Wesentliche Bausteine
Aus der humanistischen Psychologie entstanden, befasst sich die positive Psychologie seit den 90er Jahren mit dem Ziel, das zu erforschen und zu kultivieren, was das Leben lebenswerter macht. Im Gegenzug zur klassischen Psychologie, welche sich der Verminderung von innerlichen Defiziten verschrieben hat, blickt die Positive Psychologie auf unsere Potenziale und versucht uns durch diese Aufmerksamkeitslenkung generell zufriedener zu machen. Von „unglückliche Menschen weniger unglücklich machen“ (klassisch) hin zu „Menschen glücklicher machen“ (positiv humanistisch). Anstatt nur psychisch Kranke zu untersuchen, forscht sie an glücklichen und lebensbejahenden Menschen, um deren Strategien und Herangehensweisen für alle nutzbar zu machen.
Positive Leadership. Positive Leadership ist eine Ansammlung von Konzepten und Methoden unterschiedlichster Autoren, Beratern und Coaches, welche sich an den Ergebnissen der Positiven Psychologie orientieren. Wir gehen in diesem Kapitel nur auf die Positive Psychologie an sich ein. Viele der folgenden Bausteine finden sich bei Positive Leadership wieder.
Bedürfnispyramide. Ursprünglich geprägt wurde der Begriff Positive Psychologie von Abraham Maslow, einem US-amerikanischen Psychologen. Seine Bedürfnispyramide stellt eine Rangfolge von Bedürfnissen dar, welche die Menschen durchlaufen. Sind tiefere Wünsche unerfüllt, fühlen wir uns unglücklich und behindern die Erfüllung höherer Bedürfnisse. Das Modell ist die Grundlage für viele psychologische, soziale und wirtschaftswissenschaftliche Abhandlungen.
Stärken für das gute Leben (VIA). Mit Fokus auf die Stärken der Menschen erweiterten Christopher Peterson und Martin Seligman (2015) die humanistische Psychologie um menschliche Tugenden (virtues).
Diese Tugenden bzw. Stärken sind, laut Peterson und Seligman, das Fundament für das gute Leben. Daraus entstanden ist die VIA-Klassifikation (Values in Action Classification of Strengths). Nach einer kostenfreien Anmeldung können Sie auf der Website charakterstaerken.org von der Universität Zürich den zugehörigen Test zur Messung der persönlichen VIA-Charakterstärken durchführen. Seligman und Peterson haben in verschiedenen Studien Korrelationen zwischen ihren Tugenden und der Lebenszufriedenheit festgestellt und ebenso bestätigt, dass durch stärkenorientierte Interventionen Menschen insgesamt zufriedener werden.
Psychologisches Kapital. Der Management-Wissenschaftler Fred Luthans (2007) erschuf mit dem Psychologischen Kapital (PsyCap) einen weiteren Bereich der Positiven Psychologie. Er beschäftigte sich mit der Frage, welche Faktoren einen hohen Einfluss auf die individuelle Leistung haben. Heraus kamen vier Wesenszüge: Selbstwirksamkeit, Hoffnung, Resilienz und Optimismus.
Wird ein hohes Niveau dieser Wesenszüge erreicht, dann hat dies positive Auswirkungen auf Arbeitszufriedenheit, Gesundheit, Eigeninitiative, Durchhaltevermögen, Mitarbeiterbindung, Flow-Empfinden, Produktivität und Kreativität. Interventionen des Positive Leadership wollen die Entwicklung dieser Wesenszüge unterstützen. Hauptsächlich gilt es dabei, Wege zu finden, wie diese Faktoren in Organisationen begünstigt werden können.
Im Flow sein. Den allgegenwärtigen Flow hat wohl schon jeder erlebt und vielleicht auch schon reflektiert. Der Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi (2017) prägte in den 1970ern diesen Begriff. Flow ist der Zustand, nachdem sich Menschen erfüllt, ausgeglichen und glücklich fühlen − auch die optimale Erfahrung genannt. Der Prozess, in dem wir uns voll und ganz auf eine gewisse Herausforderung konzentrieren, daran wachsen und dieses Wachstum uns im Nachhinein glücklich und zufrieden stimmt. Csíkszentmihályi hat verschiedene typische Eigenschaften der Flow-Erfahrung durch jahrelange Befragungen identifiziert.
