Sie genehmigte sich noch ein zweites Gläschen Wein, aß ihren Salat, und dann machte sie es sich mit einem ihrer neu erstandenen Bücher bequem.
Den Reiseführer legte sie beiseite, ohne in ihm geblättert zu haben.
Noch einmal …, es war vorbei, hatte sie nicht mehr zu interessieren. Das sagte sie sich immer wieder, beinahe wie ein Mantra, vor …
In der Nacht schlief Kelly schlecht, wurde von wirren Träumen gequält.
Sie sah Männer am Strand, die den Grabstein abtransportieren wollten.
Sie warf sich dazwischen, weil sie das nicht zulassen konnte, doch die Männer drängten sie einfach beiseite.
Einer von ihnen erklärte ihr, dass man mit dem Stein viel Geld verdienen könne, weil er etwas ganz Besonderes sei, und wer ihn besitze, sei auch gleichzeitig der Besitzer des Hauses auf den Klippen.
Sie schrie den Männern verzweifelt zu, dass das Haus Bradley MacCready gehöre, und der sei ihr Bräutigam.
Dann sah sie sich als Braut, die in einem weißen Kleid mit wehendem Schleier über die Klippen lief, völlig verzweifelt, weil Kelly MacCready ihr gesagt hatte, sie könne Bradley nur heiraten, wenn sie ihren Grabstein zum Haus auf den Klippen brächte.
Doch die Männer waren mit dem Stein verschwunden, und Kelly wusste, dass jetzt alles verloren war.
Sie wurde von ihrem eigenen Schluchzen wach, und sie war so aufgewühlt, so durcheinander, dass es erst einmal eine ganze Weile dauerte, bis sie sich zurechtfand und begriff, dass es ein Traum gewesen war, nichts als ein Traum.
Sie richtete sich auf, wischte ihre Tränen weg, versuchte, sich den Traum in die Erinnerung zu bringen, was ihr schließlich stückchenweise gelang und noch mehr verwirrte.
Was für ein Traum!
Wie sollte man das deuten?
Sie kannte Bradley MacCready überhaupt nicht, wusste nicht, ob er jung oder alt, verheiratet oder ledig war.
Und mit ihm hatte sie sich eigentlich überhaupt nicht beschäftigt, sich nur gewundert, warum er dieses Traumanwesen verkaufen wollte.
Ihn nun in ihren Träumen als ihren Bräutigam zu sehen, war schon recht kühn. Und dann Kellys Auftritt … Sie brachte nichts zusammen, zumal sie mit dieser ganzen Geschichte doch bereits innerlich abgeschlossen hatte und sogar schon so weit gekommen war, ihre Zelte hier abzubrechen und wieder nach Hause zu fahren.
Und nun? Was hatte das zu bedeuten? Sollte es ein Zeichen sein?
Oh nein! Nicht das schon wieder.
Kelly stand auf, trank ein Glas Wasser, stellte sich ans Fenster, blickte hinauf in den Sternenhimmel und wünschte sich geradezu verzweifelt eine Sternschnuppe herbei, um sich wünschen zu können, dieser Spuk möge für alle Zeiten vorbei sein.
Sternschnuppen segelten nicht vom Himmel, wenn man es gerade haben wollte.
Kelly setzte sich in ihren Sessel, lehnte sich zurück, dachte noch einmal an den merkwürdigen Traum.
Sie versuchte, ein wenig Klarheit in das ganze Gewirr zu bringen, und schließlich kristallisierte sich nur eines heraus, und das war …, der Grabstein!
Was in ihrem Traum darum gerankt war, war bedeutungslos. Aber was auf einmal eine ungeheure Bedeutung für sie hatte, war der Gedanke, ihn in Sicherheit bringen zu müssen.
Ja, das war es.
Sie stand auf, stellte ihr Glas ab, dann handelte sie wie in Trance, zog ihr Sleepshirt aus, schlüpfte in eine Jeans, zog einen leichten Pulli an, Sneakers, ehe sie den Raum verließ steckte sie, warum auch immer, ihren Autoschlüssel in die Hosentasche, dann schlich sie hinaus, blickte sich vorsichtig um, lauschte.
