»Dann muss ich auch noch etwas zu dieser Angelegenheit beitragen,« schloss sich Frau Schmitz-Wellinghausen an. »Ich bin getauft als Eugenie, einen Namen, den ich abgrundtief hassen gelernt habe, denn in der Schule war ich Zielscheibe für jeden Menge Spottverse. Wenn ihr wollt, könnt ihr – ach was, ich bin die Jenny.«
»Prima«, sagte Jonny. Und damit war alles geregelt. Am Nebentisch begann Herr Fischbaum nach dem übermäßigen Genuss von Bier zu schnarchen.
»Ich denke, so schnarchten in der Heimat der Familie meiner Mutter im Baltikum die Braunbären beim Winterschlaf«, bemerkte Inge. Und alle brachen in ein lautes Gelächter aus, was den Schläfer auf nicht stören konnte.
Und mit einem Mal dachte niemand mehr daran, sich bei Jonny nach den Ergebnissen seiner Recherchen zu erkundigen.
*
Angelika kannte ihre Freundin Xenia als eher zurückhaltend, die sich nicht immer und sofort anderen gegenüber öffnen konnte. Doch hier, an diesem Tisch Sieben, wie ihr Platz im Speisesaal gemäß Aushang ausgezeichnet war, war sie nach dieser kurzen Zeit so locker, wie sie eigentlich selbst in ihrer Familie keiner kannte.
Der Grund war, Angelika staunte noch einmal und umso mehr, ein Mann. Und zwar ein Mann von der Bordcrew. Sie selbst hatte sich noch nie näher zu Frauen hingezogen gefühlt, als es eine innige Freundschaft zuließ. Dagegen hatte sie immer den Eindruck gehabt, dass sich ihre Freundin mehr für Frauen interessierte als gemeinhin erwartet wurde. Sie hatte sich diesbezüglich nie gegenüber Angelika geoutet oder war ihr zu nahe getreten, aber dieser Eindruck war immer präsent gewesen.
Und jetzt dieses unverhoffte Interesse an Arpad Gustow, dem Ersten Steuermann der »Danubia Queen«. Das war ein gestandenes Mannsbild, ohne Zweifel, aber so ganz ging Angelika da mit Xenia nicht konform. Freilich, die Geschmäcker waren – Gottseidank –verschieden; und wenn ihre Freundin bei Arpad das fand, was sie möglicherweise seit langem gesucht hatte, dann würde sich Angelika darüber herzlich freuen.
Diese neue Freundschaft war der Anlass, dass Xenia das Kloster Melk nicht besuchte; sie blieb auf dem Schiff, da Arpad Dienst hatte. Angelika hatte mit Jonny eine Besichtigung des Stifts gebucht, während Inge und Jenny sich zu einem ausgiebigen Besuch eines original österreichischen Caféhauses entschlossen hatten.
Jonny stellte sich immer mehr als sehr gebildeter Mann mit einer Weltläufigkeit dar, wie es Angelika bis jetzt noch nie erlebt hatte. Sie hätten glatt auf die offizielle Führung durch die Klosteranlage verzichten können, denn der Makler aus München kannte sich bestens aus und konnte sogar hier und da Ergänzungen zu den Erklärungen der Führerin anbringen. Insbesondere zum berühmten Melker Kreuz in der Schatzkammer mit seinen Edelsteinen und Perlen wusste Jonny zum Beispiel, dass der ‚Splitter vom Kreuz Christi‘ in die Melker Kostbarkeit erst im achten Jahrhundert eingefügt worden war.
»Splitter dieser Art gibt es so viele, dass davon hunderte von Riesenkreuzen zusammengefügt werden könnten«, sagte er und fügte ein wenig spöttisch hinzu: »Hauptsache ist wohl immer noch, dass die Leute daran glauben.«
Damit nahm er Angelika bei der Hand und zog sie zum Ausgang der Schatzkammer.
»Lass uns in den Park gehen«, schlug er vor. »Die Führung dauert nach Plan noch eine gute Stunde. Es ist schöner, wir setzen uns in den Schatten und genießen die frische Luft hier auf der Anhöhe.«
Und in der Tat war es angenehm, auf der Bank zu sitzen. Irgendwann fand seine Hand die ihre, das geschah ganz selbstverständlich. Und sie merkte, dass ihr diese Nähe gut tat.
»Ich habe diese Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen, deswegen bin ich hier, sonst hätte ich nie daran gedacht, mit einem Kreuzfahrtschiff ins Donaudelta zu fahren. Und warum unternimmst du diese Fahrt?«
Damit drückte sie sich fest an ihn und streichelte seine Wange. Ja, sie mochte ihn. Und sie mochte es, dass er es merkte. Und dass er es merkte, erkannte sie an seiner Reaktion, denn er wandte sich ihr zu. Und ihre Lippen fanden sich zu einem ersten Kuss.
