»Es gibt diese Behauptung, die solange nicht bewiesen oder widerlegt werden kann, solange wir nicht einen Vampir leibhaftig vor uns haben, der sein blutiges Werk verrichtet. Es gibt die sogenannte Vampirfledermaus, die ein veritabler Blutsauger ist. Warum also soll es das nicht auch beim Menschen geben? Zumindest sollte man das nicht ganz von der Hand weisen. Mir persönlich ist noch kein Vampir begegnet, ehrlich gesagt, wäre mir eine Vampirin lieber!«
Allgemeines Gelächter zeigte, dass die lockere Art seines Vortrags trotz des unheimlichen Themas bei den Passagieren gut ankam.
»Er ist vorsichtig«, sagte Jonny leise und drückte Angelikas Arm. »Und er hat recht damit. Wir wissen noch längst nicht alles. Und meist haben solche Erzählungen einen wahren Kern. Ich selbst … Ach, jetzt nicht. Später vielleicht.«
Er schwieg, während Angelika ihn erstaunt ansah. Zu zweiten Mal hatte er zu einer Erläuterung angesetzt und war mitten im Satz verstummt. Irgendetwas Geheimnisvolles umgab ihn. Aber dieses Geheimnis, egal welcher Art, machte ihn für sie eigentlich noch interessanter. Sie würde nachhaken, immer wieder, bis er herausließ, worüber er noch nicht sprechen wollte.
Beifall brandete auf; der Schiffsarzt hatte seinen Vortrag beendet. Angelika, ganz in Gedanken versunken, hatte den letzten Teil nicht mitbekommen. Aber Xenia, wenn sie nicht allzu verliebt mit Arpad geturtelt hatte, oder auch eine der beiden Frauen würden ihr den Rest erzählen können.
»Ach, noch eins!«, stoppte Dr. Beuteler die aufstehenden Gäste. »In unserer Schiffsbibliothek gibt es zum Thema ein interessantes Buch von einem österreichischen Militärhistoriker, Hans Edelmaier, der nicht nur das Leben des Pfählers, sondern auch die Lebensumstände, die Taktik der Türkenkriege usw. im Detail beschreibt. Sehr zu empfehlen! Ich bitte nur darum, das Buch pfleglich zu behandeln. Falls der eine oder andere von ihnen das Buch kaufen will, es ist in Deutschland und Österreich über jede Buchhandlung zu erwerben.«
Er hob das Buch hoch, auf dessen Titel ein Porträt des Grafen Vlad III. Zepesch zu sehen war.
*
In der Zentrale der » Internationalen Anti-Vampir Association« gab es wieder einmal eine Sondersitzung im kleinen Kreis. Dazu gehörten neben dem Generaldirektor Jean-Pierre Lefebre auch Dimitri Volkanov als zuständiger Abteilungsleiter Untere Donau und Desirée van Oppelen, die Koordinatorin Europa, der Abwehrchef Felice da Silva und sein vor Kurzem bestallter Vertreter Bô Smjörr sowie Dr. Gregor Muggensturm,als Leiter des Wissenschaftsreferats.
Lefebre eröffnete die Sitzung mit dem Hinweis auf eine anonyme Anzeige, die in der vergangenen Nacht in der Zentrale eingegangen war.
»Wieder einmal handelt es sich um die ›Danubia Queen‹. Es steht zu befürchten, dass es auf dem Schiff über kurz oder lang zu einer größeren Katastrophe kommen wird.«
Er reichte auf einem mehrfach kopierten Papier die abgeschriebene, telefonisch eingegangene Anzeige herum. »Der Anruf erfolgte in einem einwandfreien Deutsch, so dass davon auszugehen ist, dass sich eine Person entsprechender Nationalität gemeldet hat.«
»Na prima!«, sagte da Silva. »Das sind immerhin an die 150 Personen, die da in Frage kommen.«
»Könnte es sich um …?« Dr. Muggensturm wurde sofort von Bô Smörr unterbrochen.
»Bitte keine Namen! Auch nicht in diesem Kreis. Wir wollen hier niemanden enttarnen oder gar bloßstellen.«
»Aber diese Person gehört doch zu uns, und in diesem Saal hier sind doch nur Anwesende, die überall vollstes Vertrauen genießen …«
»Keine Namen!« beharrte jetzt auch der Abwehrchef da Silva auf dem Verbot. »Es hat schon die verrücktesten Sachen gegeben in unserem Gewerbe, das wissen Sie doch alle am besten. Wenn diese Person, die Sie meinen und von der wir alle wissen, etwas Wichtiges zu melden hat, dann wird sie das unter einem Code-Namen tun, wie verabredet. Keinesfalls aber wird das anonym erfolgen.«
Dimitri Volkanow, der bis dahin aufmerksam zugehört hatte, meldete sich nun zu Wort: »Wir sollten uns vielleicht erst einmal den Wortlaut des Telefonanrufs genauer ansehen. Ich lese vor:
›Gefahr in Verzug auf der »Danubia Queen«. Vertreter mehrerer V-Qualität an Bord, zumindest zwei, eventuell sogar mehr. Beobachten genügt nicht, bekämpfen ist notwendig. Bedenkliche Zwischenfälle bislang auf mehreren Fahrten, Polizei und Crew offensichtlich ratlos und hilflos. Erwarte erneute Probleme hinter Wien‹.
