Und sie war nicht Kelly MacCready, sondern Kelly Mortimer, die beinahe eine Kelly Adams geworden wäre, wenn das Schicksal sie nicht davor bewahrt hätte.
Ja, es war ganz merkwürdig, doch plötzlich tat es nicht mehr weh, und sie begann es zu genießen, frei und offen für Neues zu sein.
Neues?
Jonathan hatte es gesagt, und einen Augenblick lang hatte sie es geglaubt, da hatte es ihr gefallen. Doch hier, an diesem Platz, der ihr besonders gut gefiel, war sie plötzlich verunsichert, weil sie nicht in eine Falle hineinlaufen wollte.
Eine Falle in Form von Gedanken, die ihr vorgaukelten, hier könne der Platz für sie sein, den das Schicksal für sie vorgesehen hatte.
Das war doch verrückt!
Sie musste weitergehen, unbedingt, und sie musste vor allem diesen Platz verlassen, der wie eine Droge für sie war, die ihr eine Welt der schönen Bilder vorgaukelte, ohne die Realität mit einzubeziehen.
Was so ein alter Grabstein doch nicht alles auslösen konnte!
Kelly wollte die Terrasse verlassen, als sie bemerkte, dass in eine der Stufen eine Metallplatte eingelassen war, verwittert, angerostet, kaum lesbar.
Kelly hatte Mühe, die Worte zu entziffern und die darunterstehende Jahreszahl. Doch als sie wusste, was da stand, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Kelly und Gordon forever. Der Jahreszahl war zu entnehmen, dass Kelly MacCready gerade mal zwanzig Jahre alt gewesen war, als sie sich mit ihrem Gordon für diese Tafel entschieden hatte, im Überschwang der Gefühle und als Symbol für die Ewigkeit.
Sie hatten danach gerade mal fünf Jahre gehabt, nicht viel für zwei Menschen, die sich in inniger Liebe zugetan gewesen waren.
Kelly holte ein Taschentuch hervor, putzte die kleine Tafel blank.
Dann fuhr sie, wie sie es auch bei dem Grabstein bereits getan hatte, instinktiv über die Buchstaben.
Nun wusste sie noch ein wenig mehr. Gordon war ihr Liebster gewesen. Ob es im Haus wohl Bilder von ihnen gab? Wie mochten sie ausgesehen haben? Forever … Für immer … Kelly seufzte.
Die Beiden waren um ihr Leben betrogen worden, um ihr gemeinsames Glück. Das Leben konnte manchmal wirklich sehr ungerecht sein. Auch wenn es ihr schwerfiel, weil sie sich von nichts losreißen konnte, ging Kelly weiter.
Gerade als sie um die Ecke bog, hörte sie das Herannahen eines Autos.
Um Gotteswillen! Darum hatte sie sich weder Gedanken gemacht, dass sie einfach so in die Intimsphäre eines Menschen eingebrochen war, noch hatte sie mit jemandem gerechnet.
Schon gar nicht, nachdem sie vorher für eine ganze Weile das Gefühl hatte, allein auf der Welt zu sein, allein mit sich, ihren Gedanken, und einem nicht zu beschreibendem Gefühl von Angekommensein.
Sie musste sich entschuldigen, erklären, weswegen sie hier war, und sie würde den Besitzer sofort zu dem Grabstein führen.
Sie hatte in dem Augenblick den Parkplatz erreicht, als ein Geländewagen direkt neben ihrem Auto hielt.
Kelly hatte keine Ahnung, was sie erwartet hatte. Doch wenn dieser unsympathische Mann der Besitzer dieses Anwesens sein sollte, dann hatte sie mit ihren Vorstellungen total daneben gelegen.
Er war kaum ausgestiegen, als er sie anblaffte.
»Also, solche Alleingänge gehen ja schon überhaupt nicht«, er sah nicht nur unsympathisch aus, so klang auch seine Stimme.
Ehe sie ihm etwas erklären konnte, stiegen drei weitere Personen aus dem Auto aus, zwei Männer und eine Frau. Von den drei Personen waren zwei offenbar ein Paar, der andere Mann begann sofort wie entfesselt zu fotografieren.
Der Mann und die Frau waren sich über etwas nicht einig, begannen leise zu diskutieren, was der Unsympathische zum Anlass nahm, sich Kelly zu nähern.