Freilich war das keine Antwort auf ihre Frage, die sie daher wiederholte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er; und als sie ihn erstaunt ansah, wiederholte er: »Ehrlich, ich weiß es nicht. Da ist etwas in mir, das mir sagt, ja mich drängt, diese Reise zu unternehmen. Und je weiter wir nach Osten kommen, desto stärker wird dieser Drang. Aber wenn du mich jetzt fragen möchtest, weswegen es diesen Drang, diese Sehnsucht gibt – ich kann dir diese Frage nicht beantworten.«
Sie saß da und sah ihn ungläubig an.
»Ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste«, beteuerte er. »Und falls es mir auf dieser Fahrt klar wird, worum es genau geht, wirst du die erste sein, die es erfährt. Das verspreche ich dir.«
»Na gut«, sie erkannte, dass sie sich damit zufrieden geben musste. »Ich nehme dich beim Wort. Vielleicht ist das ja gar nicht so wichtig, zumindest nicht so wichtig wie die Tatsache, dass wir uns getroffen haben.«
Das sagte sie mit einem solch ernsten Unterton in der Stimme, während ihre Augen ihn anstrahlten, dass ihm klar sein musste, dass sie es ernst meinte.
»Ich bin auch sehr froh darüber«, sagte er. Und dann nahm er sie in seine Arme, und ihr erneuter Kuss wollte kein Ende nehmen. Bis sie durch ein Stimmengewirr in die Wirklichkeit zurückgeholt wurden. Der Rest der Passagiere war nach Ende der Führung ebenfalls in den Park gegangen und umstand nun ihre Bank.
»Das war besser als eine Liebeschnulze im Kino«, witzelte einer aus den hinteren Reihen, blieb aber wohlweislich versteckt, so dass er nicht zu identifizieren war. Aber damit wusste es natürlich jeder auf dem Schiff, dass die beiden ein Paar waren.
*
Am Abend gab es nach dem Abendessen, das wie immer von ausgesuchter Qualität war, einen Vortrag von Schiffsarzt Dr. Hans-Jürgen Beuteler zum Thema: »Der Vampir-Mythos – Was ist Legende und was ist Wirklichkeit?«. Das Ehepaar Fischbaum hatte während des Essens lauthals verkündet, an so einen Unsinn würden sie sowieso nicht glauben, und wer sich auch nur damit beschäftigte, zeige nur, dass er beschränkten Geistes sei. Sie also fehlten in der Lounge, ansonsten waren alle Gäste anwesend. Sogar der Kapitän hatte sich eingefunden. Und natürlich saß Arpad neben seiner Xenia, während der zweite Steuermann das Schiff beaufsichtigte. Xenias neuer Freund war etwas verspätet in die Lounge gestürmt, hatte ihn doch ein Problem im Materiallager etwas länger aufgehalten. Trotz der Eile wirkte er seltsam blass, so dass sich Xenia besorgt erkundigte, ob er sich wohl fühlte.
»Alles gut, alles gut«, sagte mit einem scharfen Akzent; davon abgesehen, war sein Deutsch makellos, sein Wortschatz erstaunlich groß. Normalerweise nahm das Schiffspersonal, abgesehen von den Stewards und Stewardessen an der Bar und im Service, an solchen Veranstaltungen für die Passagiere nicht teil. Aber Xenia hatte auf Anraten ihrer Freundin zunächst die Reiseleiterin Annegret Huber und dann auf deren Rat den Kapitän gefragt, worauf eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden war.
Dr. Beuteler stellte den von Bram Stoker als Dracula zu einer Figur der Weltliteratur gemachten Fürsten Dracul, in Wahrheit Graf Vlad III Draculea, als historische Persönlichkeit dar, schilderte die damaligen politischen Verhältnisse auf dem Balkan und vermittelte so ein farbiges Bild des 15. Jahrhunderts in jener Region.
»Draculea war sein Beiname, das heißt ‚Sohn des Drachen‘. Allerdings gibt es auch eine Ableitung von Drac, was ‚Teufel‘ bedeutet. Demnach war ein anderer Beiname von ihm ›Sohn des Teufels‹. Er war in schwere Kämpfe mit den Türken verwickelt. Gefangenen und getöteten Türken ließ er die Köpfe abhacken, das brachte ihm einen weiteren Spitznamen ein, nämlich ›der Pfählet‹, in der Landessprache heißt das ›Zepesch‹. Wegen solcher Grausamkeiten war er weitum berüchtigt.«
Frau Schmitz-Wellinghausen meldete sich, brav mit der Hand aufzeigend.
»Stoker beschreibt Dracula als Vampir und somit als Blutsauger. Können Sie uns etwas