Soweit der aufnotierte Anruf. Was bedeutet das für uns?«
»Ernsthafte Schwierigkeiten werden vorausgesagt«, meinte Lefebre. »Aber von hier aus können wir nicht viel unternehmen. Haben wir in Wien eine Kontaktperson, die wir einschleusen könnten? Jemanden, der vertrauenswürdig genug ist, mit der Angelegenheit betraut zu werden?«
»Bedauerlicherweise, nein«, sagte Desirée van Oppeln, der die Pflege der Kontaktpersonen europaweit oblag. »Das einzige, was mir einfällt: Wir könnten in Passau bei diesem … Wie heißt er denn nur, ein Doppelname, der mir andauernd entfällt …«
»Meinen Sie diesen Rupert Geiss-Landmann?«, fragte Dr. Muggensturm, der bereits einmal mit diesem Herrn zusammengerasselt war, da er sich die herrische, aufbrausende Art des Passauer Kulturmenschen nicht hatte gefallen lassen.
»Genau den meine ich«, bestätigte Desirée, die ein wenig in diesen so sensiblen Wissenschaftler verliebt war, dies aber nie zugegeben hätte. Schon gar nicht hätte sie sich diesem in seine Untersuchungen vergrabenen Weltfremden offenbaren können. Schließlich sollte der Mann auf die Frau zugehen, oder?
»Keine schlechte Idee«, meinte da Silva. »Ich werde ihn kontaktieren. »Er ist schon so lange in unseren Diensten und kassiert dafür nicht wenig an Aufwandsentschädigung, da kann er auch mal etwas außer der Reihe für uns tun. Beobachten allein genügt in der Tat nicht immer, da hatte der anonyme Anrufer zweifelsohne Recht.«
Und Muggensturm, der die Stadt Passau und besonders den Dom sehr schätzte, dachte: Eine gute Tarnung als ehemaliger Bahnangestellter hat er schon, dieser Herr, und dazu noch seine Position als Vorsitzender dieses Clubs von Fantasy-Enthusiasten – wer denkt da noch an die Möglichkeit, dass so jemand für die IAVA arbeitet, noch dazu als Beobachter vor Ort der Entwicklung im Bereich der deutschen Donau?
*
Der Tag in Wien, der österreichischen Hauptstadt, war eigentlich viel zu kurz für das vielfältige Angebot an Besichtigungs- und Besuchsmöglichkeiten. Während Xenia auf dem Schiff blieb, weil Arpad Reparaturarbeiten überwachen musste, schlenderte Angelika zunächst mit Jonny durch den Prater, um sich dann in die Innenstadt bringen zu lassen, wo der Stephansdom zu besichtigen war.
Vor dem berühmten Barockaltar drängten sich allerdings so viele Besucher, dass es mindestens eine Stunde gedauert hätte, um wenigstens so weit vorzudringen, dass sie die ganze Pracht vollständig hätten genießen können. Daher beschlossen Jonny und Angelika, lieber das Gotteshaus zu verlassen. Sie bewunderten den gotischen Turm von außen und bestaunten die romanische Westfassade, dann wurde ihnen das Gewusel auf dem Domplatz zu viel und sie suchten sich lieber etwas abseits vom großen Gewühle ein kleines Kaffeehaus. Denn auch das war Tatsache, informierte Jonny seine blonde Angebetete, dass selbst im »Sacher« der Kaffee nicht optimal war. Lohnenswert dagegen waren die kleinen Beisln, die sich noch große Mühe mit der Herstellung des braunen Gebräus gaben.
Das servierte Gebäck war von ausgesuchter Qualität und der Preis im Vergleich zu den großen, renommierten Cafés erstaunlich moderat. Sie genossen beide diesen Augenblick des gemeinsamen Genusses. Für Angelika schien nun der rechte Augenblick gekommen, ihren Begleiter Jonny nach jenen Andeutungen zu befragen, die sie neugierig gemacht hatten.
Jonny schien etwas überrascht über ihre Initiative, begann dann aber, wenn auch zögerlich, zu erzählen, dabei fasste er ihre Rechte, so als bedeutete ihm das Halt und Hilfe.
»Meine Mutter stammt aus Sankt Veit an der Glan, das liegt in Kärnten, und ist eine geborene Boldow. Sie war also