Sie schreit nur kurz auf, als meine Axt ihren Kopf spaltet, und bleibt nach wenigen Zuckungen leblos liegen.
Benommen starre ich auf das tote Ding vor mir und kann nicht fassen, was gerade passiert ist – ich habe ein lebendes, atmendes Wesen getötet!
Aber ich weiß auch, dass ich es mir jetzt nicht leisten kann, einen Moralischen zu bekommen, da sich im Hintergrund ein Kreischen erhebt.
„Beeil dich!“, höre ich Lilianas verzweifelte Stimme.
Ich drehe am Schlüssel und das Schloss geht sofort auf – aber die Tür klemmt. Der Rahmen muss sich im Laufe der Jahre verzogen haben.
„Auf den Boden!“, ruft Liliana und ich reagiere wieder, so schnell es mir möglich ist, aber dieses Mal habe ich nicht so viel Glück. Die scharfen Krallen verfehlen mich zwar, aber das Gewicht des massigen Körpers erwischt mich mit ganzer Wucht. Wir krachen beide gegen die Lukentür, die nach diesem Aufprall mit einem leisen Knarren aufgeht.
Kühle Nachtluft strömt herein, als ich mich wieder aufrappele. Meine Schulter brennt wie Feuer. Die Bestie hat sich an der Türklinke verletzt und schüttelt benommen den Kopf. Liliana greift nach meinem Arm und hilft mir auf die Beine, dann zieht sie mich langsam von der Luke weg. Noch vom Aufprall benommen, versuche ich zu begreifen, warum wir uns vom Ausgang wegbewegen und nicht darauf zu. Vorsichtig drehe ich meinen schmerzenden Kopf, da erkenne ich den Grund: Vor der Luke steht die vierte Bestie und versperrt uns den Weg.
„Oh verdammt! Das sieht nicht gut aus“, flüstere ich.
„Bleib dicht bei mir und denk dran: Augen und andere Weichteile“, raunt Liliana und drückt mir unauffällig die Axt wieder in die Hand.
Die vierte Bestie springt in den Keller und gesellt sich zu ihren Artgenossen. Liliana und ich stehen Rücken an Rücken, unsere Waffen fest umklammert, als die drei beginnen uns zu umkreisen. Es ist offensichtlich, dass sie uns überlegen sind, daher wundert es mich, dass sie nicht angreifen. Spielen sie vorher mit ihren Opfern wie die Katze mit der Maus? Einer von ihnen zischt etwas und die anderen geben merkwürdige kehlige Geräusche von sich, fast wie ein Lachen. Und dann wird es mir klar: Sie verhöhnen uns und sie wollen, dass wir uns fürchten.
Diese Biester denken!
Ich umklammere meine Axt so fest, dass die Handknöchel weiß durchschimmern, als die drei sich plötzlich aufrichten und erstarrt innehalten.
Es hallt durch die Nacht, wie das Geheul eines aufkommenden Sturms. Ein Donnern, kurz bevor der Blitz einschlägt. Laut, furchteinflößend und … majestätisch schön!
Unsere drei Angreifer weichen irritiert in die hinteren Ecken des Kellers zurück. Liliana und ich sind für einen Augenblick vergessen. Das ist unsere Chance! Ich schnappe mir Lilianas Hand und ziehe sie zur Luke. Wir sind gerade hinausgeklettert, als drinnen bereits ein wütendes Zischen zu hören ist. Viel Vorsprung bleibt uns nicht.
„Was um Himmels willen war dieses Donnern gerade?“, fragt Liliana keuchend, als wir über den Hof laufen.
„Ich habe keine Ahnung, aber was immer es war, es hat uns vorerst das Leben gerettet“, antworte ich.
Etwas ratlos bleiben wir stehen. Wir haben keinen konkreten Fluchtplan, deswegen hat auch niemand von uns an die Autoschlüssel gedacht.
„Die Polizei müsste doch jeden Augenblick kommen. Wir sollten uns so lange dort drin verbarrikadieren“, sage ich und deute auf unseren alten Schuppen.
„In diesem baufälligen Verschlag? Die husten das Ding doch einmal an und es fällt in sich zusammen“, antwortet Liliana kopfschüttelnd.
Im Keller erhebt sich wildes Geheul und die Luke wird regelrecht aus den Angeln gehoben.
„Lauf!“, schreie ich und ziehe Liliana am Ärmel. Sie rafft ihren Morgenmantel hoch und rennt los.
