Aldarúun. Valeria Kardos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Valeria Kardos
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783948397173
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sie die letzten Tage damit verbracht, herumzutelefonieren – und ist tatsächlich fündig geworden. Alvar war hocherfreut, dass es uns gut geht, und sagte, dass er schon länger nach uns suche. Außerdem, dass wir so schnell wie möglich aufbrechen sollten, da weiterhin Gefahr drohe. Beschützen könnten sie uns am besten in der Villa. Wir haben so etwas nicht nur geahnt, sondern auch befürchtet.

      Es ist Freitag und wir wollen morgen Abend losfahren, da nachts die Autobahn nicht so voll ist. Alvar sagt, wir dürfen mit niemandem über unsere Flucht reden – auch nicht mit Ramona. Das schmeckt mir gar nicht, aber ich füge mich. Da wir nicht wissen, wann wir wieder zurückkommen werden, haben Liliana und ich beschlossen, den letzten Tag in unserem geliebten Zuhause mit ihr zu verbringen. Wir haben unseren Frauenabend vorverlegt, der einmal im Monat stattfindet. Eingeführt haben wir ihn vor etwa einem Jahr, als Ramona wieder einmal ihren Liebeskummer auf unserem Sofa ausweinte.

      Ich war in der Stadt, um noch ein paar Besorgungen für unsere Reise zu erledigen, und schiebe gerade den Schlüssel in die Haustür, als ein kleiner schwarzer Blitz um die Ecke schießt. „Hey, Dickerchen, wo kommst du denn her?“ Ich bücke mich und streichele sein seidiges Fell, während er sich schnurrend gegen meine Hand drückt.

      Den kleinen Kater nennen wir Kleiner, den dicken Kater Dicker und den großen Kater … na, wer hätte das gedacht … Großer. Ich weiß, einfallsloser geht es nicht mehr, aber wir wollten unsere Herzen nicht allzu sehr an die drei Racker binden. Leider ist das in den letzten Tagen bereits passiert. Sie sind so unglaublich zutraulich und liebenswert. Warum mussten sie uns ausgerechnet jetzt zulaufen?

      Verdammt – echt schlechtes Timing!

      Ich muss morgen dringend die Burkhardts fragen, ob sie sie aufnehmen. Die kleine Natalie wird sich bestimmt freuen.

      Ich schließe die Tür auf. „Na, komm rein, mein Süßer! … Mama? Wo steckst du?“

      „In der Küche“, höre ich eine gedämpfte Stimme. Ich lege meine Tasche ab und folge ihr. Dicker tapst hinter mir her.

      Liliana sitzt am Küchentisch und umklammert eine Tasse. Ihr Ausdruck ist starr auf ihren Tee gerichtet.

      „Was ist los?“, frage ich besorgt und setze mich ihr gegenüber. Sie blickt kurz auf. Ihre Kiefer mahlen. „Alvar sagt, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Das Haus Gollnir wird vor Ort alles regeln – was auch immer das bedeutet. Ich habe für all das hier so hart gearbeitet …“

      „In drei Monaten beginnt meine Ausbildung, denkst du, bis dahin ist alles geregelt?“

      Liliana wirft mir einen merkwürdigen Blick zu. „Ich hoffe es“, antwortet sie leise. „Aber irgendwie habe ich ein ganz merkwürdiges Gefühl.“

      „Wie meinst du das?“, frage ich stirnrunzelnd.

      „Sie haben mich damals nicht ohne Grund weggeschickt. Und scheinbar hat sich das Problem in den letzten zwanzig Jahren nicht aufgelöst.“

      „Verstehe.“ Ich atme geräuschvoll aus und blicke auf meine Fingernägel. Es ist still. Nur das Ticken der Wanduhr ist zu hören. „Also, willst du damit sagen, dass wir vielleicht eine lange Zeit nicht mehr zurückkommen werden?“, frage ich tonlos.

      „Gut möglich, Anja.“

      Ich nicke stumm und wieder ist nur das Ticken der Uhr zu hören.

      Liliana legt ihre Hand auf meine und lächelt mir aufmunternd zu. „Jetzt warten wir erst einmal ab, was kommt. Antworten werden wir in Budapest erhalten. Und dann können wir immer noch entscheiden, was wir tun werden.“

      Ich lächele zurück, bin aber trotzdem nicht glücklich, wie alles verläuft.

      „Wann will Moni hier sein?“, fragt Liliana.

      „In einer Stunde“, antworte ich. „Das lässt mir noch Zeit für ein Bad.“ Ich stehe auf und gehe die Treppe hoch.

      Das Wasser läuft noch in die Badewanne, da höre ich ein Kratzen an der Tür. Ach ja, wie konnte ich das vergessen! Ich öffne sie einen Spalt und die drei kleinen Pelzköpfe huschen herein. Sie setzen sich auf ihre üblichen Beobachtungsplätze: Dicker auf die Waschtruhe, Großer auf den Badewannenrand am Fußende und Kleiner am Kopfende. Normalerweise scheuen sie das Wasser wie jede andere Katze auch, aber mein tägliches Waschen scheint sie zu faszinieren.

