„Wie hat er das hingenommen?“, hakte Mister McKee nach.
„Schlecht“, fuhr Max fort. „Er hat Longoria mit Hassanrufen verfolgt, sich bei dessen Prozessauftritten ins Publikum gemischt, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Longoria ließ ihm gerichtlich verbieten, dass er sich ihm auf mehr als hundert Yards näherte. Es gab in dieser Zeit eine Serie von zusammengeklebten Drohbriefen, die sowohl Longorias Büro als auch seine Privatadresse erreichten, aber Jason Carlito konnte vor Gericht nicht nachgewiesen werden, der Urheber dieser Briefe gewesen zu sein.“ Max deutete auf die vor ihm liegenden Ordner. „Es gibt noch eine Reihe weiterer Fälle, die ebenso mit Longorias Ermordung in Verbindung stehen könnten. Ganz zu schweigen von seinen aktuellen Ermittlungen gegen mehrere Drogengangs in der Bronx und ihre Hintermänner...“
Milo seufzte hörbar.
„Es wird uns wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als diese Liste systematisch abzuarbeiten“, glaubte er und damit lag er zweifellos richtig.
4
Als Milo und ich am Tatort im Central Park ankamen, war dort das meiste schon gelaufen.
Longorias regelrecht durchsiebter Leichnam lag längst in der Pathologie des Coroners und wurde einer Obduktion unterzogen.
Patronenhülsen, die mit einer Automatik vom Kaliber 45 abgeschossen worden waren, hatten sichergestellt werden können. Ob die Tatwaffe schon einmal verwendet worden war, würde sich erst nach den ballistischen Untersuchungen zeigen. Damit wir in diesem Fall nicht auf die im Moment stark überlasteten SRD-Labors in der Bronx angewiesen waren, würde unser eigener Ballistiker Dave Oaktree die dafür notwendigen Untersuchungen durchführen. Weil wir Dave am Tatort mit Sicherheit nicht mehr antreffen würden, hatten wir während der Fahrt von der Federal Plaza zur Transverse Road No.1 telefonischen Kontakt mit ihm. Er machte uns allerdings wenig Hoffnung darauf, dass die Testergebnisse schneller als in vierundzwanzig Stunden zur Verfügung standen.
Eine Untersuchung der Patronenhülsen auf Fingerabdrücke war bereits am Tatort geschehen und negativ ausgefallen.
Einige Kollegen der City Police hatten Jogger und Passanten befragt, ob sie etwas gesehen hatten. Die Ausbeute war mager.
Nachdem wir uns am Tatort umgesehen und uns ein Bild gemacht hatten, besuchten wir Captain Danny Ricardo auf seinem Revier, der die ersten Tatortermittlungen zu verantworten hatte und sprachen mit ihm über das Problem.
„Sie haben ja sicher selbst mitgekriegt, was für ein Wetter wir heute Morgen hatten. Immer wieder gab es heftige Schauer, die mit kürzeren trockenen Phasen abwechselten. Da sind natürlich nicht gerade viele Leute unterwegs. Außerdem hat der immer wieder einsetzende Regen dafür gesorgt, dass wir so gut wie nichts am Tatort gefunden haben, was irgendwelche Rückschlüsse auf den oder die Täter ergeben könnte – von den Patronenhülsen und einem Reifenprofil einmal abgesehen.“
„Sie gehen davon aus, dass es mehrere Täter waren“, stellte ich fest.
Ricardo nickte. „So ist der Stand der Ermittlungen, wenn die Geschichte mit dem BMW stimmt, wovon ich aber ausgehe. Es gab einen, der die Waffe abgeschossen hat und einen Komplizen, der den Fluchtwagen gefahren hat. Der Rentner, der den Wagen gesehen hat, konnte sich sogar einen Teil der Zulassungsnummer merken.“
„Und?“, hakte ich nach. Selbst wenn man eine Zulassungsnummer nur teilweise vorliegen hatte, dazu aber weitere Merkmale des gesuchten Fahrzeugs wie Typ, Farbe, Ausstattung, Bereifung und ähnliches vorliegen hatte, konnte man das betreffende Fahrzeug in den meisten Fällen ermitteln oder die Zahl der in Frage kommenden Halter stark einschränken.
„Wir vermuten, dass der BMW mit einem Fahrzeug identisch ist, das vor zwei Tagen als gestohlen gemeldet wurde.“
„Ein gestohlener Wagen als Fluchtfahrzeug, keine Fingerabdrücke an den Patronenhülsen – spricht das nicht dafür, dass hier Profis am Werk waren?“, meinte Milo.
Danny Ricardo zuckte die Schultern. „Dass wir überhaupt Patronenhülsen gefunden haben, spricht allerdings dagegen“, gab er zu bedenken. „Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen, Agent Tucker. Longoria hat sicher jede Menge Feinde bei den Syndikaten gehabt.“
5
Es war bereits Abend, als wir in der 332 MacMillan Road in Riverdale eintrafen, wo der in zweiter Ehe verheiratete James Longoria in einem schmucken Bungalow gewohnt hatte. Riverdale gehörte zur Bronx, zeigte aber ein Bild, das man von diesem Stadtteil gar nicht erwartete. Mit den verfallenen Straßenzügen, wie man sie leider immer noch in der South Bronx finden konnte, hatte Riverdale nichts zu tun. Stattdessen gab es hier von Bäumen gesäumte Straßen mit ein- bis zweistöckigen Häusern und kleine Geschäftszentren.
Ich parkte den Sportwagen, den uns die Fahrbereitschaft des FBI zur Verfügung stellte, am Straßenrand. Wir stiegen aus, traten an die Haustür und klingelten.
Eine junge Frau öffnete uns. Longoria war 56 Jahre alt geworden, seine Frau war schätzungsweise zwanzig Jahre jünger als er.
Wir stellten uns vor und zeigten Mrs Ann Longoria unsere Ausweise.
Insgeheim war ich froh darüber, dass bereits ein Kollege vom NYPD hier gewesen war, um Ann Longoria darüber zu informieren, dass sie nun Witwe war. Ihre Augen wirkten rot geweint.
„Kommen Sie herein“, sagte sie. „Ich bin mit den Prozeduren, die auf einen Mord folgen, durchaus vertraut, wie Sie mir glauben können.“
„Natürlich, Ma’am“, nickte ich.
Ich stutzte, als wir das Wohnzimmer betraten. In einem der breiten Ledersessel saß ein hagerer Mann mit hohen Wangenknochen und eisgrauen Augen. Das graumelierte Haar war voll, aber sehr kurz geschoren. Ich schätzte sein Alter auf Mitte fünfzig.
Ich hielt ihm meine ID-Card entgegen.
„Agent Jesse Trevellian, FBI“, stellte ich mich vor und deutete dann auf Milo. „Dies ist mein Kollege Milo Tucker. Darf ich fragen, wer Sie sind?“
Er reichte mir die Hand.
Sein Händedruck war sehr fest. Wie bei einem Mann, der gleich klarmachen will, wer der Chef war. „Mein Name ist Miles Buchanan“, sagte er in einem ruhigen, tiefen Tonfall. „Ich bin ein Freund des Hauses. Vielleicht trifft es das am Besten.“
„Woher kannten Sie Mister Longoria?“, fragte ich.
„Wir haben uns während des Jura-Studiums kennen gelernt. Allerdings habe ich es