»Trotzdem hab’ ich ein Hühnchen mit Ihnen zu rupfen, Doktor.«
»Was ist denn jetzt noch los?« stöhnte Jörg Urban.
»Was los ist? Meine Magd wollen S’ mir fortnehm’n. Das ist los.«
Der junge Tierarzt zog Christine wieder an seine Seite.
»Tja, ich fürcht’, da werden S’ klein beigeben müssen, Wendlerbauer«, schmunzelte er. »Dieses Madl geb’ ich net mehr her.«
»Aber ein bissel bleib’ ich noch«, tröstete die Magd Xaver. »So schnell heiraten wir net.«
»Aber zu lang will ich auch net mehr warten«, warf Jörg ein und beugte sich zu ihr, um sie zu küssen.
»Also, wenn’s dann soweit ist, dann wird aber hier, auf dem Hof, gefeiert«, bestimmte Xaver Wendler lachend.
Felix Thorwald fuhr das Auto in die Garage und blieb einen Moment sitzen. Knapp zwei Stunden Autofahrt lagen hinter ihm, und das nur für den Weg von seiner Arbeitsstätte zurück nach Hause. Kaum mehr als vierzig Kilometer, doch im abendlichen Berufsverkehr eine wahre Tortur.
Der junge Deutsche bewohnte ein Haus in Rankton, einem kleinen, beschaulichen Ort im Bundesstaat New York. Die Firma, für die der Computerspezialist arbeitete, hatte ihren Sitz direkt in der Millionenmetropole. Jeden Tag war es das gleiche Spiel – zwei Stunden hin zur Arbeit, zwei Stunden wieder zurück. Felix hatte schon oft überlegt, ob er sich nicht ein Apartment direkt in der Stadt, in der Nähe seines Arbeitsplatzes, suchen sollte. Doch ihm gefielen die Ruhe und das beinahe träge Leben Ranktons, im Gegensatz zu dem Tag und Nacht hektischen New York, und er nahm lieber die Anstrengung der täglichen Fahrerei in Kauf.
Seufzend stieg er aus. Das Garagentor schloß er mit der Fernbedienung. Ein Nachbar stand im Garten und sprengte den Rasen. Seit einem Monat hatte es kaum richtig geregnet, und Rasen und Pflanzen saugten das Wasser förmlich auf.
Felix winkte dem Gärtner einen Gruß zu und nahm die Post aus dem Briefkasten. Einen Stapel Umschläge unter den Arm geklemmt, den Aktenkoffer in der Hand, schloß er die Haustür auf und betrat den angenehm kühlen Flur.
Die Klimaanlage summte leise. Der Junggeselle nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und setzte sich ins Wohnzimmer.
Es war mit modernen, amerikanischen Möbeln eingerichtet, nur ganz wenige Stücke, meist Bilder und Figuren, erinnerten an die deutsche Abstammung des Hausbewohners. Darunter das gerahmte Foto zweier älterer Leute. Mann und Frau, die ihre Silberhochzeit feierten.
Felix sah die Post durch. Das meiste davon waren irgendwelche Reklameschreiben, eine Arztrechnung und ein Kuvert, das sein Interesse hervorrief.
Der Absender war eine Rechtsanwaltskanzlei aus New York.
Der junge Deutsche überlegte. Schreiben von Rechtsanwälten bedeuteten in der Regel nichts Gutes. Meistens handelte es sich um Schadenersatzforderungen, die ungleich höher waren als in Deutschland. Immer bewegten sie sich im Millionenbereich.
Da er sich aber nicht bewußt war, irgendwem geschadet zu haben, riß Felix den Umschlag auf, nahm das Blatt Papier heraus und las.
Mit jeder Zeile wurden seine Augen größer.
»Das gibt’s doch gar nicht«, murmelte er im Selbstgespräch und las den Brief noch einmal.
Schließlich ließ er das Papier sinken und schaute auf das Foto seiner Eltern. Vor sechs Jahren war der Vater verstorben, die Mutter folgte ihrem Mann ein Jahr später.
Wer sollte ihm also etwas vererben?
Er las das Schreiben ein drittes Mal. Aber alles schien seine Richtigkeit zu haben. Sein Name und die Adresse stimmten, das Anwaltsbüro kannte er, zumindest dem Namen nach.
Oder wollte sich da jemand auf seine Kosten einen Scherz erlauben?