»Wenn Sie schon mal hier sind, können Sie meinetwegen bleiben und sich den Schuppen mit ansehen. Doch ich sage Ihnen direkt, ich bestehe, sollte es zu einem Kauf kommen, auf Zahlung meiner Provision. Ich habe den Alleinauftrag, verstanden? Und einfach schon mal herkommen, um dann eventuell hinter meinem Rücken mit Mr MacCready zu mauscheln, das geht überhaupt nicht. Vertrag ist Vertrag, und den hat Bradley unterschrieben.«
Kelly versuchte, sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
Dieses Paradies hier sollte verkauft werden?
Und dann an diese grässlichen Leute?
Dieses gestylte gelockte Wesen passte doch überhaupt nicht hierher, der Ehemann sah auch nicht so aus, als könne er sich in dieser Abgeschiedenheit wohlfühlen, und Kelly bekam sehr schnell den Grund mit, weswegen die Beiden hier waren.
Sie hofften, »The Seagull« zu einem Schnäppchenpreis erwerben zu können, um es dann mit Gewinn wieder zu verkaufen. Und der andere Interessent?
Hätte Kelly nicht mitbekommen, dass er unter Umständen auch kaufen wollte, wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei ihm um einen Fotografen handelte, der von den unglaublichen Motiven nicht genug vor seine Kamera bekommen konnte.
Kellys Gedanken überschlugen sich, nachdem sie sich von dem Schock erholt hatte, dass dieses Anwesen verkauft werden sollte.
War es nicht ein Zeichen, dass sie ausgerechnet jetzt hierhergekommen war?
Sie würde auf jeden Fall mit hineingehen und so tun, als bekunde sie Kaufinteresse.
Sie war gespannt zu sehen, wie es Innen aussah und hoffte auf Bilder von Kelly und Gordon.
»Von wem haben Sie erfahren, dass das hier verkauft werden soll? Der Besitzer bat um Diskretion, und daran habe ich mich gehalten. Also, wer hat es Ihnen verraten, jemand aus meinem Büro? Also, wenn das so war, dann fliegt diejenige natürlich sofort. Ich lasse mir meinen guten Ruf nicht kaputtmachen. Wer war es?«
Kelly gab zu, zunächst ohne Kaufabsichten heraufgekommen zu, sein, weil dieses Haus ihr Interesse geweckt hatte. Doch nun wolle sie es sich auf jeden Fall ansehen, um es eventuell zu kaufen.
Der Makler grinste sie geradezu unverschämt an.
»Junge Frau, es handelt sich hier nicht um den Kauf eines Schokoriegels, den man so nebenbei mitnimmt, sondern um etwas mit einem ordentlichem Preis. Tut mir leid, setzen Sie sich in Ihr Auto, fahren Sie wieder herunter. Ich kann mich mit Ihnen nicht aufhalten, und ich lasse Sie schon gar nicht mit ins Haus gehen, nur, damit Ihre Neugier befriedigt wird.«
Er nickte ihr zu. »Guten Tag, meine Dame.«
Das war unverschämt, und Kelly war so wütend, dass sie ihm am liebsten eine Ohrfeige gegeben hätte. Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Sie richtete sich auf, und eine ihrer positiven Eigenschaften war, dass sie mit dem Geld ihrer Eltern, das sie einmal erben würde, niemals prahlte.
»Ich bin Kelly Mortimer, und ich kann dieses Haus hier, was immer es auch kosten mag, aus der Portokasse bezahlen.« Er schnappte nach Luft, griff mit seinen dicken Fingern der rechten Hand an seinen viel zu eng sitzenden Hemdkragen.
Auf seiner Stirn hatten sich feine Schweißperlen gebildet, und er drohte jeden Augenblick zu kollabieren.
Fast konnte er einem leid tun!
»Mortimer …«, krächzte er mit einer ihm kaum gehorchenden Stimme, »von Mortimer Steel.«
Kelly nickte hoheitsvoll. »Genau, der Inhaber ist mein Vater. Nachdem das nun geklärt ist, kann ich doch wohl davon ausgehen, mir das Haus auch von Innen ansehen zu dürfen? Und ein Exposé hätte ich auch gern.«
Auf einmal war alles sehr einfach, dieser Makler kümmerte sich kaum noch um die anderen Interessenten, weil er einen Goldfisch an der Angel hatte, der sich nicht um Finanzierungen kümmern musste, sondern, wenn es erforderlich war, den Kaufpreis auch bar auf den Tisch legen konnte.
Es war widerlich!
Kelly hatte immer wieder mit Menschen zu tun, die Speichellecker