Vollständige Konzentration − Unser Fokus liegt auf einer Tätigkeit und andere Gedanken sind in dem Moment ausgeblendet.
Verständliche Ziele − Wir müssen Klarheit darüber besitzen, was wir mit der Tätigkeit erreichen wollen. Sowohl konkrete Ziele wie der Abschluss der Ausbildung, als auch intrinsische Werte und Bedürfnisse, wie das Führen eines bereichernden Gesprächs, können Flow auslösen.
Unmittelbares Feedback − Wir müssen direkt Feedback über unser Tun erhalten. Hierbei ist nicht unbedingt das Feedback durch andere gemeint, sondern auch die eigene Wahrnehmung des Ergebnisses. Ein Grafiker sieht beispielsweise mit jedem Schritt, welchen er absolviert, dass die Optik feiner und eleganter wird. Er registriert, dass er auf einem guten Weg ist.
Verlust des Selbstgefühls − Die Gedanken sind bei der Sache. Weder fühlen wir uns selbst, noch nehmen wir uns gedanklich wahr − es sei denn, die Selbst-Wahrnehmung ist Teil der Flow-Erfahrung, z. B. bei Sportlern.
Veränderte Wahrnehmung der Zeit − Die Veränderung kann ganz individuell ausfallen. Die Zeit kann schneller, langsamer oder auch sekundengenau wahrgenommen werden.
Herausforderungen, welche mit unseren Fähigkeiten lösbar sind − wichtig für den Flow ist das Verhältnis, zwischen der Herausforderung und unseren individuellen Fähigkeiten. Ist die Herausforderung zu hoch, entsteht Besorgnis oder Angst, das Bevorstehende nicht zu schaffen oder die Ziele zu versäumen. Eine zu leichte Aufgabe kann zu Langeweile führen und ebenso Flow verhindern. Eine gute Abstimmung beider Elemente ergibt den Flow-Korridor, den Bereich, in welchem wir unsere bisherigen Fähigkeiten nutzen und stetig weiterentwickeln können.
Flow erleichtern. Aufgrund der erforschten Eigenschaften hat Csíkszentmihályi für Organisationen eine Liste von Gelingensbedingungen für Flow identifiziert. Diese können als Leitlinien betrachtet werden − für das Erleichtern von Flow-Zuständen in Organisationen.
Klärung der Unternehmensziele: Mitarbeiter müssen den Sinn ihres Handelns verstehen und Unternehmensziele dienen der Orientierung.
Klarheit über Leistungsziele: Der Mitarbeiter muss im Klaren darüber sein, welchen Anteil er mit seiner Arbeit am Gesamten hat und welche persönlichen Ziele mit seiner Tätigkeit erfüllt werden.
Feedback: Die Führung sollte fortlaufend Feedback geben.
Gleichgewicht der Anforderungen und Fähigkeiten: Führungskräfte bedürfen einer Kenntnis über die Fähigkeiten des Einzelnen und passende Aufgaben in der Organisation.
Konzentration und Fokus erleichtern: Ablenkungen sollten vermieden und passende Räume zur Verfügung gestellt werden.
Kontrolle über die eigene Tätigkeit und Zeit: Die Mitarbeiter sollten frei über den Zeiteinsatz und Art der Tätigkeit entscheiden, da sich Flow-Empfinden unter fremden Strukturen schwieriger entwickelt.
Passende Unternehmenskultur: Um die Angst vor Herausforderungen zu reduzieren, bedarf es einer positiven Fehlerkultur. Ebenso sind flexible Arbeitszeiten und das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse der Menschen von Vorteil (Csíkszentmihályi, 2017).
Gedankenanstöße
Wachstumsbedürfnisse im Kommen. Die Maslowsche Bedürfnispyramide ist in den letzten Jahrzehnten feingliedriger geworden. Evolutionär sind wir darauf trainiert, Gefahren zu erkennen und vorsichtig zu handeln. Während unserer Frühgeschichte stellten Fehler mitunter das Überleben aufs Spiel. Bis zur Neuzeit wurde die Welt zunehmend sicherer, aber dennoch arbeitete die Masse mehr aus Angst vor Armut und Hunger als zum Zweck der Selbstverwirklichung. Heutzutage, in sicheren und „satten“ Zeiten, ersetzen Sinn und Individualität den Arbeitsantrieb. Was traditionelle, hierarchische