Im ersten Moment kam ihm Steve Fieldman in Verdacht. Sie arbeiteten zusammen in der Computerfirma, teilten sich dort das Büro. Steve war für seine Späße berühmt und gefürchtet, aber so geschmacklos würde er wohl doch nicht sein.
Felix steckte den Brief in seinen Aktenkoffer, bereitete sich ein kleines Abendessen zu und sah sich dann ein Footballspiel im Fernsehen an. Doch er merkte schnell, daß er sich nicht auf das Geschehen auf dem Spielfeld konzentrieren konnte. Immer wieder schweiften seine Gedanken zu dem Schreiben des Anwalts ab. Schließlich nahm er es wieder aus dem Aktenkoffer und las es erneut.
Bitte ich Sie, in einer
Erbschaftsangelegenheit in
meinem Büro vorzusprechen
stand dort schwarz auf weiß.
Wer um alles in der Welt war der geheimnisvolle Erblasser?
Außer ihm gab es doch keine lebenden Verwandten der Familie Thorwald mehr.
*
»Doch, Mister Thorwald«, sagte Jack Benson mit einem Lächeln, »es gab noch einen Onkel, der vor ein paar Wochen verstorben ist. Es handelt sich um Franz Bachmann, einen Halbbruder Ihrer Mutter.«
Der Rechtsanwalt hatte Felix in seinem Büro, in der zweiunddreißigsten Etage eines Hochhauses empfangen. Sie saßen in bequemen Sesseln, und eine freundliche Sekretärin hatte Wasser und Kaffee serviert.
Der Anwalt trank einen Schluck.
»Kannten Sie Ihren Onkel nicht?« fragte er und stellte die Tasse wieder ab.
Deutlich konnte er sehen, daß es hinter der Stirn seines gutaussehenden Besuchers arbeitete, als Felix Thorwald krampfhaft versuchte, sich an Onkel Franz zu erinnern.
Allerdings mußte er dazu in Gedanken sehr tief in die Vergangenheit eintauchen.
»Doch«, nickte er schließlich, »zumindest erinnere ich mich dunkel an ihn. Wissen Sie, Mister Benson, meine Mutter hat nie viel von ihrer Familie gesprochen. Mein Vater hat mir einmal erzählt, daß es da mal etwas gegeben hat, eine Art Familienstreit oder so. Genaues weiß ich nicht. Wie gesagt, es wurde nie viel darüber gesprochen.«
»Sie stammen aus München?«
Felix nickte.
»Ja. Jedenfalls aus der Nähe.«
»Und der Ort, wo Ihr Onkel gelebt hat, heißt Sankt Johann. Ich habe, nachdem mich die deutsche Botschaft beauftragt hat, nach Ihnen zu suchen, ein bißchen im Internet gestöbert. Sankt Johann liegt in den Alpen, an der Grenze zu Österreich. Ich muß sagen, ein sehr hübsches kleines Dorf.«
Er schmunzelte.
»Sie wissen ja, wir Amerikaner stehen sehr auf alles Bayerische.«
Er trank erneut.
»Also, um es kurz zu machen: Vor vierzehn Tagen erreichte mich ein Fax aus München, ein deutscher Kollege beauftragte mich, Nachforschungen nach Felix Thorwald anzustellen, zum Zwecke, ihn von einer Erbschaft in Kenntnis zu setzen. Über die deutsche Botschaft gelang es mir, Ihre Adresse ausfindig zu machen, und nachdem ich Ihren Paß mit meinen Unterlagen verglichen habe, kann ich feststellen, daß Sie der gesuchte Felix Thorwald sind. Sie haben geerbt. Meinen Glückwunsch.«
Felix schluckte. Es war also kein dummer Scherz gewesen. Er hatte wirklich und wahrhaftig geerbt.
Aber was?
»Ihr Onkel war Farmer, also Bauer, wie es in Deutschland heißt. Er hinterläßt Ihnen seinen Hof mitsamt dem dazugehörigen Land, Vieh und Mobiliar.
Neben meinen Glückwunsch, den ich schon übermittelt habe, bleibt mir nur noch, Sie zu fragen, ob Sie bereit sind, die Erbschaft anzutreten.«
In dem markanten Gesicht des jungen Deutschen zuckte es. Beinahe hilflos hob er die Hände und ließ sie ratlos wieder fallen.
»Ich… ich weiß nicht«, antwortete er schließlich. »Was soll ich mit