„Wir sollten den Feldweg runter der Polizei entgegenrennen“, ruft sie keuchend.
„Okay!“
Meine Lungen brennen und es ist so dunkel, dass ich kaum die eigene Hand vor Augen erkenne, geschweige denn einen Weg. Ständig stoße ich an Steine oder Wurzeln. Ich höre, wie unsere Verfolger näher kommen, da stolpere ich und falle der Länge nach hin. Liliana bleibt stehen und rennt zu mir zurück. „Los, steh auf!“ Sie packt mich am Ärmel, aber da wird sie bereits von einem schweren Körper angesprungen und niedergeworfen. Ich kann ihren erstickten Schrei hören, als sie hart auf dem Boden aufschlägt.
„Mama?“, schreie ich entsetzt und versuche in der Dunkelheit etwas zu erkennen, höre aber nur ihr angsterfülltes Wimmern. Ich will gerade aufstehen, da spüre ich plötzlich etwas Nasses im Gesicht. Als ich hochsehe, erkenne ich den Umriss eines der Wesen, das sich langsam über mich beugt. Sein Speichel tropft mir ins Gesicht.
Sie haben uns also doch erwischt!
Aus dieser Sache kommen wir nicht mehr raus – nicht ohne Hilfe! Wo ist denn nur die verdammte Polizei?
Es kommt wieder wie ein Donnerschlag, ein Brüllen so gewaltig, dass ich denke, die Erde tut sich auf. Ich erkenne vage, wie sich die Bestien ducken und fauchend zurückweichen. Doch sie kommen nicht weit.
Riesige Schatten reißen sie von den Beinen und drücken sie zu Boden. Gebannt starre ich in die Dunkelheit, sehe aber nur schattenhafte Bewegungen.
Plötzlich greift etwas nach meinem Arm. Ich zucke zusammen, aber es ist nur Liliana, die mich aus der Gefahrenzone ziehen will. Ich rappele mich auf und folge ihr hinter eine Baumreihe. Sie humpelt.
„Bist du verletzt?“
„Ich bin nur etwas unglücklich gestürzt und habe mir die linke Seite geprellt. Nicht so schlimm“, flüstert sie. Liliana war schon immer hart im Nehmen.
Wir hören einen kurzen, erstickten Schrei, als Sekunden später ein lautes Siegesgebrüll ertönt.
„Was um alles in der Welt ist das?“, stöhne ich und halte mir die Ohren zu.
Ein weiterer riesiger Schatten huscht an mir vorbei und tosende Kampfgeräusche sind zu hören. Eine der Bestien zischt im Todeskampf, bis nach wenigen Augenblicken wieder Stille einkehrt.
Ich vernehme ein leises Knurren, das sich langsam entfernt.
Erstaunt blicke ich in die Richtung und versuche etwas zu erkennen, als ein Wagen mit Blaulicht den Feldweg hochfährt.
Die Polizei ist jetzt schon seit geschlagenen vier Stunden hier. Während die Spurensicherung fieberhaft arbeitet, werden wir von zwei Beamten befragt. Liliana wächst über sich hinaus und erzählt aus dem Stegreif eine Überfallgeschichte, die sogar in sich stimmig ist. Sie lügt, dass sich die Balken biegen, ich nicke nur ab und an zur Bestätigung. Ich bin erschöpft, verwirrt und zum Umfallen müde. Als die Polizisten endlich gehen, erscheint bereits die Morgenröte.
8
Gerädert von der kurzen Nacht blinzele ich müde zum Wecker: kurz nach ein Uhr. Vorsichtig schiebe ich meine Decke zur Seite und schlüpfe in meine blauen Plüschpantoffeln. Meine Schulter schmerzt nach den gestrigen Ereignissen wieder. Schlurfend steige ich die Treppe hinunter und schaue mich nach Liliana um. Ich höre sie in der Küche werkeln. Ein kurzer Rundblick im Flur zeigt mir das Ausmaß der Verwüstung. Die Möbel sind zum größten Teil zertrümmert und mehrere Fenster eingeschlagen. Die Polizeibeamten hatten uns zwar nahegelegt, in ein Hotel zu ziehen, aber wir waren einfach zu erschöpft. Sie verklebten daraufhin freundlicherweise die Fenster mit Folien, um wenigstens etwas die Kälte auszusperren.