunigst in die Staaten zurückkehren.
Im Pfarrhaus wurden sie von einem köstlichen Duft empfangen, der aus der Küche in den Flur drang. Sophie Tappert stand am Herd und kochte.
»Das riecht ja wunderbar«, sagte Felix zu seinem Gastgeber.
Im Eßzimmer war bereits gedeckt. Max öffnete eine Weinflasche. Sebastian machte seinen Bruder und den Gast miteinander bekannt.
»Wir können schon anfangen«, rief die Haushälterin und trat kurz darauf, mit einem Tablett in der Hand, ins Eßzimmer.
Darauf standen Tassen, gefüllt mit einer hellen Cremesuppe, die leicht nach Knoblauch duftete.
»Sagen Sie nicht, das wäre Bärlauchsuppe«, lachte Felix. »Die gab’s zu Hause immer. Im Frühjahr.«
»Gut geraten«, schmunzelte Sophie Tappert. »Eigentlich ist die Saison schon lang’ vorbei. Aber ich frier’ immer einen großen Vorrat ein.«
Der köstlichen Suppe folgte ein gebratenes Perlhuhn, dessen Füllung aus einer Semmelmasse bestand, die sonst auch für die Herstellung von Knödeln genommen wurde. Die Rahmsauce hatte die Perle des Pfarrhaushalts mit einem guten Stück Portwein verfeinert, und der bunte Salat stammte natürlich aus dem Pfarrgarten.
»So gut habe ich lange nicht mehr gegessen«, lobte Felix zwischendurch. »Wissen Sie, drüben in den Staaten, da stelle ich mir abends schnell ein Fertiggericht in die Mikrowelle, und tagsüber bestellen wir meistens etwas bei einem Lieferservice. Wenn wir im Büro sitzen, bleibt keine Zeit, essen zu gehen.«
Sophie Tappert hatte vor Grausen das Gesicht verzogen, als sie das Wort Mikrowelle hörte. Ihr Stolz als Haushälterin hätte niemals zugelassen, daß so ein Gerät in ihre Küche käme.
Das waren ja schöne Sitten da in Amerika. Da konnte man nur dankbar sein, daß man in einem Land lebte, in dem auf eine hohe Eßkultur noch Wert gelegt wurde.
Der Gast im Pfarrhaus staunte indes, wieviel der Bruder des Geistlichen essen konnte. Während alle anderen ihre Bestecke schon aus der Hand gelegt hatten, ließ Max es sich immer noch schmecken. Dabei zeigte sich an seinem Körper nicht ein einziges Gramm Fett. Im Gegenteil, der junge Polizist war genauso schlank wie Pfarrer Trenker.
Das denkwürdige Abendessen wurde mit einem Dessert beschlossen, das im Pfarrhaus immer wieder großen Anklang fand – es war ein Obstsalat aus frischen Früchten, den Sophie Tappert mit einer Spur frisch geriebenen Ingwers würzte.
Nach dem Essen verabschiedete Max sich bald mit dem Hinweis, daß in seinem Büro noch Arbeit auf ihn wartete. Sebastian und sein Gast setzten sich nach draußen. Es war mild, und die Sonne schickte sich gerade erst an, unterzugehen.
»Bestimmt werden S’ heut’ net so spät schlafen geh’n«, meinte der Bergpfarrer. »Es liegen ja ereignisreiche Stunden hinter Ihnen, Herr Thorwald.«
Der junge Mann nickte.
»In der Tat, und langsam spüre ich auch, wie müde ich bin«, antwortete der frischgebackene Bauernhofbesitzer.
»Morgen sollten wir dann allerdings recht früh in die Stadt fahren und beim Nachlaßgericht vorsprechen«, schlug Sebastian vor. »Übermorgen können wir dann vielleicht einen Aufstieg in Augenschein nehmen. Was halten S’ davon?«
»Sehr gern, Hochwürden«, nickte Felix begeistert. »Ich möchte mich aber erst einmal bei Ihnen für alles bedanken. Nicht nur für das, was Sie für mich tun, sondern auch für meinen Onkel getan haben. Ich glaube, im Grunde war er ein sehr einsamer Mann, und Ihre Besuche und die Gespräche mit Ihnen müssen ihm sehr viel bedeutet haben. Sonst hätte er sich Ihnen nicht so anvertraut.«
Der junge Mann trank sein Glas aus.
»Allerdings ist es auch nicht schwer, sich Ihnen zu offenbaren«, lächelte er. »Ich bin wirklich froh, Sie kennengelernt zu haben, und ich möchte Sie bitten, mich beim Vornamen zu nennen.«
»Sehr gern«, freute sich der Geistliche über das Angebot.
Als Felix bald darauf in seinem Bett lag, da ließ er die Ereignisse der letzten Stunden noch einmal Revue passieren.
Ich habe einen Bauernhof, dachte er schmunzelnd. Wer hätte das jemals gedacht?
Vielleicht sollte er es mit Humor nehmen. Aber gleichzeitig wurde ihm wieder die Verantwortung bewußt, die er auf sich geladen hatte.
Einmal kurz spielte er es in Gedanken durch.
Er verdiente als Computerexperte viel Geld. Mehr als er ausgeben konnte. Einen Großteil hatte er in sichere Aktien angelegt, und die Dividende vergrößerten sein Vermögen. Bei jeder Bank würde er darauf ein Darlehen bekommen. Geld, das für den ma-roden Bauernhof die Rettung bedeuten konnte.
Andererseits wäre eine solche Entscheidung ein totaler Schnitt in seinem Leben.
Wollte er das wirklich?
Felix richtete sich im Bett auf und schaltete die kleine Lampe daneben ein. Die junge Frau und der Knecht kamen ihm in den Sinn. Wenn er den Hof verkaufte, standen sie auf der Straße.
Aber mußte er sich wirklich um sie Gedanken machen? Jeden Tag wurden Leute entlassen und waren gezwungen, sich nach einer anderen Arbeit umzusehen. So hart es für den Betreffenden auch sein mochte.
Seufzend löschte er das Licht und legte sich wieder in das Kissen. Das Gesicht der Magd stand plötzlich vor ihm, und Felix dachte gleichzeitig an Eileen, die hübsche, junge Kollegin aus der anderen Abteilung, mit der er einige Male ausgegangen war. Aber irgendwie gelang es ihm nicht, sie sich bildlich vorzustellen. Maria konnte er klar und deutlich