Es war nichts zu sehen und zu hören.
Vermutlich schliefen die feierlustigen jungen Leute gerade ihren Rausch aus, und auch Rosalind lag, nach getaner Arbeit, erschöpft in ihrem Bett und schlief den Schlaf der Gerechten.
Im »Crown« schloss man aus lauter Bequemlichkeit die Haustür nicht ab, denn hier oben gab es eine Verbrecherquote, die bei Null lag.
Rosalind hatte ihr erzählt, dass hier und auch in der näheren Umgebung noch niemals eingebrochen worden war.
Davon profitierte Kelly jetzt, denn sonst hätte sie noch einmal nach oben gehen müssen, um den Schlüssel zu holen.
Sie ging hinaus, blieb für einen Moment stehen, um die würzige Nachtluft tief einzuatmen.
Es war verrückt, absolut verrückt, was sie da plante, doch sie konnte nicht anders.
Sie rannte leichtfüßig zu den Klippen, lief den Weg hinunter zum Strand, gegen den in schöner Monotonie die Wellen schlugen, um dann sanft im Sand auszurollen.
Es war still, außer den Geräuschen, die das Wasser verursachte, war nichts zu hören.
Für einen Moment blieb Kelly stehen, blickte aufs Wasser, das sich irgendwo im Dunkel der Nacht verlor.
Auch wenn es nur ein Trugschluss war, hatte sie das Gefühl, dem Himmel ganz nah zu sein, und als sie die so heiß herbeigesehnte Sternschnuppe doch noch sah, war sie so überrascht davon, dass sie doch tatsächlich vergaß, sich etwas zu wünschen. Als es ihr einfiel, war die Sternschnuppe längst verglüht.
Sie wandte sich ab, lief den Strand entlang und fragte sich unaufhörlich, was sie da tat, ob sie den Verstand verloren hatte.
Sie hatte darauf keine Antwort, sie wusste nur, dass sie handeln musste.
Sie durfte den Grabstein nicht hier liegen lassen.
Dass ihn die Männer aus dem Traum stehlen könnten, kam ihr nicht in den Sinn.
Nein, dass sie so und nicht anders handeln durfte, hatte mit überhaupt nichts etwas zu tun.
Das letzte Stückchen lief sie, und sie atmete erleichtert auf, den Stein genau da vorzufinden, wo sie ihn deponiert hatte.
Es war verrückt!
Natürlich war es das.
Wie oft hatte sie sich das eigentlich schon gesagt oder gefragt?
Darauf hatte Kelly keine Antwort.
Auch nicht darauf, wo ihr Verstand wieder geblieben war. Sie war doch so klar gewesen, hatte gewusst, was zu tun sei.
Und nun?
Nun geisterte sie mitten in der Nacht an einem dunklem, menschenleerem Strand herum, um einen alten Grabstein in Sicherheit zu bringen.
Kelly zerrte den Stein von dem Felsbrocken, ließ ihn vorsichtig in den Sand fallen. Ein ganz schöner Kraftakt. Und nun? Wie sollte es weitergehen? In Sicherheit bringen, schön und gut. Dazu brauchte man einen Plan oder zumindest Helfer. Sie hatte beides nicht.
Aber sie hatte plötzlich eine ungeheure Energie. Sie packte den Stein, zerrte ihn durch den nassen Sand.
Das war nicht einfach, aber immerhin machbar, und es dauerte.
Kelly machte zwischendurch immer wieder Pausen, und sie spürte ihre Arme kaum noch, als sie schließlich am Weg angekommen war, der nach oben führte.
Wie sollte sie es schaffen, den Stein da hinaufzubringen? Sie hatte keine Ahnung, und deswegen setzte sie sich erst einmal in den Sand, um zu überlegen.
Nur, was gab es da zu überlegen. Für eine irrwitzige Idee gab es keine vernünftigen Gedanken.
Wenn jemand aus ihrem bekannten Umfeld sie bei dieser mehr als schrägen Aktion sähe, der würde entsetzt die Hände überm Kopf zusammenschlagen und beginnen, an ihrem Verstand zu zweifeln.
Sie hatte keine Wahl!
Kelly war jetzt kein