Die Gruppe aus Dragovac aber geriet unversehens in die Reichweite der Waffen der Marinesoldaten, die aus ihrem Schnellboot ausgestiegen waren und nun in Stellung gingen, um das Feuer zu eröffnen. Sie waren ebenfalls durch einen Funkspruch alarmiert worden und wussten darüber Bescheid, dass die Dörfler aus Transsilvanien um ein Haar ihren Fliegerkameraden abgeschossen hätten. Umso entschlossener waren nun die Matrosen, es den Gegnern zu zeigen, die mit ihren Armbrüsten gegen die modernen Maschinenwaffen so gar keine Chance hatten.
Dem Helikopter bot sich so Gelegenheit, die Gerettete sicher zur »Danubia Queen« zu bringen.
*
Arpad Gustow, tat der Knöchel höllisch weh, als er das Bewusstsein wiedererlangte. Die junge Frau, die er sich geschnappt hatte, war verschwunden. Er merkte, dass er nicht im Vollbesitz seiner Kräfte war. Dass er Angelika entführt hatte statt Xenia, die sicherlich vertrauensvoll mit ihm gekommen wäre, lag in der Tatsache begründet, dass er sich zum ersten Mal in seinem Leben in eine Frau verliebt hatte. So sehr verliebt hatte, dass er es nicht über sich bringen konnte, sie in irgendeiner Weise zu verletzen. Er hatte eine Scheu davor, sie zu verletzen, daher musste er seinen Blutdurst an einer anderen stillen. Dass er durch sein Tun Xenia dennoch verletzt haben könnte, wenn nicht körperlich, so seelisch, was unter Umständen sehr viel schwerer wiegen mochte, darüber war er sich nicht im Klaren.
Er schüttelte sich und versuchte, mit dem verletzten Bein aufzutreten, was ihm zur Not gelang. Allerdings musste er sich einen starken Knüppel, mehr schon einen ganzen Ast, aufheben, um sich darauf zu stützen. Er haderte mit sich selbst, denn es war alles schief gegangen, was nur schief gehen konnte. Und schwer angeschlagen war er auch noch. Diese junge Frau war brutal genug gewesen, ihm mit voller Wucht an den kaputten Knöchel zu treten. Nun war er zwar nicht ganz bewegungsunfähig, aber doch sehr behindert.
Irgendwo, gar nicht weit weg, über dem Wald hörte er einen Hubschrauber kreisen. Wahrscheinlich suchten sie nach ihm, er musste schleunigst verschwinden. Er fasste an seinen Hosenbund, wo er für alle Fälle immer ein langes Messer parat hatte. Kampflos würde er sich nicht ergeben, so viel war sicher.
So taumelte er zwischen den Bäumen in Richtung einer helleren Stelle, die hoffentlich aus dem Wald herausführen würde. Dort erhoffte er sich eine Möglichkeit, sich in einem Gebüsch zu verbergen. Mitten im Wald gab es zwischen den Hochstämmen keine Möglichkeit dazu.
Als Arpad schließlich hinter einem Haselbusch auftauchte, wurde er schon erwartet.
Die Marinesoldaten hatten über einen Infrarotsucher im Helikopter einen Hinweis über den etwaigen Standort des Vampirs erhalten, noch ehe der Drehflügler hatte abdrehen müssen. Auf Verdacht hatten sie sich entlang des Waldrandes postiert und siehe da: Da war er!
»Stehen bleiben!« schrie der Stabsmaat, der die Gruppe befehligte. »Oder wir schießen!« Und wir haben Silberkugeln zur Verfügung, dachte er bei sich. Sagte es aber nicht laut. Warum ein solches Unwesen unnötig warnen?
Arpad stutzte, hielt inne und erkannte, dass er in eine Falle gelaufen war. Er zückte das Messer und torkelte vorwärts, auf die Soldaten zu, die ihre Waffen auf ihn gerichtet hielten. Für sie war dieses Geschöpf, das ihnen mit gebleckten Reißzähnen entgegenkam, nicht mehr als ein wildes Tier, das es zu vernichten galt.
»Feuer!«, kommandierte der Stabsmaat, und die Salve riss den Blutsauger von den Beinen. Ehe er starb, öffnete Arpad noch einmal weit die Augen und sah zum Mond auf, in dessen Rundung er Xenias hübsches Gesicht zu erkennen glaubte. Xenia, seine Liebe.
Dann verblasste das Licht.
Es gab einen Blutsauger weniger auf dieser Welt.
*
Angelika wurde an Bord der »Danubia Queen« mit großer Erleichterung und einem lauten Hallo! empfangen. Kapitän Stojanow, sonst kein Freund von Rührseligkeiten, hatte Tränen in den Augen, als er ihr entgegeneilte und sie umarmte. Was wäre das für eine Katastrophe für ihn und die Reederei gewesen, wenn ausgerechnet der Ehrengast, Gewinnerin eines Wettbewerbs, während dieser Reise zu Schaden gekommen wäre!
Frau Schmitz-Wellinghausen, die sich am liebsten an vorderster Front am Willkommen beteiligt hätte, hielt sich zurück. Zuerst war Jonny dran, das war allen klar; Jonny, dessen verbundener Kopf weiß leuchtete. Dr. Beuteler hatte vielleicht ein wenig zu viel des Guten getan und dem jungen Mann eine Art Turban verpasst.
In Jonnys Armen spürte Angelika: Jetzt war wieder alles gut, hier fühlte sie sich geborgen. Der Begrüßungskuss wollte schier kein Ende nehmen, bis endlich ein Räuspern von Frau Faszl die beiden Verliebten aufmerksam werden ließ.
»Es gibt noch einige, die die Wiedergefundene gerne begrüßen würden!«, sagte sie und schloss Angelika in die Arme. »Ich freue mich, dass dieses Abenteuer so glimpflich ausgegangen ist. So also ist es, wenn man phantastisches Geschehen live miterlebt.« Und die Gerettete erwiderte die Umarmung ebenso herzlich, hatte diese alte Dame doch ihren Jonny wieder und endgültig zu einem ganz normalen Menschen gemacht. Wenn er auch für sie natürlich etwas ganz Besonderes war.
Während Angelika anschließend die Glückwünsche von Eugenie Schmitz-Wellinghausen entgegennahm, wanderten ihre Blicke suchend umher, bis sie schließlich Xenia entdeckte, die tränenüberströmt auf der zweiten Stufe der Treppe saß, die zum Oberdeck führte.
Sie löste sich von der Begrüßungsgruppe und gesellte sich zu ihrer Freundin. Und Jonny folgte ihr sofort, denn es galt, die Verzweifelte und von enttäuschter Liebe zutiefst Verwundete zu trösten. Doch ihre Hinweise auf die Zukunft, in der es sicherlich …
Diese Hinweise kamen nicht an. Das würde wohl länger dauern …
Im Hintergrund sprach Jenny Schmitz-Wellinghausen, die Beauftragte der IAVA, mit der Gräfin. Sie hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen. Und zu ihrer Freude sagte Frau Faszl sofort zu. Ja, sie wollte nach Genf reisen, selbstverständlich auf Kosten der IAVA, wie Jenny betonte. Und der ihr in Aussicht gestellte Beraterjob – von Wetzlar aus zu leisten – war verlockend genug, ihn trotz ihres fortgeschrittenen Alters anzutreten.
Darum freilich kümmerten sich Angelika und Jonny nicht. Sie hatten Wichtigeres zu tun, mussten sich gegenseitig ihre grenzenlose Zuneigung zeigen. Und über die Zukunft sprechen, über ihre gemeinsame Zukunft.
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