      Die Woche war anstrengend – nicht nur physisch, auch mental –, und das warme Wasser ist eine Wohltat. Ich entspanne mich und schließe die Augen. Jetzt bloßnicht einschlafen, denke ich, aber das warme Wasser sowie der Stress, der von mir abfällt, tun ihr Übriges …

      „Aauu!“ Hustend richte ich mich in der Wanne auf und habe den Geschmack des Badeöls im Mund. Ich begreife, dass ich tatsächlich eingenickt und wohl ins Wasser gerutscht bin. Etwas brennt auf meiner Schulter, und als ich den Kopf drehe, sehe ich rote Striemen von einer Katzentatze.

      „Hast du mich gerade gehauen?“

      Völlig perplex blicke ich zu dem kleinen Pelzgesicht hoch, denn das ist ein Verhalten, das ich bei ihm bis jetzt noch nie erlebt habe. Kleiner beginnt sich gleichmütig das Fell zu putzen.

      Es klingelt, als ich gerade die Treppe hinunterlaufe. Liliana ist bereits an der Haustür und lässt einen wild plappernden Rotschopf herein. Ramona umarmt uns stürmisch, ohne ihren Redeschwall zu unterbrechen. „Hi, ihr Süßen, wie schön, euch zu sehen. Also ich habe Neuigkeiten ohne Ende! Ich war doch gestern in diesem neuen Fitnessstudio, das in der Innenstadt aufgemacht hat, und ich sage euch, wirklich hochmodern“ – sie schnalzt mit der Zunge – „die haben sogar eine Farbsauna und ein Jacuzzi, also einen richtigen Wellnessbereich, und das ohne Preisaufschlag und – oh, hallo, mein Kleiner! Meine Güte, was bist du denn für ein süßes Kerlchen? Anja, du hast am Telefon echt nicht übertrieben, der ist ja wirklich süß – und so ein seidiges Fell! Wir werden gleich ganz ausgiebig schmusen, aber lass Tante Moni erst mal ihre Einkäufe auspacken – Liliana, hast du an die Limetten gedacht? Caipirinha ohne Limetten geht gar nicht – also, wo war ich? Ach ja, das Studio ist echt der Hammer, aber einen Parkplatz finden? Vergiss es! Habe auch prompt ein Knöllchen kassiert – aber Mädels – ich habe den süßesten Jungen der ganzen Welt kennengelernt. Er ist dort Trainer und …“

      Wann holt sie mal Luft?

      Grinsend folge ich den beiden Frauen in die Küche.

      Wir haben bereits den dritten Cocktail gemixt und die Stimmung ist, trotz des Geheimnisses, das auf uns lastet, erstaunlich ausgelassen. Ramona besitzt einfach die seltene Gabe, durch ihr optimistisches und fröhliches Wesen jeden mitzureißen. Wir haben es uns auf dem Boden auf Decken, umringt von Kissen, gemütlich gemacht, während Liliana an der Kante des Sofas lehnt. Die Trümmer der kaputten Regale haben wir im Laufe der Woche bereits entsorgt und unsere spartanische Einrichtung Ramona lediglich so erklärt, dass wir uns neu einrichten wollen.

      Auf dem Sofa liegt Großer und schläft tief und fest, Dicker hat es sich auf Lilianas Schoß bequem gemacht und lässt sich schnurrend den Hals kraulen. Kleiner liegt neben Ramona auf dem Rücken und streckt selig alle vier Pfoten von sich, als sie seinen Bauch zu knuddeln beginnt.

      „Also bei mir hat er das noch nie gemacht“, sagt Liliana lachend und nippt an ihrem Glas.

      „Ich habe eben eine besondere Wirkung auf Männer“, gluckst Ramona und wirft uns einen gespielt lasziven Schlafzimmerblick zu. „Die sind ja zum Anbeißen süß. Werdet ihr sie behalten?“, fragt sie lachend. Liliana und ich werfen uns verstohlene Blicke zu, was Ramona nicht entgeht. Sie runzelt die Stirn und schaut abwechselnd zu mir und Liliana.

      „Apropos Männer, Moni, wie sieht es denn bei dir mal mit etwas Beständigem aus?“, lenkt Liliana vom Thema ab. „Nichts gegen deinen strammen neuen Fitnesstrainer, aber seien wir mal ehrlich, wie lange dauerte deine längste Beziehung bis jetzt? Eine Woche?“

      „Liliana, wie soll ich wissen, welches Obst ich mag, wenn ich nicht mal den ganzen Obstkorb durchprobiert habe?“

      „Entbehrt nicht einer gewissen Logik“, antwortet meine Mutter augenzwinkernd.